Mehr Mitsprache, mehr Zukunft

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Warum Partizipation entscheidend ist, welche Rolle Schulen spielen und was Expert*innen sagen.

Radikalisierung, Fake News, Politikverdrossenheit – die Demokratie in Österreich steht unter Druck. Wenn Demokratie unter Druck gerät, ist Demokratiebildung ist besonders wichtig. Am besten findet sie dort statt, wo sie alle erreicht: in der Schule. Und am wirksamsten erwerben junge Menschen sie, wenn sie selbst demokratische Prozesse miterleben. Aber wie demokratisch sind die Schulen organisiert? Wie viel können Schüler*innen dort mitreden?

Wer früh erfährt, dass die eigene Stimme zählt, entwickelt eher ein demokratisches Bewusstsein. Schule spielt hier eine zentrale Rolle: Nur sie erreicht (fast) alle jungen Menschen. Und Untersuchungen zeigen, dass Jugendliche, die zur Schule gehen, politisch informierter sind als jene, die es nicht tun.

„Die Senkung des Wahlalters fördert das politische Engagement junger Menschen.“ Charlotte Jüsten (BJV)

Ein großer Schritt in Sachen Jugendpartizipation war die Senkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre im Jahr 2007. Dieses ein Novum machte das Österreich international zu einer Vorreiternation. Maßgeblich vorangetrieben wurde diese Änderung von der Österreichischen Bundesjugendvertretung (BJV). „Wir haben uns intensiv für die Senkung des Wahlalters eingesetzt, weil das aktive Wahlrecht eine der wichtigsten Formen der politischen Mitsbestimmung ist. Die Senkung des Wahlalters fördert besonders das politische Engagement junger Menschen“, so Charlotte Jüsten, Referentin für Kinder- und Jugendpolitik der BJV.

Die Schule als Wiege der Demokratie

Demokratiebildung ist in Österreich bereits jetzt als übergeordnetes Unterrichtsprinzip verankert und sollte demnach in allen Fächern vermittelt werden. Maßgeblich findet sie natürlich im Fach Geschichte und Politische Bildung statt. Im kommenden Schuljahr soll zudem in der Sekundarstufe I ein eigenes Schulfach für Demokratiebildung eingeführt werden.

Die aktuelle Bundesschulsprecherin Mira Langhammer sieht das geplante Unterrichtsfach als ein wichtiges Signal: „Demokratiebildung muss alle erreichen. Ob und wie intensiv sie vermittelt wird, darf nicht dem Zufall überlassen werden. Wichtig ist jedoch: In diesem Fach sollen nicht bloß Zahlen und Fakten auswendig gelernt und abgefragt werden. Es soll vielmehr Raum für Diskurs, Diskussion und auch kontroverse Debatten bieten.“

Demokratiebildung muss alle erreichen. Ob und wie intensiv sie vermittelt wird, darf nicht dem Zufall überlassen werden. Mira Langhammer (Bundesschulsprecherin)

Jüsten erklärt, dass sich Jugendpolitik durch alle Lebensbereiche zieht, es aber durchaus Fächer und Themen gibt, die Jugendliche aktuell besonders beschäftigen: „Klima, Teuerung, Krieg und psychische Gesundheit machen jungen Menschen besonders große Sorgen. Umso wichtiger ist es, diese Themen gemeinsam zu bearbeiten und ihnen in
der Schule Raum zu geben.“

Doch was braucht es, um Jugendliche nachhaltig für gelebte Demokratie zu begeistern? Wo fängt man an? „Demokratie und Beteiligung beginnen überall dort, wo wir gemeinsame Regeln aushandeln – in der Familie, im Freundeskreis sowie in der Schule. Damit Demokratie in der Bildung erlebbar wird, müssen demokratische Strukturen aktiv im Unterricht eingebunden werden. Zum Beispiel, indem Ideen und Vorschläge der Schüler*innen aufgegriffen und gemeinsam umgesetzt werden“, meint Jüsten.

„Moderierte Diskussionen spielen eine zentrale Rolle. Unterschiedliche Meinungen müssen nicht nur zugelassen, sondern aktiv gefördert werden.“ Stephan Schweighofer (Uni Salzburg)

Auch Stephan Schweighofer, Erziehungswissenschaftler an der Universität Salzburg, betont den Wert der eigenen Erfahrung: „Beim Vermitteln demokratischer Werte geht es vor allem darum, den Schüler*innen echte Entscheidungsmacht zu übertragen. Nur so lernen sie, ihre Entscheidungsfreiheit in einer Demokratie verantwortungsvoll zu
nutzen.“ Besonders wichtig ist für ihn dabei das Fördern von Meinungsvielfalt: „Moderierte Diskussionen spielen eine zentrale Rolle. Unterschiedliche Meinungen müssen hier nicht nur zugelassen, sondern aktiv gefördert werden. Und wenn wir wirklich alle abholen möchten, müssen wir gezielt aufzeigen, welche Vorteile die Demokratie nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für Einzelpersonen bietet.”

