Ob unbewusst beim Blick auf die Wetter-App oder bewusst bei der Texterstellung mit ChatGPT – KI ist mittlerweile Teil unseres Alltags. Wie gehen Lehrkräfte damit um und was sagen Expert*innen?
Dieser Artikel ist Teil des öbv-Whitepapers "KI im Klassenzimmer".
Seit der Einführung von ChatGPT Ende 2022 ist Künstliche Intelligenz präsenter denn je zuvor. Das Tool schafft einen niederschwelligen Zugang in die komplexe Welt der KI und macht erlebbar, was zuvor IT-Fachkräften vorbehalten war. Vielen Menschen war gar nicht klar, dass sie schon längst täglich mit Künstlicher Intelligenz in Kontakt waren. Seither löst das Thema viele Diskussionen aus: Wie wird KI unser Leben in Zukunft beeinflussen? Wird sie unsere Berufe überflüssig machen und uns Arbeitsplätze wegnehmen? Oder wird sie uns entlasten, indem sie zeitaufwendige repetitive Aufgaben übernimmt? Kann KI ein Eigenleben entwickeln? Selbst die Programmierer*innen können ja nicht prognostizieren, welche Ergebnisse die Künstliche Intelligenz genau liefert. ChatGPT beispielsweise gibt bessere Antworten, wenn man besonders emotional nach Hilfe fragt oder der Künstlichen Intelligenz monetäre Anreize bietet – durchaus menschliche Züge.
Den Umgang mit generativer Künstlicher Intelligenz haben sich seither viele Menschen selbst beigebracht. Sie haben verschiedene Prompts eingegeben und nach dem Trial-and-Error-Prinzip geschaut, was passiert. Doch sollte eine so weltverändernde Technologie nicht auch in der Schule Platz finden? Hier spalten sich (noch) die Geister. Christoph Helm und Cornelia Große, Bildungsforscher*innen der Johannes Kepler Universität Linz, haben verschiedene Studien zusammengefasst. Die Analyse zeigt ein differenziertes Bild: Einerseits sehen viele Lehrkräfte in KI das Potenzial, gutes Lernen zu fördern, und möchten sie besser ins Bildungssystem einbinden. Andererseits beklagen sie den Mangel an Fortbildungen, finanzieller Unterstützung und rechtlichen Rahmenbedingungen. Schüler*innen äußern die Sorge, dass sich Mitschüler*innen durch Künstliche Intelligenz unfaire Vorteile verschaffen könnten. Eltern befürchten ebenfalls, dass Schummeln durch die Technologie erleichtert werden könnte, und haben Bedenken zum Datenschutz.
Ob und wie Lehrkräfte Künstliche Intelligenz bereits nutzen, hängt sehr stark von der persönlichen Erfahrung, dem Schultyp sowie den Fächern ab. In Fremdsprachen und Mathematik wird KI besonders häufig eingesetzt, ebenso wie in berufsbildenden höheren Schulen. Lehrkräfte, die KI auch privat nutzen, setzen sie häufiger im Unterricht ein. Die öbv-Befragung zeigt: Lehrkräfte, die KI im Schulkontext verwenden, holen sich so etwa Ideen zur Unterrichtsvorbereitung (57 %). Auch zur Erstellung von Arbeitsblättern (54 %) oder Material für verschiedene Lernniveaus (34 %) ist Künstliche Intelligenz beliebt. Aber natürlich wird KI auch im Unterricht selbst verwendet (49 %). Gleichzeitig herrscht ein enormer Bedarf an Schulung: 73 % der Lehrkräfte wünschen sich mehr Weiterbildung zum Umgang mit KI. „KI wird kommen, KI ist auch nicht zu stoppen – wichtig ist der richtige Umgang“, sagte beispielsweise eine Lehrperson. 71 % der Lehrkräfte sind so auch der Meinung, dass junge Menschen den Umgang mit Künstlicher Intelligenz in der Schule lernen sollten.
Andere Studien geben Einblick in die Nutzung unter Schüler*innen (PwC, Februar 2023): Jugendliche gaben an, Künstliche Intelligenz für Nachhilfe und Prüfungsvorbereitung zu nutzen (57 %), ebenso für schriftliche Arbeiten (38 %) sowie zum Schummeln (33 %).
