viel|seitig 5, Schulbuch [Prüfauflage]

44 VIEL | SEITIG 5 Textbeilage STUDIO! Ausgabe 4/2020 Im Interview: Josef Zotter – „Vergesst alles und denkt es neu“ Josef Zotter hat mehrere Berufe erlernt, der des Chocolatiers ist nicht darunter. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – ist der Steirer heute Österreichs bekanntester und erfolgreichster Produzent hochwertiger Schokolade. Von Michael Robausch Warum wollten Sie eigentlich Tafelschokolade herstellen? Zotter: Ich komme aus der Kocherei und der Patisserie, da ist Schokolade halt ein Segment. Das habe ich mir damals ein bissl 6 genauer angeschaut und bin draufgekommen, dass das eigentlich sehr beschissen geschmeckt hat. Es hat nur Milchschokolade ohne oder mit Nüssen gegeben. Es geht darum, einen neuen Markt zu finden. Ich hätte mich auch für Bettwäsche entscheiden können … Und wenn ich mir das jetzt so vorstelle, wäre das vielleicht noch lässiger gewesen. Aber klar, du musst Schokolade schon mögen – sonst machst du es nicht. Ich habe die Fantasie entwickelt, dass bei Schokolade viel mehr möglich sein muss. Inwiefern? Zotter: Mir ist schnell bewusst geworden, dass die Ursache, warum wir schlechte Schokolade essen müssen, in Südamerika liegt. Das Wichtigste ist nämlich der Kakaobauer. Wir haben das Pferd ganz normal aufgezäumt: mit Verbesserungen beim Produzenten anfangen, fairer Handel, dann Einstieg in die Bio-Landwirtschaft. Wenn etwas genial verlaufen ist in unserer Unternehmensgeschichte, dann war das die Analyse der Zusammenhänge. Meine Vision war nicht, in den fairen Handel zu gehen, damit wir netter sind. Mein Kalkül war zu sagen: Wenn wir auf Augenhöhe mit dem Kakaobauer kommen, der seine Arbeit gern macht, zur richtigen Zeit erntet und gut fermentiert – dann ist die Rechnung für mich schon aufgegangen. Dann habe ich guten Kakao und kann mit meiner Technologie geile Schokolade machen. Fair allein genügt nämlich nicht, das Produkt muss auch innovativ sein und gut schmecken. Hatten Sie Vorwissen aus Ihren früheren Jobs? Zotter: Manchmal ist es besser, nicht zu viel zu wissen. Ich sage immer: Bildet euch, ja, aber wenn der Tag kommt, wo es ins Berufsleben geht: Vergesst alles und denkt es neu. Ich habe vier Berufe gelernt, den des Chocolatiers aber nicht. Für Innovationen ist es wichtig, von der Seite zu kommen und nicht von vorne. Nehmen wir als Beispiel Brot: Wenn du bei einem Meister lernst und den Meister vergötterst, dann wirst du Brot nicht weiterentwickeln. Wenn du kein Bäcker bist, aber gerne Brot isst, dann könnte es sein, dass du geniale Brotsorten machst. Oder in meinem Fall halt Schokolade. Wenn du als Unternehmer glaubst, du musst alles wissen, dann wirst du gar kein Unternehmen gründen. Weil du dann Angst hast. […] Sie sehen den Zustand der Wirtschaft sehr kritisch. Wo stehen wir heute? Zotter: Es muss manchmal, es hilft nichts, ein altes Haus zerstört werden, um ein neues, modernes Haus bauen zu können. Man kann an ein Gebäude lange etwas anbauen – aber das wird dann nichts Neues sein. Wir hätten jetzt die Chance, den Green Deal zu machen, der von der EU ja vorgegeben wird. Und wir trauen uns nicht. Ich mache es, aber die Masse fehlt mir. Mir fehlt das Bekenntnis, das jetzt umzusetzen. Der Green Deal wird ein bisschen schmerzen, aber er wird nicht so schmerzvoll sein, wie es wird, wenn wir nichts tun. Es geht also zu langsam? Zotter: Als ich damals, als ich begonnen habe, in Nicaragua aus dem Flieger gestiegen und dann durch Managua gefahren bin, habe ich Folgendes gesehen: Auf der einen Seite der Straße nur Villen und Golfplätze, auf der anderen pure 1 5 6 ein bisschen 10 15 20 25 30 35 40 45 50 60 65 70 75 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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