So geht Partizipation im Schulalltag

07 Whitepaper Titelbild Methoden

Es gibt viele Möglichkeiten, Schüler*innen im Schulalltag mitgestalten zu lassen. Hier stellen engagierte Personen drei konkret umsetzbare Methoden vor und viele Lehrkräfte teilen ihre Erfahrungen.

Klassenrat

Schüler*innen diskutieren wöchentlich in einem demokratischen Forum über selbstgewählte Themen rund um ihr Zusammenleben in der Klasse.

Alter: ab ca. 8 Jahren (zuvor Heranführen möglich)
Dauer: 30 Minuten (wöchentlich)
Raumbedarf/Material: Sesselkreis, evtl. Rollenkarten

Nutzen: bessere Klassengemeinschaft, Kommunikations- und Sozialkompetenz, Demokratiebildung

Vorbereitung:

  • Schüler*innen bringen vorab Themen ein (über Wandplakat/Briefkasten). Erlaubt sind alle Anliegen, die mindestens drei Schüler*innen betreffen und nicht gegen Regeln verstoßen
  • Rollen verteilen: Vorsitzende*r (leitet die Sitzung), Regelwächter*in (achtet auf Einhaltung der Regeln), Protokollant*in (hält Ergebnisse fest), Zeitwächter*in (achtet auf Zeitplan), Ratsmitglieder (bringen ihre Anliegen und Meinungen ein)

So geht’s:

  1. Schüler*innen stellen einen Sesselkreis auf.
  2. Vorsitzende*r begrüßt und benennt die Rollen.
  3. Protokollant*in liest Beschlüsse des letzten Klassenrats vor. Wurden sie umgesetzt? Noch offene Themen werden in die aktuelle Tagesordnung übernommen.
  4. Vorsitzende*r liest die gesammelten Themenvorschläge vor und die Klasse legt daraufhin die Tagesordnung mit ungefährer Zeitaufteilung fest. (Zu viele Themen? Dann wird über die Reihenfolge/Priorisierung abgestimmt.)
  5. Anliegen werden besprochen:
    1. Wer das Thema eingebracht hat, erläutert das Anliegen.
    2. Die Klasse bespricht und diskutiert das Thema.
    3. Vorsitzende*r fragt Klasse nach Lösungs-/Beschlussvorschlägen.
    4. Klasse stimmt über die Vorschläge ab.
  6. Klasse bespricht, wie sie angenommene Vorschläge umsetzen wird.
  7. Fünf Minuten vor Schluss: Protokollant*in liest alle Beschlüsse vor.
  8. Vorsitzende*r bedankt sich bei allen und beendet den Klassenrat.
„Lehrkräfte haben im Klassenrat eine ungewohnte Rolle: Sie leiten nicht den Klassenrat, sondern unterstützen die Klasse nur bei der Gestaltung. Darauf muss man sich erst einmal einstellen!“ Gregor Ruttner-Vicht

Tipps:

  • In der ersten Sitzung des Klassenrats empfiehlt es sich, Ablauf und Rollen zu erklären, gemeinsam Regeln zu vereinbaren und auf einem Plakat festzuhalten sowie Rollen zu verteilen und zu vereinbaren, für wie lange sie vergeben werden.
  • Hilfreiches Material sind Rollenkarten oder Vorlagen für Protokoll und Themenvorschläge (Inspiration gibt es online!)
  • Falls einmal keine Themen eingebracht werden, nehmen Sie sich Zeit für eine Feedbackrunde oder ein Training zum Klassenrat.
  • Greifen Sie nicht zu früh ein, wenn etwas nicht rund läuft. So lernen Schüler*innen, selbst Verantwortung zu übernehmen.



Gregor Ruttner-Vicht setzt als Freizeit- und Theaterpädagoge Workshops zu Demokratiebildung und Theaterpädagogik mit Kindern und Jugendlichen in ganz Europa um.