„Tatsache ist, dass KI unseren Alltag bestimmen wird, deswegen sollte sich die Schule nicht davor verschließen“, merkte eine Lehrkraft in der öbv-Umfrage an. Doch wie genau kann ein sinnvoller Umgang mit Künstlicher Intelligenz in der Schule aussehen? „KI kann aufwendige Recherchen ersparen, sie kann ein Grundgerüst oder eine Basis zu komplexen Themen liefern“, meint Bildungspsychologin Christiane Spiel. „KI kann auch konkret aufgegriffen werden, indem die Schüler*innen beispielsweise den Einsatz von KI zur Wissensvermittlung bewerten.“ Dass sich dadurch auch die Art und Weise, wie Lehrkräfte ausgebildet werden, verändern muss, merkt Zukunftsforscher Tristan Horx an: „Lehrpersonen brauchen mehr Soft Skills. Bisher war der Großteil des Lehramtsstudiums Information und nur ein kleiner Teil Didaktik, das wird sich komplett umkehren.“
Doch welche Rolle hat Schulbildung, wenn Informationen zu jeder Zeit von einer generativen KI in der passenden Form zusammengestellt werden können? „Praktisches Wissen wird wichtiger: Wie bereitet man Schüler*innen auf die aktive Teilnahme in einer Gesellschaft vor?“, erklärt Horx. Spiel schlägt vor: „Digitale Tools wie Künstliche Intelligenz können z.B. die Ausgangsbasis für die Diskussion komplexer Themen liefern. Solche Diskurse, die von Lehrpersonen begleitet werden, fördern die kognitive und soziale Entwicklung von jungen Menschen.“
Und lassen sich Schüler*innen trotz KI zum Lernen motivieren? „Intrinsische Lernmotivation wird gefördert und aufrechterhalten durch das Erleben von Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit. Wenn Jugendliche nur Misserfolge haben, ist es nicht verwunderlich, dass sie Lernen und Schule ablehnen. Um sie wieder zurückzuholen, sollten sie Aufgaben bekommen, die zu ihrer Lebenswelt passen und sie interessieren, die eine Herausforderung darstellen, aber bewältigbar sind und in Teams bearbeitet werden können“, so Spiel.
Positive Entwicklungen sieht der Zukunftsforscher bei der Bildungsgerechtigkeit: „Die Bildungsschere wird sich in Zukunft eher schließen.“ Das liege daran, dass alle Schüler*innen Zugang zu digitalen Tools hätten und sich unabhängig von der finanziellen Situation des Elternhauses Unterstützung in Form von Künstlicher Intelligenz holen könnten. Für nicht so selbstverständlich halten das die Lehrer*innen in der jüngsten öbv-Umfrage: Mehr als die Hälfte der Befragten (57 %) bewertet Künstliche Intelligenz eher als Gefahr für die Bildungsgerechtigkeit. Gleicher Zugang und Kompetenzen rund um KI müssen also möglicherweise aktiv gefördert werden. Die Mehrheit der Lehrkräfte (74 %) geht allerdings davon aus, dass KI in zehn Jahren selbstverständlicher Bestandteil von Bildung sein wird. Dass sich dafür im Schulsystem etwas ändern muss, ist klar: „Aktuell bereiten wir Schüler*innen auf einen Arbeitsmarkt von vor 20 Jahren vor“, so Horx.
Ist Künstliche Intelligenz im Bildungskontext Fluch oder Segen? Weder noch! Wie Analysen, Umfragen und Gespräche mit Expert*innen zeigen, stehen wir erst ganz am Anfang der großen Veränderungen, die KI im Schulsystem wohl auslösen wird. Viele offene Fragen können mit dem heutigen Wissensstand noch nicht beantwortet werden, vor allem in Bezug auf Ethik und Datenschutz. Wird die KI so trainiert, dass es ethisch vertretbar ist, sie von Schüler*innen benutzen zu lassen? Wie kann sichergestellt werden, dass die von Minderjährigen eingegebenen Daten nicht in falsche Hände geraten?
Außerdem sind einige Arten von KI im Moment noch relativ neu und müssen ausprobiert werden. Einige funktionieren bereits gut, aber die Zeit wird zeigen, welche Anwendungen sich etablieren können und welche im schulischen Kontext nicht sinnvoll sind. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es wichtig ist, wie und unter welchen Bedingungen KI in der Schule eingesetzt wird. Wie die Digitalisierung kann auch KI sinnvoll eingesetzt werden: zur Vermittlung von KI-Kompetenzen, zur Förderung von Individualisierung und Differenzierung, zur Entlastung der Lehrkräfte oder um mehr Abwechslung und Interaktivität in den Unterricht zu bringen. Künstliche Intelligenz wird jedoch niemals ersetzen, dass Schüler*innen bestimmte Fähigkeiten selbst erlernen müssen – nicht nur, aber auch, wie sie Quellen überprüfen können. Denn nur so wird es ihnen möglich nachzuvollziehen, ob die KI eine gestellte Aufgabe zufriedenstellend erledigt hat oder nicht. Dafür wird wohl immer menschliche Intelligenz notwendig sein.
* An der 1. Umfrage beteiligten sich 334 Lehrpersonen aus ganz Österreich. 27,5 % der Befragten unterrichten an allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS), 23,7 % an berufsbildenden höheren Schulen (BHS), 24,3 % an Mittelschulen und 14,7 % an Volksschulen; der Rest teilt sich auf andere Schularten auf.
** An der 2. Umfrage beteiligten sich 381 Lehrpersonen aus ganz Österreich. 30,4 % der Befragten unterrichten an allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS), 15,1 % an berufsbildenden höheren Schulen (BHS), 24,7 % an Mittelschulen und 21,1 % an Volksschulen, der Rest teilt sich auf andere Schularten auf.
Dieser Artikel ist Teil des öbv-Whitepapers "KI im Klassenzimmer".