Künstliche Intelligenz ist für Schüler*innen längst Teil des (Schul-)Alltags geworden. Gleichzeitig fehlt es vielen an Bewusstsein für Einschränkungen und Risiken. Wie steht es um die KI-Kompetenz?
Dieser Artikel ist Teil des öbv-Whitepapers "KI im Klassenzimmer".
Spätestens seit dem Launch von ChatGPT ist eine generative KI-Lösung für die breite Masse verfügbar, die auch vor den Schultüren nicht haltmacht. Es steht außer Frage, dass Künstliche Intelligenz für einen großen Teil der Schüler*innen bereits Teil des (Schul-)Alltags geworden ist – ob für Recherchen zu Referaten oder für das Schreiben einer Analyse. Gleichzeitig fehlt es vielen von ihnen an
Bewusstsein für Einschränkungen und Risiken.
Trotzdem wünschen sich die wenigsten Lehrkräfte ein Verbot. Bei einer öbv-Umfrage im Oktober 2023 unter 334 Lehrkräften zeigte sich, dass nur 11 % für ein tatsächliches Verbot plädieren.
„Generative KI-Werkzeuge sollten im Bildungsbereich intensiv genutzt und keinesfalls verboten werden”, sagt KI-Beraterin Sabine Singer dazu. Um Künstliche Intelligenz verantwortungsvoll einzusetzen, ist es laut Singer unerlässlich, dass Kinder und Jugendliche bereits frühzeitig ein tiefgreifendes Verständnis für die Funktionsweise, aber auch die Stolperfallen generativer KI-Systeme entwickeln. Dazu gehört das Wissen darüber, wie diese Systeme trainiert werden und wie sie Inhalte generieren. Um diese Inhalte zu überprüfen, braucht es laut der Expertin vor allem kritische Informationskompetenz, bestehend aus Recherche-Skills und Quellenkunde.
„Nur wenn junge Menschen die Funktionsweise von KI wirklich verstehen und ein starkes Wertefundament sowie einen ethischen Kompass mitbekommen, können sie die Ergebnisse von KI-Systemen kritisch hinterfragen und sicher nutzen. Und wenn sie diese Reflexionsprozesse nicht in der Schule lernen – wo dann?“, sagt sie.
Doch wie kann es gelingen, Schüler*innen diesen kritischen Umgang zu vermitteln? Wie können Lehrkräfte den Schüler*innen, die oft technologieaffiner sind als sie, die notwendigen digitalen Grundkompetenzen mitgeben?
Die relevanteste Maßnahme ist laut Singer die regelmäßige, fächerübergreifende Nutzung von KI-Programmen im Unterricht gemeinsam mit der Lehrkraft: „KI sollte zum täglichen Unterrichtswerkzeug werden – mit ihr lassen sich Bildungsthemen auf eine neuartige und umfassende Art erkunden, die spielerisch und explorativ sein kann. Mit personalisierten KI-Tutoren können Schüler*innen ihre Interessen und Stärken erkennen und optimal individuell gefördert werden”, so Singer.
Damit das gelingt, brauchen die Lehrenden sinnvolle Rahmenbedingungen und Kompetenzen für den KI-Einsatz, die heute oft noch fehlen. Dabei kann KI Lehrkräfte auf vielen Ebenen unterstützen und entlasten: Die Unterrichtsvorbereitung, bürokratische Aufgaben und Korrekturen gelingen mithilfe von KI schneller und gleichzeitig übt sich so auch die Lehrkraft regelmäßig in der KI-Nutzung.
Die KI-Expertin stellt fest, dass es vor allem Zeit, geeignete Weiterbildungsangebote sowie einen intensiven und offenen Austausch braucht: „Durch kollaborative Projekte können Lehrkräfte und Lernende ihre Fähigkeiten bündeln und voneinander profitieren. Schüler*innen berichten von ihrer Nutzung neuester Technologie, während Lehrkräfte zur Reflexion zur Verfügung stehen und Quellenkunde vermitteln.”
