viel|seitig 5, Schulbuch [Prüfauflage]

78 VIEL | SEITIG 5 Das Lesen ist von zwei Seiten gefährdet, von neuer Technologie und alter Ignoranz. So schnell wie nie ändert sich, wie Menschen kommunizieren. Erst haben sie immer mehr gelesen und geschrieben; sie simsten, whatsappten und posteten. Die neue Schriftlichkeit verbreitete sich so schnell, dass Pessimisten von einer „Kultur des gesenkten Blicks“ sprachen, in der jeder in sein Smartphone starrt und in dudenferner Orthografie textet. Jetzt kommt etwas Neues: die Kultur des gespitzten Mundes. Sprache ist der nächste große Schritt der Digitalisierung. Als Mobilfunk teuer war, verschickte man Datenpartikel namens SMS. Heute sendet man lange Ansagen, die man in das Smartphone vor seinem Mund spricht. Kein Dialog entsteht, sondern digitales RedePingpong. […] Der neue Modus erfasst auch die Hochkultur: Weniger Menschen kaufen Bücher, mehr gehen jedoch auf Buch-Events wie Lesungen; es reicht ihnen, sich durch den Autor „belesen zu fühlen“, wie die FAZ schrieb. […] Es gibt zwei Wege, mit diesen Befunden umzugehen: Kulturpessimisten bejammern genießerisch den Untergang; das lindert den Schmerz, macht die Rettung jedoch unwahrscheinlicher. Optimisten hingegen setzen auf die produktive Verunsicherung, die die Krise des Lesens auslöst. Vielleicht kann sie ein „Gesetz“ inspirieren, das der Althistoriker Wolfgang Riepl vor hundert Jahren in einer Arbeit über das „Nachrichtenwesen des Altertums“ aufstellte: Dem zufolge verdrängt eine neue Kommunikationsform eine alte nicht, sondern führt diese auf ihre eigentliche Stärke zurück. Das Lesen wird man also nicht durch Weltuntergangsgerede retten, sondern indem man es groß macht und besonders. Viele Geschichten der Weltliteratur handeln von unerhörten Begebenheiten. Solche Begebenheiten müssten die Optimisten fürs Lesen erschaffen. Was das sein kann? Kleine Aktionen, von Lese-Flashmobs bis zu Bücherschränken an jeder Ecke, aber auch große Dinge wie grandiose Bibliotheksbauten; so gehen in sozialen Netzwerken gerade Bilder der neuen Bücherei von Binhai viral, einem spektakulären Palast der Bücher, der ausgerechnet im hyperschnellen China gebaut wurde. Wer das Lesen feiert, der rettet es. http://www.zeit.de/2017/47/lesen-kulturtechnik-buecherkommunikation-technologie (abgerufen am 11.09.2024) Der Text ist ein möglicher Ausgangspunkt für eine persönliche Reflexion zu eigenen Lesegewohnheiten. Analysiere nach dem Lesen, ob bzw. wie dir der Dialog mit dem Text gelungen ist und welche Erfahrung du gemacht hast. Schreibauftrag: Verfasse einen Leserbrief. Thema: Lesen Situation: Du fühlst dich von dem Text angesprochen und möchtest dem Autor deine persönlichen Gedanken zum Thema Lesen mitteilen. Du schreibst einen Leserbrief als Antwort darauf. Lies den Kommentar „Lesen, nur lesen!“ von Manuel J. Hartung aus der Online-Ausgabe der deutschen Wochenzeitung Die Zeit vom 16. November 2017. Verfasse einen Leserbrief und beachte dabei die folgenden Arbeitsaufträge: • Gib das Thema und die Haltung des Autors in deinen eigenen Worten wieder. • Erkläre, wie das gegenwärtige und zukünftige Lesen im Text dargestellt wird. • Appelliere an eine junge Leserschaft im Sinne deiner Meinung. Schreibe zwischen 270 und 330 Wörter. Markiere Absätze mittels Leerzeilen. 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 A 4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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