Darüber sprechen öbv-Geschäftsführer Philipp Nussböck und Alexander Riha aus der Redaktion für Geschichte und Politische Bildung.
Dieser Artikel ist Teil des öbv-Whitepapers „Partizipation in der Schule“.
Wann hattet ihr euren ersten „demokratischen Moment“, also ein Erlebnis, bei dem ihr etwas Wesentliches über Demokratie begriffen habt?
Philipp Nussböck: Das waren die Präsidentschaftswahlen in Frankreich 1981. Rund um dieses Ereignis gab es in Frankreich eine große gesellschaftliche Veränderung. Die Erwachsenen in der Familie haben oft über die Wahl diskutiert und ich hab gemerkt: Hier passiert etwas Wichtiges, das die Menschen bewegt.
Alexander Riha: Bei mir war es die Klassensprecherwahl in der Unterstufe – meine erste Stimmzettelwahl. Wir hatten damals einen Showdown „Burschen gegen Mädels“, die Auszählung war spannend bis zum Schluss!
Wie erwirbt man eigentlich Demokratiebildung?
Philipp Nussböck: Das passiert auf verschiedenen Ebenen: Man denkt sofort an die theoretische Ebene, aber Demokratiebildung – das hat sich in den letzten 20 Jahren sehr gewandelt – besteht nicht nur aus Wissen. Es geht auch um Kompetenzen: Wie bilde ich mir eine Meinung? Wie finden wir angesichts unterschiedlicher Positionen zu einer Entscheidung? Ganz wichtig ist auch das persönliche Erleben demokratischer Prozesse – in der Schule, aber auch in der Gesellschaft. Das wird oft zusammengefasst als Lernen „über Demokratie“, „für Demokratie“ und „durch Demokratie“.
Wie findet das konkret in der Schule statt?
Alexander Riha: Am explizitesten passiert Demokratiebildung im Fach Geschichte und Politische Bildung, das ab der 6. Schulstufe auf dem Stundenplan steht. Dort geschieht es zum einen über die Geschichte: Durch die Beschäftigung mit Herrschaftsformen in der Antike lernen die Schüler*innen, was Demokratie von einer Diktatur unterscheidet, welche Formen von Demokratien es gibt – aber auch, wer damals nicht mitbestimmen durfte. Zum anderen passiert es über politische Partizipation im Kontext der eigenen Lebenswelt. Das können die Wahl der Klassen- und Schulsprecher*innen oder das Aushandeln von Klassenregeln sein. Es geschieht auch über Planspiele oder Beispiele aus dem echten Leben: „Ich möchte einen Skatepark in meiner Gemeinde anregen. Wie gehe ich das an?“. Das ist ganz wichtig, um den Demokratiebegriff mit Leben zu füllen. Aber auch, um die politischen Kompetenzen und Methoden zu erwerben, die der Lehrplan vorsieht: politische Kommunikation zu reflektieren, sich Urteile zu bilden, gemeinsame Lösungen zu entwickeln.
Findet politische Bildung auch noch in anderen Fächern statt?
Philipp Nussböck: Tatsächlich ist in den Lehrplänen Politische Bildung ein didaktisches Grundprinzip und ein übergreifendes Thema, das in allen Fächern Platz finden soll. Dazu gibt es auch jede Menge Möglichkeiten, auch wenn es in einigen Fächern sicher näher liegt als in anderen.
Alexander Riha: Aufgelegt ist es sicher in Deutsch – da kann man zum Beispiel politische Reden analysieren – oder in Geografie und wirtschaftliche Bildung. Wenn man über Arbeitsrechte oder über Tourismus redet, kommt man fast nicht aus und muss auch die Positionen der Interessensgruppen ansprechen. In Mathe könnte man sich über die Statistik Themen wie Wahlforschung und Auszählungsgrad annähern. Digitale Grundbildung umfasst Medienkompetenz, Quellenkritik und Fake News.
Welche Rolle spielen dabei Bildungsmedien?
Alexander Riha: Bildungsmedien bilden ja den Lehrplan ab. Der enthält Demokratiebildung in verschiedenen Dimensionen. Entscheidend ist, dass wir die wesentlichen Themen der Demokratiebildung fachlich korrekt auf den Punkt bringen. In manchen Situationen kann man nicht alles altersgerecht in wenigen Wörtern aus dem Gedächtnis erklären. Hier ist es entscheidend, dass Lehrkräfte sich darauf verlassen können, dass das Schulbuch das korrekt und klar abbildet.
Wir versuchen außerdem, den Konnex zur Lebenswelt der Schüler*innen möglichst gut darzustellen und Lehrkräften wertvolle Impulse für entsprechende Unterrichtsgestaltung zu bieten. Es ist aber begrenzt, was Bildungsmedien da leisten können, für aktuelle und praxisbezogene Ansätze gibt es tolle Zusatzangebote.
