Die meisten Lehrkräfte finden es sinnvoll, Schüler*innen mitbestimmen zu lassen. Aber in welchem Ausmaß? Dabei gehen die Meinungen auseinander.
Dieser Artikel ist Teil des öbv-Whitepapers „Partizipation in der Schule“.
87 Prozent der Lehrkräfte finden es grundsätzlich wichtig, dass Schüler*innen in der Schule mitbestimmen können. Etwa ein Drittel der Lehrkräfte findet das bereits ab der Volksschule angemessen, ein weiteres Drittel würde in der Sekundarstufe I damit beginnen und das verbleibende Drittel nicht vor der Sekundarstufe II.
Doch es herrscht nicht nur Einigkeit. Eine Lehrkraft äußert: „Kinder sind nicht in der Position, zu viel mitbestimmen zu dürfen. Die Erwachsenen, die eine Mitbestimmung fördern, sollten sich bezüglich Entwicklungspsychologie bilden.“
Lehrkräfte sehen folgende positive Effekte: Wenn Schüler*innen mitbestimmen dürfen, identifizieren sie sich mehr mit der Schule (78 %), entwickeln Verständnis für demokratische Prozesse (77 %) und ein vertrauensvolleres Miteinander (68 %). Auch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit (55 %) und positive Erlebnisse mit der Demokratie (54 %) werden genannt. Nur ein Fünftel der Lehrkräfte ist jedoch überzeugt, dass durch Mitbestimmung der Schüler*innen bessere schulische Entscheidungen getroffen werden.
So wichtig Mitbestimmung bewertet wird, es ist doch nicht einfach, sie in den Schulalltag zu integrieren: Es fehle die Zeit (63 %), Jugendliche machten nicht-realisierbare Vorschläge (51 %) und hätten zu wenig Reflexionsfähigkeit (36 %), geben die Lehrkräfte zu bedenken. Eine Lehrkraft merkt an: „Die Unterrichtszeit ist mittlerweile überfüllt mit Zusatzthemen, die neben dem herkömmlichen Unterricht behandelt werden sollen. Was soll man noch alles in den vorgegebenen Rahmen hineinstopfen? Ich sehe bei aller Wertschätzung dafür derzeit keinen Platz mehr, Jugendpartizipation gut einzubauen.“
Dennoch sind 60 Prozent der Meinung, dass es genügend Mitbestimmungsmöglichkeiten an ihrer Schule gibt. Am häufigsten findet Partizipation über Klassensprecher*innen (93 %) und Schulsprecher*innen (68 %) statt. Eine Schulversammlung (24 %) oder Klassenräte (17 %) sind weniger weit verbreitet. 60 Prozent der Lehrkräfte haben auch selbst bereits Partizipation umgesetzt – die meisten davon innerhalb der Schule, knapp 20 % auch außerhalb.
Übrigens: Eine Studie der PH Vorarlberg zeigt, dass Schüler*innen, die mehr mitentscheiden dürfen, die Lerninhalte interessanter finden und lieber zur Schule gehen. Am wichtigsten ist Schüler*innen demnach Mitbestimmung bei Unterrichtsthemen und Hausübungen sowie bei Klassenfahrten und der Sitzordnung. Bei den beiden ersten Punkten liegen Wunsch und Realität besonders weit auseinander. (Quelle: Kompass Partizipation, 2022)
95 Prozent der Lehrkräfte fühlen sich mitverantwortlich für die Demokratiebildung ihrer Schüler*innen. Der Großteil ist auch der Meinung, genug dafür zu tun (86 %). Viele Lehrkräfte betonen jedoch, dass Demokratiebildung nicht allein Aufgabe der Schule sein kann. Sie beobachten, dass die Jugendlichen Demokratie grundsätzlich positiv sehen (91 %) und viele auch ein altersgerechtes demokratisches Verständnis haben (72 %). Allerdings geben 31 Prozent der Lehrkräfte an, dass Radikalisierung und Extremismus in ihren Klassen vorkommen.
Lehrkräfte berichten, dass viele Schüler*innen Demokratie und unser Sozialsystem als selbstverständlich wahrnehmen und meinen: „Das steht mir ja zu!“ Die Lehrer*innen erleben, dass es durch negative Vorbilder in Gesellschaft und Politik schwierig ist, junge Menschen davon zu überzeugen, die eigene Meinung zu vertreten und eine gute Gesprächskultur zu etablieren.
Uneinig sind sich die Lehrkräfte dabei, wie (leicht) sich Demokratiebildung in den Unterricht integrieren lässt. Die Berichte reichen von „Ich kann nur bei wenigen Texten (wenn es eben inhaltlich passt) Demokratiebildung einbauen“ bis hin zu „Demokratiebildung ist lebenswichtiger als manche (in meinem Fall: mathematischen) Lehrplaninhalte und lässt sich in fast allen Gegenständen und Supplierstunden unterbringen“. Der Bedarf an zusätzlicher Unterstützung bei Demokratiebildung ist jedenfalls groß (84 %). Besonders gebraucht werden Materialien (72 %), Weiterbildungen (56 %) und externe Workshop-Angebote (49 %).
Eine Lehrkraft schreibt in der Umfrage: „Schule in der derzeit gelebten Form ist kein Ort der Demokratie. Die Macht geht nicht von den Schüler*innen, sondern von einer höheren Hierarchieebene aus. In einem solchen zutiefst undemokratischen System müssen Jugendliche Demokratiebildung geradezu als Hohn empfinden. Die beste Art, junge Menschen für Demokratie zu begeistern, wäre, sie tatsächlich mitbestimmen zu lassen.“
Die Ergebnisse basieren auf einer Befragung des öbv unter 233 Lehrkräften aller Schulformen österreichweit (Befragungszeitraum: Juni 2024 und Jänner 2025).
Dieser Artikel ist Teil des öbv-Whitepapers „Partizipation in der Schule“.