„Schule, wie sie aktuell organisiert ist, ist nicht demokratisch. Mitsprachemöglichkeiten sind sehr eingeschränkt – für Lernende wie für Lehrende.“ Werner Prinzjakowitsch (Verein Wiener Jugendzentren)

Doch oft fehlt es am Wissen über passende partizipative Formate – teilweise auch an strukturellen Möglichkeiten. „Aktuell ist Schule, wie sie gemeinhin organisiert ist, keine demokratische Institution. Die Mitsprachemöglichkeiten sind sehr eingeschränkt – nicht nur für Lernende, sondern auch für Lehrende“, kommentiert Werner Prinzjakowitsch, Pädagogische Bereichsleitung im Verein Wiener Jugendzentren.

Von der Theorie zur Praxis

Einen gewissen Spielraum haben Lehrkräfte im Unterricht natürlich schon: Denn sie bestimmen, wie sie ihre Lerninhalte vermitteln. Einige Lehrkräfte bzw. Schulen in Österreich machen es bereits vor: Jugendparlamente, Praxisprojekte zu aktuellen gesellschaftspolitischen Herausforderungen oder Kooperationen mit Gemeinden schaffen greifbare Partizipationsmöglichkeiten.

Verschiedene Institutionen bieten Schulen unterstützende Programme, so beispielsweise das Jugendparlament WordUp! in Wien, bei dem Schüler*innen der 7. und 8. Schulstufe die Chance haben, ihren Bezirk mitzugestalten. „Im Jugendparlament erleben Jugendliche hautnah, wie repräsentative Demokratie funktioniert – und dass sie Kompromisse erfordert. Es wird spürbar, dass es nicht darum geht, immer genau das zu bekommen, was man selbst will. Das Ziel ist vielmehr, Gleichgesinnte zu finden, Lösungen zu erarbeiten und gemeinsam etwas zu bewegen. Und das kann herausfordernd sein – selbst bei scheinbar kleinen Entscheidungen wie der Platzierung einer neuen Parkbank“, erklärt Prinzjakowitsch, der auch Koordinator dieser Jugendparlamente ist. „Gleichzeitig, und das wird oft unterschätzt, lernen auch die beteiligten Erwachsenen viel über die Bedürfnisse junger Menschen und die Vielfalt ihrer Meinungen.“

Ein Aufruf an Lehrkräfte und Bildungspolitik

Trotz hilfreicher Angebote wie dem Jugendparlament besteht in Sachen Partizipation in der Schule noch Aufholbedarf. Sie ist der erste Ort, an dem junge Menschen Demokratie erleben, und damit auch der Ort, an dem die Grundlage für eine aktive und verantwortungsbewusste Teilhabe geschaffen werden sollte. Doch das gelingt nur, wenn das gesamte Bildungssystem Partizipation und Demokratiebildung als gelebte Praxis versteht und den Mut hat, Jugendlichen echte Verantwortung zu übertragen.

„Demokratiebildung ist Zukunftsbildung. In einer sich stetig verändernden Welt ist es wichtiger denn je, dass wir früh lernen, selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Die Jugend ist die Zukunft – und sie muss sie aktiv mitgestalten“, erläutert Bundesschulsprecherin Langhammer abschließend.

Unsere Zitatgeber*innen

  • Charlotte Jüsten ist Referentin für Kinder- und Jugendpolitik der gesetzlich verankerten Bundesjugendvertretung (BJV).
  • Stephan Schweighofer ist Erziehungswissenschaftler an der Universität Salzburg und arbeitet zu den Themen European Citizenship Education, Demokratiebildung und Partizipation.
  • Werner Prinzjakowitsch ist pädagogische Bereichsleitung im Verein Wiener Jugendzentren mit Fokus auf Politische Bildung und Extremismusprävention. Zudem ist er Fachaufsicht der Fachstelle Demokratie und Koordinator der WordUp! Jugendparlamente.
  • Mira Langhammer ist die österreichische Bundesschulsprecherin 2024/25 und AHS-Landesschulsprecherin für Niederösterreich.

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