Was ist am wichtigsten für gute Bildungsmedien im Bereich Demokratiebildung?
Alexander Riha: Am wichtigsten finde ich, Partizipation anhand eines Aufhängers aufzubereiten, der die Jugendlichen „hinterm Ofen hervorholt“. Ein Plakat zu malen, hat auch seine Berechtigung, aber etwas Aktiveres zieht einfach mehr. Ein Planspiel oder Rollenspiel zu einem spannenden Thema bietet sich an, um Partizipation wirklich als positives Erlebnis zu verankern.
Und Abwechslung ist wichtig! Im Laufe der Jahre stellt sich ein gewisser Überdruss ein, wenn bestimmte Themenbereiche immer wieder behandelt werden. Da ist es wichtig, dass die Themen mit den Schüler*innen „mitwachsen“, immer neue und komplexere Aspekte aufgegriffen werden. Ein Booster ist auf jeden Fall, wenn die Schüler*innen das erste Mal wählen dürfen – da steigt das Interesse wieder stark an. Das kann man super nutzen.
Was sind die größten Herausforderungen bei Demokratiebildung in der Schule?
Philipp Nussböck: Eine große Herausforderung ist es, die Inhalte aktuell zu halten. Es passiert gerade viel, Dinge ändern sich sehr schnell – auch solche, von denen wir es nicht vorhersehen konnten. Ein approbiertes Bildungsmedium braucht notwendigerweise eine lange Vorlaufzeit, bis neue Entwicklungen aufgenommen werden können. Gewisse aktuelle Bezüge sind daher im Schulbuch selbst nicht leistbar, die müssen Lehrkräfte anderweitig integrieren. Es gibt aber von uns und von anderen Anbietern tolle kostenlose Materialien dazu. Wir haben zum Beispiel im letzten Jahr Webinare und Unterrichtsmaterial rund um das Thema Wahlen angeboten.
Alexander Riha: Bei aktuellen Themen ist es für Lehrkräfte auch eine Herausforderung, eine gute Balance zu finden. Zum einen ist es ganz klar ihr Job, für demokratische Werte einzustehen, zum anderen gilt das „Überwältigungsverbot“. Das heißt, Lehrkräfte müssen kontroverse Themen auch entsprechend kontrovers im Unterricht darstellen und dürfen die Schüler*innen nicht mit ihrer eigenen Meinung „überwältigen“.
Schwierig ist es auch, Demokratiebildung für Menschen aufzubereiten, die nicht partizipieren dürfen. Sehr viele Schüler*innen haben keine österreichische Staatsbürgerschaft. Wie können wir die für Demokratie begeistern, obwohl sie selbst nicht mitbestimmen dürfen?
Demokratie lernt man auch, indem man sie selbst erlebt. Jugendliche sollten also auch in der Schule mitbestimmen können. Wie können Bildungsmedien zu mehr Partizipation beitragen?
Alexander Riha: Wir tun das vor allem, indem wir Planspiele und partizipative Aufgabenstellungen integrieren. Die Lehrkräfte können natürlich Reihenfolge und Gewichtung der Themen von ihren Klassen mitbestimmen lassen oder die Auswahl der Aufgaben. Zeitlich gehen sich meist ohnehin nicht alle aus. Natürlich wäre es toll, wenn ein Bildungsmedium standardmäßig mehrere Arbeitsblätter oder Aufgaben eines Typs zur Auswahl anbietet, sodass die Schüler*innen mitentscheiden können. Aber das Bildungsmedium muss den Lehrplan in vollem Umfang abbilden, teils bieten wir auch noch Differenzierung für verschiedene Leistungsniveaus an. Das ist sehr umfangreich, deshalb haben wir meist nicht die Möglichkeit, noch mehr Auswahl zu schaffen.
Philipp Nussböck: Ich sehe die Verantwortung für partizipativen Unterricht nicht in erster Linie bei den Bildungsmedien. Die sind ja nicht der Unterricht, sondern nur eine Vorlage, ein Leitfaden. Die Rahmenbedingungen, unter denen wir arbeiten, geben das nicht her. Lehrkräfte können in ihrem Unterricht aber vielfältige Partizipationsmöglichkeiten schaffen. Unser Doppelseitenprinzip begünstigt eine flexible Themenabfolge und auch verschiedene Alternativaufgaben lassen sich ja in Zeiten von Digitalisierung und KI einfacher erstellen denn je. Unsere Verantwortung ist es dagegen, dass junge Menschen bei der Gestaltung der Bildungsmedien mitreden dürfen. Da sind wir aktiv dran, haben vor einigen Monaten einen Workshop mit Jugendlichen gemacht und heuer darf ein Jugendbeirat bei ausgewählten Projekten mitbestimmen.
Dieser Artikel ist Teil des öbv-Whitepapers „Partizipation in der Schule“.