Unabhängig von der etwaigen KI-Expertise haben Lehrkräfte tiefgreifendes Fachwissen in der Quellenkritik – eine ganz essentielle Kompetenz für den Umgang mit KI. „Eine der wichtigsten Aufgaben ist es aufzuzeigen, wie irreführend und ‚biased‘, also voreingenommen, KIs sind. Durch interaktive Beispiele kann genau das gezeigt werden. Die gemeinsame Erstellung von Bildmanipulationen, Deepfakes und gefälschten Videos zeigt praxisnah, wie manipulativ digitaler Content sein kann.
Sabine Singer Gründerin und CEO von Sophisticated Simplicity
Diskurse mit der KI über Gesellschaftspolitisches machen sichtbar, dass Vorurteile und Stereotype aus unserer Vergangenheit teilweise ebenso von KI übernommen werden”, regt Singer zur Reflexion an und betont: „Nicht nur Jugendliche, sondern wir alle müssen lernen, Informationen nicht blind zu konsumieren, sondern stets genau hinzuschauen, was wir konsumieren und wie seriös die Quelle ist.”
Doch wie sollen Lehrkräfte diese riesige Aufgabe zusätzlich zu ihrer ohnehin schon hohen Belastung stemmen? Singer fordert: „Auch wenn Lehrkräfte langfristig diese große Aufgabe übernehmen werden, sollten sie jetzt nicht allein gelassen werden. Praktiker*innen und KI-Expert*innen aus der Wirtschaft sollten Schulen besuchen und dort individuelle Trainings und Workshops halten – vielleicht sogar gemeinsam mit Lehrkräften Unterrichtsformate entwickeln. Es braucht regelmäßige Fortbildungen und Informationen für Lehrkräfte zu neuen technologischen Entwicklungen sowie Tipps zu passenden Unterrichtsmethoden.”
Egal ob Lehrkräfte KI bereits einsetzen oder nicht – fest steht, dass generative KI eine unserer größten technologischen Errungenschaften und zugleich auch eine der herausforderndsten ist. „KI wird in allen Lebens- und Arbeitsbereichen Einzug halten und sich unsichtbar in unsere Gesellschaft verweben. Gerade im Bildungsbereich ist das Potenzial von generativer KI immens und heute schon gut sichtbar. Um die neue Generation fit für die Zukunft zu machen, ist ein rasches Umdenken sowie eine fundamentale Reorganisation unseres Bildungsbereiches unerlässlich“, schließt die KI-Expertin ab.
In einer öbv-Umfrage im März 2024 ordneten 276 Lehrkräfte ein, welche Kompetenzen aus ihrer Sicht essenziell sind, um KI sinnvoll zu nutzen. Dabei reihten sie sieben im öffentlichen Diskurs häufig genannte Kernkompetenzen. Die Übersicht zeigt, wie viele Lehrkräfte die jeweilige Fähigkeit unter die wichtigsten drei Fähigkeiten eingeordnet haben.
Sabine Singer hält Kreativität und Problemlösungskompetenz für am wichtigsten. Dann kommen für sie Ethik und soziale Verantwortung und an dritter Stelle liegt die kritische Denkfähigkeit.
Dieser Artikel ist Teil des öbv-Whitepapers "KI im Klassenzimmer".
Sabine Singer ist Gründerin und CEO von Sophisticated Simplicity — eine Business Academy für wertebasierte Geschäftsentwicklung. Ebenso ist sie Ambassador von Women in AI Austria: Der gemeinnützige Verein ist Teil einer globalen Gemeinschaft von Expertinnen und Impulsgeberinnen zu Künstlicher Intelligenz, die sich mit den Auswirkungen von KI auf die Gesellschaft beschäftigt und Frauen ein Sprachrohr gibt, um diese Zukunft mitzugestalten.