Fotocredit: Andrea Zehetner

7 Methoden Foto Klassenrat c Andrea Zehetner

Soziokratische Klassensprecher*innenwahl

Die soziokratische Wahl ist eine demokratische Methode, um Klassensprecher*innen nicht durch eine Mehrheitswahl, sondern durch eine transparente und wertschätzende Wahl zu bestimmen.

  • Alter: ab ca. 14 Jahren
  • Dauer: idealerweise 4 x 2 Unterrichtseinheiten (individuelle Anpassung möglich, Stundenbild & Erfahrungsberichte auf levelupdemocracy.com)
  • Raumbedarf/Material: Sitzkreis, (digitale) Tafel oder Flipchart

Nutzen: Entscheidungsfindung auf Augenhöhe, gestärkte Klassengemeinschaft, soziale und kommunikative Kompetenzen, Verantwortungsübernahme, praktische Demokratiebildung

Vorbereitung:

  • Die Klasse entwickelt gemeinsam eine Rollenbeschreibung für das Klassensprecher*innenteam: Welche Aufgaben gibt es? Welche Fähigkeiten sind dafür wichtig?

So geht’s:

  1. Erste Nominierungsrunde: Alle Schüler*innen nominieren eine Person, die sie für geeignet halten. Dazu führen sie Argumente an, die sich an der erarbeiteten Rollenbeschreibung orientieren. (Auch Selbstnominierung ist möglich.) Die nominierten Namen und Argumente werden für alle sichtbar notiert. Es wird aber keine Mehrheitsliste geführt.
  2. Zweite Nominierungsrunde: Die Schüler*innen haben die Möglichkeit, ihre Meinung auf Grundlage der Argumente zu überdenken, weitere Nominierungen zu ergänzen und Ideen für das Team vorzuschlagen.
  3. Wahlvorschlag formulieren: Auf Basis der Argumente und der erforderlichen Eigenschaften laut Rollenbeschreibung wird nun von einer Person ein Vorschlag für das Klassensprecherteam formuliert.
  4. Konsent abfragen: Alle werden nun gefragt, ob sie einen Einwand gegen den Vorschlag haben. „Konsent“ bedeutet „Ich habe keinen Einwand“. Falls es Einwände gibt, werden sie gehört und es wird gemeinsam eine bessere Lösung entwickelt.
  5. Wahl abschließen: Wenn alle zustimmen, werden die Gewählten gefragt, ob sie die Rolle übernehmen möchten. Die Wahl wird mit einem Ritual oder einer kleinen Feier abgeschlossen.
„Diese Wahlmethode stärkt nicht nur demokratische Entscheidungsfindung, sondern auch das Bewusstsein für Verantwortung und Leadership. Die Schüler*innen erleben, dass sie gemeinsam tragfähige Entscheidungen treffen können.“ Lisa Praeg

Tipps:

  • Die Lehrperson moderiert den Prozess, gibt aber keine inhaltliche Richtung vor.
  • Reflexionsrunden nach der Wahl helfen, den Prozess und das Erlebte zu verarbeiten.

Nicht so viele Unterrichtseinheiten zur Verfügung? Das Sprechen im Kreis, die Meinungsrunden und das Hören und Integrieren der Einwände braucht auf jeden Fall mehr Zeit als reines Abstimmen. Du kennst deine Schüler*innen am besten und weißt, wie viel Kultur- und Wertearbeit ihr schon etabliert habt. Achte jedenfalls darauf, dass du den Prozess nicht aus Zeitgründen abbrechen musst und damit in die Falle der Scheinbeteiligung tapst. Falls du weniger Zeit hast, könnt ihr zumindest die Rollenbeschreibung gut ausformulieren. Du kannst dich orientieren an Erfahrungsberichten von Lehrkräften, die den Wahlprozess individuell angepasst haben.

