"Unterschiedlicher könnten wir nicht sein"

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Titelbild Unterschiedlicher könnten wir nicht sein

Kann eine Lehrkraft individuelle Lernbedürfnisse von 25 Schüler*innen bedienen? Wie KI dabei helfen könnte, beleuchten Markus Fischer (chabaDoo) und Leon Frischauf (Studyly) im Doppelinterview.

Dieser Artikel ist Teil des öbv-Whitepapers "KI im Klassenzimmer".


Wie gehen KI-Lernprogramme auf die Stärken und Schwächen von Schüler*innen ein?

Fischer: KI wertet digitale Lernpfade aus und stellt so fest, welche Medien für welche Schüler*innen am besten funktionieren. Ein Kind bevorzugt Videos, ein anderes lernt besser durch Lesen. Die KI passt sich den Präferenzen an und fördert so den Lernerfolg individuell. Unser derzeitiges Schulsystem fokussiert sich oft auf Schwächen; mit KI können wir stattdessen die Stärken nutzen, um Schwächen auszugleichen.

Foto Markus Fischer 002

Frischauf: Es ist entscheidend, dass die digitalen Aufgaben sorgfältig vorbereitet und klassifiziert werden – zum Beispiel, indem Aufgaben mit dafür wichtigen Kompetenzen getaggt werden. So kann die KI ermitteln, wo genau die Lernenden noch Unterstützung brauchen und genau auf die Bedürfnisse der Nutzer*innen eingehen. Wichtig ist, dass Schüler*innen nicht über- oder unterfordert werden und dass Lehrkräfte ihre Ressourcen effizient einsetzen können.

Wird der individuelle Lernpfad durch den Einsatz analoger Medien unterbrochen?

Fischer: Im Moment sehen wir leider noch eine Trennung zwischen digitalen und analogen Medien – sogar eine Art Konkurrenzdenken —, aber sie können und sollten sich ergänzen. KI-gestützte Programme geben tiefe Einblicke in den Lernprozess und gehen auf individuelle Bedürfnisse ein, was die Lehrkraft im Unterricht fortsetzen kann. So kann sie z.B. eine digitale Hausaufgabe geben und jene Bereiche, in denen es laut der KI die meisten Probleme gab, in der nächsten Unterrichtseinheit intensiver aufgreifen. Dort kann verstärkt mit Schulbüchern oder zusammen an passenden Projektaufgaben gearbeitet werden. Die Möglichkeiten haben wir – es muss aber an manchen Stellen ein Umdenken stattfinden.

Frischauf: Besonders wichtig sind die Bedürfnisse der Lehrkraft. Es sollte keine Be-, sondern eine Entlastung sein. Bestenfalls werden in den einzelnen Medien bereits Vorschläge für Verschränkungen gemacht. Bei unseren Matheaufgaben müssen die Schüler*innen z.B. einige Zeichnungen am Papier machen. Man kann auch auf Bücher verweisen oder umgekehrt. Handschriftliches kann mittlerweile problemlos eingescannt und so von Lehrkräften mithilfe von KI korrigiert werden. Ziel ist, dass Schüler*innen individuell Aufgaben in jenem Format bekommen, mit dem sie am leichtesten lernen. Erstellt werden die Variationen von der KI.

Ist das in allen Schulfächern anwendbar?

Frischauf: Mathe und Sprachen eignen sich besonders gut, da sie klare Lösungen und Strukturen bieten. In Fächern wie Geschichte oder Politik ist der Gruppenaustausch zentral, aber auch hier kann KI durch individuell angepasste Übungen unterstützen.

Wo liegen die größten Vorteile KI-gestützter Lernprogramme hinsichtlich Individualität?

Fischer: Besonders deutlich wird der Vorteil im Selbststudium. Unabhängig von den Ressourcen der Eltern üben die Schüler*innen mit den Lernprogrammen bekannte oder erarbeiten neue Themen, bis sie die Informationen kennen und verstanden haben. Ohne App kommt es schneller vor, dass man ansteht, Unterstützung braucht oder aufgibt. Digitale Programme stellen den Schüler*innen Materialien zur Verfügung, die nicht nur ihren Bedürfnissen, sondern auch ihrer Lebenswirklichkeit entsprechen, wodurch Lerninhalte mit wodurch Lerninhalte mit bestehenden Synapsen verknüpft und so im Gehirn schneller abgespeichert werden.

Wird Bildung mithilfe von KI zugänglicher?

Frischauf: Ja, beispielsweise gibt es automatische Videodeskriptionen für Personen mit Sehschwäche. Bei einer Lernschwäche kann auf Lerntempo und Wiederholungen Rücksicht genommen werden. KI kann Aufgaben in einfacherer Sprache darstellen und so sprachliche Barrieren mindern. Allerdings muss die KI über diese spezifischen Bedürfnisse informiert sein. Sie weiß sonst nicht, ob die Schüler*innen die Aufgabe aufgrund sprachlicher Hürden oder ihrer Komplexität nicht lösen konnten.

Hier sind Lehrkräfte essenziell: Denn sie bemerken in kürzester Zeit etwaige Defizite und finden Lösungen, die wiederum KI-gestützt sein können — etwa Tools, die Übungen in die Muttersprache der Schülerin übersetzen. Die deutsche Sprache muss weiterhin gelernt werden, doch so können weitere Fächer bereits bearbeitet werden.

Leon Porträt

Fischer: Einerseits bietet KI hier unbegrenzte Chancen und Möglichkeiten. Zugleich birgt sie das Risiko, dass klassifizierende Daten gesammelt und missbraucht werden. Viele Lernapps sammeln gewisse persönliche Daten daher bewusst nicht oder spielen sie niemandem aus. Nutzer*innen müssen immer selbst darüber bestimmen können, welche Daten sie teilen. Die Hausaufgabe kann man natürlich nicht für sich behalten, aber die Übungseinheiten und die daraus resultierenden Stärken und Schwächen z.B. schon.

Die große Chance ist, dass wir die Programme irgendwann so gefinetuned haben, dass alle Schüler*innen in jedem Fach individuell gefordert und gefördert werden können – unabhängig von etwaigen Beeinträchtigungen oder Begabungen.

Was ist deine Vision von individueller Bildung?

Frischauf: Ich hoffe auf einen Mindset-Wechsel: Wir müssen aufzeigen, wie digitale und analoge Möglichkeiten so kombiniert werden, dass Lehrkräfte entlastet und Schüler*innen individuell unterstützt werden. Und das muss in Ausbildung, Fortbildung, Politik sowie in den einzelnen Bildungsmedien verankert werden.

Fischer: Ich wünsche mir, dass Bildung wieder mit mehr Freude versehen wird – dass wir Schüler*innen als Individuen wahrnehmen, sie nicht verbiegen, sondern in ihrer persönlichen Entwicklung begleiten. Die daraus resultierende Diversität unter den Schüler*innen – und später Erwachsenen – ist essenziell, damit wir kreative Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft finden.

Dieser Artikel ist Teil des öbv-Whitepapers "KI im Klassenzimmer".

Leon Frischauf ist Gründer der interaktiven Mathe-App Studyly und hat ein Mathematik- sowie Informatikstudium abgeschlossen.

Markus Fischer ist Geschäftsführer der Lernplattform chabaDoo und bereits seit 20 Jahren im Bildungsbereich aktiv.

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