Expertin Rebekka Dober erklärt im Interview, wie Jugendbeteiligung wirkt, welche wichtige gesellschaftliche Aufgabe sie erfüllt und warum Unternehmen und Schulen den Mut dafür aufbringen sollten.
Dieser Artikel ist Teil des öbv-Whitepapers „Partizipation in der Schule“.
Warum ist es so wichtig, dass Jugendliche mitbestimmen dürfen?
Mitbestimmung ist ein wesentlicher Aspekt von Demokratie. Um in einer Demokratie aktiv mitzuwirken, müssen wir das Gefühl haben, dass wir mitbestimmen dürfen. Wenn die Jugend Mitbestimmung erlebt und dabei lernt, wie Mitentscheiden geht, vermeiden wir, in eine Demokratiekrise zu rutschen.
Was verändert sich, wenn Jugendliche mitreden?
Dann werden die Entscheidungen besser! Jugendliche sind Expert*innen ihrer Lebensrealität. Für alles, was sie und ihren Alltag betrifft, macht es also Sinn, sie als Expert*innen mitbestimmen zu lassen. If it’s about them, don’t do it without them!
Wie wirkt sich Partizipation auf die Jugendlichen aus?
Gerade für junge Menschen ist Selbstwirksamkeitserleben – wenn ich etwas verändere, verändert sich etwas – wichtig für die Entwicklung. Es stärkt nachweislich Resilienz und Bildungserfolg – und ist der Gegenspieler zum Ohnmachtsempfinden. Das halte ich für eine der größten Bedrohungen unserer Zeit. Es fördert depressive Symptome, die erschreckende 50 Prozent der Jugendlichen zeigen (Donau-Uni Krems, 2021). Gelungene Selbstwirksamkeitserfahrungen können da entgegenwirken. Und sie stärken auch das Selbstbewusstsein und die Motivation, sich für etwas zu engagieren. Das ist die eine Wirkungsebene von Partizipation.
Welche Wirkungsebenen gibt es denn noch?
Neben der individuellen Wirkung, gibt es noch die spezifische Wirkung auf den Bereich, über den entschieden wird: ein Schulbuch, ein Gesetzestext, … Durch die Mitbestimmung werden bessere Entscheidungen getroffen – was meist auch kostenseitig einen Vorteil für die Unternehmen bringt. Und schließlich gibt es die gesellschaftliche Dimension: Partizipation ist Teil unserer Demokratiekultur. Jedes Mal, wenn Menschen sehen, dass echte Mitbestimmung stattfindet, glauben sie wieder mehr an unsere Demokratie.
Was ist ein Jugendbeirat?
Ein divers zusammengestelltes Entscheidungsgremium, das die Lebensrealität und Meinungen von jungen Menschen abbildet. Wir wählen die Jugendlichen dafür so aus, dass sie Österreichs Jugend möglichst gut widerspiegeln und vielfältige Perspektiven einbringen können. Das heißt zum Beispiel Diversität in Hinblick auf Geschlecht, Erstsprache, Stadt und Land, Bundesländer, … idealerweise ergibt sich eine Gruppe, die ein bisschen wie ein Mini-Österreich ist.
Worauf muss man achten, wenn man Jugendpartizipation umsetzt?
Zum einen muss das Bewerbungsverfahren möglichst niederschwellig sein, damit sich nicht nur privilegierte Jugendliche melden. Unterschiedliche Zielgruppen brauchen unterschiedliche Dinge – wir versuchen also Chancengerechtigkeit zu schaffen. So können zum Beispiel auch Lehrkräfte Schüler*innen nominieren. Dadurch kommen Leute ins Gespräch, die sich vielleicht ohne den Impuls der Lehrkraft nicht getraut hätten.
Was ich noch wichtig finde: dass es nicht als selbstverständlich gesehen wird, dass sich die Jugendlichen Zeit dafür nehmen. Wir müssen Mitbestimmungsangebote schaffen, die für sie lohnenswert sind – und die jungen Leute auf Augenhöhe behandeln.
So darf Partizipation auch nie zum Youthwashing werden. Das kann manchmal auch trotz bester Absichten passieren. Man muss also gut aufpassen: Wenn junge Menschen mitgestalten dürfen, müssen sie eine ganz klare Rolle und einen Wirkungsrahmen haben.
Wie stellt ihr denn sicher, dass nicht wirkungslos verpufft, was die Jugendlichen sagen?
Ganz generell schließen wir für alle unsere Partizipationsprozesse Wirkungsverträge. Es ist wichtig, dass es einen Partizipationsrahmen gibt, der festlegt, wobei mitbestimmt werden darf. Jugendliche sind ja nicht Expert*innen für alles und der organisatorische oder unternehmerische Kontext gibt auch nicht unbegrenzte Partizipation her. Deshalb halten wir vorab in einem Vertrag genau diesen Rahmen fest und kommunizieren ihn auch an die Jugendlichen – und dazu verpflichtet sich auch das Unternehmen.
Welche Rolle spielt Partizipation für die Schule?
Eine sehr wichtige! Demokratiebildung und Partizipation muss man lernen – und das passiert in ganz alltäglichen Abläufen. Hier lässt sich vieles auch ganz ohne Genehmigungen in der Schule umsetzen. Für die Schüler*innen bedeutet es die Welt, wenn sie im Schulalltag mitbestimmen dürfen. Für viele ist es mehr wert, wenn die Klassenlehrkraft sie mitentscheiden lässt, welche Klassenlektüre sie lesen, als dass sie ihre Meinung zu Gesetzen einbringen, die verabschiedet werden. Wenn man Partizipation in den Alltag einbaut, verändert das extrem viel.
Zu meiner Schulzeit durften wir mitentscheiden, ob wir samstags Unterricht haben wollen oder lieber mehr Stunden an den fünf Wochentagen. Das war für mich sehr wichtig. Und es hat dann sogar eine untergeordnete Rolle gespielt, ob die Mehrheit für „meine“ Möglichkeit gestimmt hat. Entscheidend war für mich, dass das überhaupt von Schüler*innen mitentschieden wurde.
Welche Möglichkeiten der Mitbestimmung gibt es noch für Jugendliche?
Aktuell gibt es eine sehr spannende Möglichkeit: Jugendliche dürfen – historisch erstmals in Europa – die Lehrpläne mitgestalten in verschiedensten analogen und digitalen Formaten. Das Projekt nennt sich „Demokratie macht Schule“. Ansonsten bieten wir noch das wyld-Netzwerk („we’re young, loud, demokratic“), über das sich Jugendliche auf verschiedene Art für unterschiedliche Themen einsetzen können. Lehrkräfte können sich auf unserer Website für das Youth-Education-Netzwerk (YEN) anmelden und bekommen dann hin und wieder kostenlose Unterrichtmaterialien und -impulse und auch Infos zu unseren aktuellen Jugendbeteiligungsprozessen oder Demokratietrainings für Schulen.
Rebekka Dober ist Pädagogin & Unternehmerin. Sie ist Gründerin von YEP, einem Sozialunternehmen, das auf die Umsetzung von Jugendpartizipationsprozessen spezialisiert ist.
YEP: www.yep-austria.org / hello@yep-austria.org
Dieser Artikel ist Teil des öbv-Whitepapers „Partizipation in der Schule“.