„Der Konsentprozess stellt sicher, dass jede Stimme zählt und die geeignetsten statt die beliebtesten Schüler*innen ins Amt gewählt werden.“ Lisa Praeg

Mehr Infos: www.levelupdemocracy.com

Lisa Praeg ist Gründerin des Büros für Kollaborationskultur. Sie initiiert und begleitet Beteiligungsprozesse, politische Bildungsprojekte und soziale Innovationen. (www.kollaborationskultur.com)

Fotocredits: Max Lichtenberg

7 Methoden Foto soziokratische Klassensprecher Innenwahl c Max Lichtenberg cropped

Abwandlung basierend auf dem

Veto-Prinzip

von Maike Plath

Schüler*innen dürfen sich im Unterricht eine Auszeit oder Raum zum eigenständigen Arbeiten nehmen und von der Lehrkraft Klarheit, Verantwortung oder ein anderes Tempo einfordern.

Alter: ab der Volksschule möglich
Dauer: im Rahmen des normalen Unterrichts, kein extra Zeitbedarf
Raumbedarf/Material: Veto-Kärtchen in Klassenstärke

Nutzen: Unterricht auf Augenhöhe, Einüben von Selbstverantwortung, Lernen nach eigenen Bedürfnissen, intrinsische Motivation

Vorbereitung:

  • Karten in Klassenstärke vorbereiten oder online bestellen (idealerweise in verschiedenen Farben und mit Erklärung auf der Rückseite)
    • Klarheit: „Die Lehrkraft muss einen anderen Weg finden, das zu erklären.“
    • Aussteigen und selber fahren: „Ich möchte lieber allein weiterarbeiten und brauche dafür gerade keine Hilfe.“
    • Tempo: „Es geht mir zu schnell oder zu langsam.“ (beim Kind nachfragen, wenn unklar ist, ob zu langsam oder zu schnell)
    • Veto: „Ich nehme mich bewusst aus dem Unterricht heraus.“ (z. B. Aufgabe nicht mitmachen, Kopf auf den Tisch legen)
    • Verantwortung: „Die Lehrkraft muss die Verantwortung für die Gruppe übernehmen.“ (z. B. als Hinweis, wenn unabsichtlich ein Kind überfordert/beleidigt wird)
  • Den Schüler*innen das Konzept erklären
„Dass alle Kinder auf einmal die Erklärung verstehen, ist sehr unwahrscheinlich. Es braucht die Möglichkeit, zu signalisieren ‚Das ist mir noch nicht klar‘, ohne sich dabei zu exponieren.“ Maria Lodjn

So geht’s:

  1. Die Schüler*innen dürfen die Veto-Kärtchen im Unterricht jederzeit einsetzen, d. h. vor sich legen. So lernen sie, auf ihre Bedürfnisse zu achten und Verantwortung für sich zu übernehmen. Aus Hierarchie wird Arbeiten auf Augenhöhe.
  2. Die Schüler*innen setzen die Karten so oft und lange ein, wie sie möchten. Das wird ohne Wenn und Aber akzeptiert, sie müssen keine Begründung nennen. Weil sie eine Auszeit nehmen können, wenn sie diese brauchen, nehmen sie normalerweise schnell wieder am Unterricht teil.
„Schüler*innen sitzen viele Stunden in der Klasse und folgen vorgegebenem Programm. Sie haben keine Chance, auf sich selbst zu achten. Wenn Sie in Zukunft Verantwortung für sich übernehmen sollen, müssen sie das jetzt schon lernen!“ Maria Lodjn

Tipps:

