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(Erörterung, redigierte Hausübung einer Schülerin)
Organverpflanzung pro und/contra
Wir haben uns im Unterricht mit Hartmann von Aues „Der Arme Heinrich“ beschäftigt. Waren manche am Anfang noch skep-
tisch, kam dann bald die Überraschung. Das Thema ist aktuell. Der arme Heinrich, ein – reicher – Ritter wird plötzlich krank, er
leidet an „Aussatz“ und kann nur geheilt werden durch das Herzblut eines anderen Menschen. Ein– armes – Mädchen ist
bereit, sich für den Ritter zu opfern. Heinrich nimmt nach längerem Zögern an, fährt mit dem Mädchen nach Salerno zu einem
Arzt, der schärft das Messer, um ihr das Herz herauszuschneiden, der arme Heinrich sieht das durch ein Loch in der Wand,
lässt die „Operation“ rechtzeitig stoppen. Und plötzlich ist er vom Aussatz geheilt. Happy End: Die beiden fahren nach Hause
und heiraten.
Der – in diesem Fall die – Arme spendet, der – sicher auch oft die – Reiche bekommt. Was im „Armen Heinrich“ gut endet, das
geht für heutige Arme nicht unbedingt so aus. Für die Reichen schon, wie der Zeitungsbericht „Organhandel: Eine illegale
Herzensangelegenheit“ berichtet. Keine Nachbehandlung für die Organspender, das kann in vielen Fällen schlimme Folgen
haben. Ganz abgesehen von der Freiwilligkeit. Denn gibt ein Slumbewohner seine Organe wirklich „freiwillig“ her oder ist er
nicht vielmehr dazu „gezwungen“, weil ers sonst seine Familie nicht ernähren könnte? Setzt sich die Ausbeutung der „Dritten
Welt“ mit einer solchen Organverpflanzung nicht weiter fort, mit riesigen Profiten für korrupte Ärzte und einer neuen Art von
„Reiselustigen“, den Transplantationstouristen? Freilich gibt es sicher auch wirklich „Freiwillige“, die ihre Organe verkaufen,
wie meine Internetrecherche ergab: Ein chinesischer Jugendlicher hat laut „Standard“ um 3.500 Dollar eine Niere verkauft, um
sich ein iPad kaufen zu können.
Natürlich sind diesen Fällen von Organverpflanzung, die auf illegalem Organhandel beruht, die gesetzlich geregelten Fälle
gegenüberzustellen, die sicher die Mehrzahl der Organverpflanzungen ausmachen, wie zum Beispiel die einvernehmliche
Spende von Organen an Verwandte oder Ehepartner.
Die häufigste Form, Organe zu verpflanzen, ist aber sicherlich die Organentnahme von ums Leben gekommenen Spendern,
die, so habe ich mich im Internet unter „Gesundheit Österreich“ informiert, zu Lebzeiten nicht ausdrücklich ihren Widerspruch
zur Organentnahme formuliert haben. Dazu gibt es ein Widerspruchsregister, in das man sich einträgt; es genügt aber auch
ein Zettel, den man mithat und auf dem der Widerspruch vermerkt ist. Eine solche Organverpflanzung halte ich für ethisch
unbedenklich. Aber auch hier wird, vor allem in Entwicklungsländern, krimineller Missbrauch getrieben, werden Kinder ermor-
det, um deren Organe zu verkaufen.
Dass man auch legale Organverpflanzung ablehnen kann, obwohl man mit einem Spenderorgan, in diesem Fall einem
Herzen, überleben könnte, zeigt der „Held“ aus Markus Werners Roman „Bis bald“, Zuerst wartet er begierig auf „sein“ neues
Herz, dann, nach der Lektüre des „Armen Heinrich“, verzichtet er. Er ist sich bewusst, dass auch das legal transplantierte Herz
das Herz eines Opfers, eines Unfalltoten ist.
Ob ich mir auch dessen bewusst wäre, sollte es drauf ankommen, weiß ich nicht. Stark ist dieser Verzicht jedenfalls und gäbe
es keinen „Organmarkt“, so gäbe es auch keine wegen ihrer Organe getöteten Kinder. Allerdings auch keine auf die
Organverpflanzung angewiesenen geretteten Menschen.
(495 Wörter)
(Kommentar, Musterbeispiel)
Ein Dilemma
Zwei mittelalterliche Herren treffen einander nach längerer Zeit zufällig auf der Straße. Es beginnt folgender Dialog: „Servus,
Bernhard, hab’ dich ja schon ewig nicht mehr gesehen, hab’ gehört, dir geht’s nicht so gut, aber du reist im November nach
Südafrika!“ – „Ja, stimmt, am 12. November geht’s los.“ – „Südafrika, das möchte’ ich auch einmal machen, eine Safari im
Krüger-Nationalpark, das wäre ein Traum: Gnus, Giraffen, Büffel, Elefanten, vielleicht auch Löwen …“ – „Na ja, darauf werd’
ich wohl verzichten müssen, ich fahr’ nämlich wegen meiner Nierenprobleme da hin.“ – „Nach Südafrika?“ – „Ja,
Nierentransplantation …“ – Sicherlich, ein fiktiver Dialog, aber auf realer Grundlage. Südafrika, China, Indien werden immer
häufiger zum Schauplatz illegaler Organtransplantationen. 115. 000 Dollar kostet eine neue Niere, 225.000 Dollar eine Leber,
10.000 Dollar bekommt der Spender. Der stammt meistens aus den ärmlichsten sozialen Verhältnissen, will mit dem Geld
überleben und/oder seine Familie ernähren. Die Differenz kassieren Ärzte, die nach Dienstschluss illegal transplantieren.
Illegaler Organhandel ist Ausdruck verschiedener Missstände: Zum einen zeigt er, wie groß die materielle Not in vielen
Entwicklungs- und Schwellenländern ist. Sie treibt die Menschen dazu, gegen Geld ihren Körper zu verstümmeln. Zum ande-
ren wird deutlich, wie groß Bangen und Hoffnung der Patienten sind, die auf eine lebensrettende Transplantation setzen.
Doch bei allem Verständnis für deren Situation: Organhandel ist illegal und muss es auch bleiben. Denn er widerspricht unse-
ren Grundsätzen von Gleichheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde: Organe dürfen nicht kommerziell vermarktet werden, das
würde einen Markt eröffnen, den wir kaum mehr kontrollieren könnten.
Gibt es da einen Ausweg? Der einzige Weg aus dem Dilemma ist wohl der, dass die Bereitschaft, nach seinem Tod Organe zu
spenden, zunimmt. Die nimmt derzeit allerdings ab – nicht gerade verwunderlich angesichts diverser
Transplantationsskandale. Um dem entgegenzuwirken, müssen ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutsamkeit von
Organspenden geschaffen und Zweifel entkräftet werden. Es braucht also neues Vertrauen, denn die Bereitschaft zur
Organspende entscheidet vielfach über Leben und Tod.
(312 Wörter)
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