42 VIEL | SEITIG 5 Karikaturen zeigten sie etwa als „schlechtes Schloss“, für das der Schlüssel nicht passte – eine Anspielung auf die besondere Vorliebe des Königs für Schlösser. Damit machte man sich zwar auch über Ludwig den XVI. lustig, das Versagen wurde allerdings Marie-Antoinette vorgeworfen. Das war natürlich nicht der einzige Kritikpunkt an der jungen Monarchin: Hinzu kamen wiederholte Anschuldigungen, sie sei österreichische Spionin sowie Gerüchte über zahlreiche – auch homosexuelle – Affären, die auch nicht abnahmen, nachdem sie sich vorrangig als Mutter porträtieren ließ. Und natürlich die ständigen Verschwendungsvorwürfe. Marie-Antoinette hatte tatsächlich eine Vorliebe für das Glücksspiel und gab viel Geld für Kleidung und extravagante Frisuren aus, die oft eher Kunstwerken glichen, doch war dies damals absolut üblich für eine Königin – und Teile der Wirtschaft waren von diesem Lebensstil abhängig. Als sie sich 1783 in einem schlichten Leinenkleid porträtieren ließ, beklagten die Seidenweber, „eine Königin, die sich so schlecht kleide, sei schuld, wenn die Seidenweber verhungerten“. Lebensstil als Schuldeingeständnis 1785 kam noch die sogenannte Halsbandaffäre dazu, bei der Marie-Antoinette eigentlich gar keine aktive Rolle gespielt hatte: Dabei ging es um ein Diamantencollier, das König Ludwig der XV. für seine Mätresse anfertigen ließ. Als er verstarb, gab es dafür plötzlich keine:n Abnehmer: in mehr, das Königshaus lehnte einen Kauf aufgrund des hohen Preises mehrfach ab. Doch die Erzählung, Marie-Antoinette wollte das Halsband eigentlich besitzen, setzte sich durch: Ihr Lebensstil machte sie quasi automatisch zur Schuldigen. Versuche, diesen zu ändern, gab es danach viele: Marie-Antoinette verzichtete auf kostspielige Annehmlichkeiten, mied das Theater, Bälle und Empfänge. Sie zog sich noch mehr in ihr kleines Schloss „Le Petit Trianon“ zurück, das sie von Ludwig 1774 als Ort der Erholung geschenkt bekommen hatte; über die Ausgaben dafür wurden immer wieder überzogene Berichte verbreitet. Doch sie blieb die vorrangige Projektionsfläche des Hasses der Volksmassen. Gleichzeitig verärgerte sie aber auch hochrangige Mitglieder des Hofes, indem sie dort nur den Besuch von engen Freund:innen zuließ. Es hagelte also von allen Seiten Kritik an ihr, Marie-Antoinette konnte es eigentlich niemandem recht machen. Konzept Monarchie In ihrem „kleinen“ Schloss spielte sie übrigens gern „einfache Bäuerin“ und beschäftigte dort jemanden, der ständig Brot backen musste, damit es immer nach frischem Brot roch. Vorwürfe der Realitätsferne und rund um ihr Desinteresse für Politik entsprechen also natürlich auch der Wahrheit, aber die Monarchie, der französische Hof und Versailles waren nun einmal so konzipiert – lange bevor Marie- Antoinette Königin wurde. Wenngleich Wut angesichts von Hungersnöten und massiver Ungleichheit mehr als nur angebracht war, konzentrierte sich der Hass oft noch mehr auf Marie-Antoinette als ihren Mann, der immerhin der König von Frankreich war und damit über tatsächliche Entscheidungsmacht verfügte. Während der Französischen Revolution wurde sie nach Abschaffung der Monarchie gefangen genommen, gefoltert, bekam den abgeschlagenen Kopf einer ihrer engsten Freundinnen „vorgeführt“, und musste die Qualen ihres Sohnes mitanhören, bis sie schließlich zum Tode verurteilt wurde. Übrigens nicht nur wegen „Hochverrats“, sondern auch „Unzucht“ – man hatte ihren Sohn unter Folter dazu gebracht, sie des Inzests zu beschuldigen. Mit geschorenem Kopf wurde sie auf einem Karren durch die Pariser Straßen geführt. Ihre letzten Worte auf dem Weg zur Guillotine waren „Pardon, Monsieur“, weil sie dem Henker versehentlich auf den Fuß getreten war. https://www.derstandard.at/story/2000135608509/ marie-antoinette-die-koenigin-die-es-niemandemrecht- machen-konnte (abgerufen am 11.09.2024). 75 80 85 90 95 100 105 110 115 120 125 130 135 140 145 150 155 160 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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