  • Starten Sie zunächst mit zwei Jokern (am besten mit den Karten „Klarheit“ und „Aussteigen und selber fahren“).
  • Suchen Sie Verbündete, sodass mehrere Lehrkräfte das Konzept einsetzen.
  • Gehen Sie davon aus, dass die Joker anfangs inflationär verwendet werden. Schüler*innen testen, ob das Angebot ernst gemeint ist. Mit der Zeit pendelt sich das auf ein normales Niveau ein.
  • Nehmen Sie die Joker nicht persönlich. Sie bedeuten keine Kritik an Ihnen.
  • Es braucht Gelassenheit und Humor. Falls die Methode nicht ideal funktioniert: Passen Sie ggf. die Joker an oder stellen Sie auf andere Art die Augenhöhe her.
„Das System ‚Wer sich am besten anpasst, gewinnt‘ ist schon lange überholt.“ Maria Lodjn

Mehr dazu: act-berlin.de; Fortbildungsanfragen an maria.lodjn@gmx.at (ab 10 Personen)

Maria Lodjn ist seit 30 Jahren Lehrerin und unterrichtet an einer Mittelschule im 20. Bezirk.

7 Methoden Foto Veto Prinzip c Dario Stefanek

So leben Lehrkräfte Partizipation im Schulalltag

„Im Turnunterricht werden Regeln für Spiele gemeinsam erarbeitet, ausprobiert und dann wird abgestimmt, welche Regeln übernommen werden und welche verworfen werden, weil sie sich nicht
bewährt haben.“

„Ich entscheide mit den Schüler*innen gemeinsam, welche Themen im Unterricht behandelt werden.“

„Die Schüler*innen können mitentscheiden, welche Form der Leistungskontrollen (abgesehen von den gesetzlich vorgeschriebenen) sie für die Beobachtungsnote erbringen müssen.“

„Schüler*innen treffen sich regelmäßig im, Schulparlament‘. Sie bringen Probleme ein, diskutieren sie, entwickeln Lösungsvorschläge und handeln mit der Schulführung Entscheidungsprozesse aus.“

„Bei uns gibt es eine gemeinsame Terminfindung für Tests.“

„Seit der 1. Klasse haben die Kinder in meinen Klassen Mitbestimmungsrechte: über Klassenregeln, Unterricht, Lehrausgänge usw. Alles, was ihnen ein Anliegen ist, wird im regelmäßigen Klassenrat besprochen.“

„Kinder sollten mehr Verantwortung für Instandhaltung übernehmen und in die Gestaltung ihres unmittelbaren Umfeldes eingebunden sein. Das beginnt schon bei Reinigung und Reparatur von Spielen. Sie sollten bei Anschaffungen für die Klasse eine beratende Funktion haben.“

„Ich leite die Schulbibliothek und seit letztem Schuljahr gibt es eine unverbindliche Übung: Die Schüler*innen dürfen dabei über einen Teil des Budgets verfügen, Schwachstellen im Mediensortiment benennen und Vorschläge machen, was wir anschaffen. So haben wir etwa ein gut sortiertes Manga-Regal aufgebaut. Der nächste Wunsch ist, mehr Jugendliteratur mit diversen und queeren Protagonisten anzuschaffen.“

„Wir haben eine schulinterne Online-Plattform, um anonymisiert Vorschläge abzugeben und darüber abzustimmen. Die Vorschläge werden dann im Schulgemeinschaftsausschuss besprochen.“

„Ich könnte mir vorstellen, dass eine eingeschulte Gruppe auch bei der Auswahl des Schul-Mittagessens mitarbeiten kann.“

„Am besten ist das Beispiel Wandertag: Ich lasse die Schüler*innen Vorschläge machen. Dann besprechen wir die Vorteile des einen oder anderen Ziels. Oder ich bringe selbst Ideen ein. Am Ende entscheidet dann die Mehrheit.“

„Was bei uns sehr gut funktioniert hat: Schüler*innen aus der 7.–10. Schulstufe durften entscheiden, wo sie in der Schule einen Veränderungsprozess wollen. Sie haben sich für die Renovierung der Toiletten entschieden. Das fand die Schulleitung erst uninspirierend, es hat dann aber dazu geführt, dass die Jugendlichen sehr engagiert waren.

(Zitate aus der öbv-Lehrkräfteumfrage 2024/25)

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