203 VIEL | SEITIG 5 Das „Du“ – Fluch oder Segen?1 Das distanzierende „Sie“, das Vertrauen schaffende „Du“ – davon wird immer gesprochen, aber sind diese Zuschreibungen tatsächlich treffend?2 Dies wird auch im Beitrag „,Du, Frau Lehrerin?‘: Deshalb ist das Duzen an Schweizer Schulen kein Thema“, online veröffentlicht am 9. Jänner 2022 auf „fm1today.ch“, aufgegriffen. Gerade im Schulkontext wird diese Angelegenheit regelmäßig heiß diskutiert und soll im Folgenden Thema sein, geht es doch darum, das ideale Entwicklungsumfeld für die Jüngsten der Gesellschaft zu schaffen. Besonders aktuell ist die Debatte in der Schweiz3, weil das „Sie“ dort ab Schulbeginn verpflichtend ist. Auch bei Äußerung des Wunsches seitens der Kinder zum „Du“ zu wechseln, bleibe man aufgrund der gesellschaftlichen Konvention, Erwachsene zu siezen, standhaft. Es gebe relevantere Aspekte für die Entwicklung eines guten Verhältnisses zwischen Kindern und Lehrpersonal. Parallel dazu greift man in Skandinavien und auch in Berlin vermehrt zum „Du“, um die Verwirrung bei gerade eingeschulten Kindern zu minimieren. Das „Sie“ drückt automatisch eine gewisse Zurückhaltung und Höflichkeit aus und hält das Gegenüber dadurch stilvoll auf Distanz, wodurch ein verbaler Ausrutscher im Sinne eines „Sichim-Ton-Vergreifens“ seltener vorkommt und der Respekt vor bestehenden Hierarchien definitiv aufrecht erhalten bleibt. Gerade für ältere (Lehr-)Personen kann das „Sie“ ein Ausdruck von Respekt vor ihrer Erfahrung sein und nicht zwingend eine Unterordnung, eher eine Forderung von Kommunikation auf Augenhöhe. Ein Wechsel vom „Sie“ zum „Du“ ist schnell möglich, der Weg zurück zum „Sie“ scheint, ohne eine unangenehme Stimmung hervorzurufen, schier unmöglich.4 Durch das Siezen kann allerdings auch der Eindruck von fehlendem Vertrauen entstehen und gerade im Schulalltag sorgt das „Du“ viel eher für einen Abbau kommunikativer Hürden und Schwierigkeiten5. Das wiederum führt zu einer erleichterten Integration in die Klasse und zu einer Senkung der Hemmschwelle seitens der Kinder, nach Hilfe zu bitten. Das Gefühl des familiären Zusammenhaltes entsteht durch das Duzen viel schneller. Das Siezen in der weiterführenden Schule ist absolut sinnvoll6, um die Kinder zum einen langsam aber kontinuierlich auf das Leben nach der Schule vorzubereiten, in dem das „Sie“ doch alltäglich ist, zum anderen aber auch, um in einer so hormondominanten Phase wie der Pubertät, die notwendige Distanz zum Lehrpersonal zu schaffen und die Wahrscheinlichkeit auf emotionale und in weiterer Folge respektlose Ausbrüche seitens der Jugendlichen zu verringern. In der Volksschule sind die Kinder jedoch erst zwischen sechs und zehn Jahren alt, also in einem Alter, in dem Vertrauen und Bindung immer noch essenzielle Rollen für die Entwicklung spielen. Demnach sollte es den Lehrkräften und Kindern zumindest freigestellt werden7, wofür sie sich entscheiden, denn jede Klassenkonstellation ist anders und hat eigene Bedürfnisse. Im Endeffekt geht es bei dieser Debatte um ein gutes, vertrautes aber stets respektvolles Miteinander und um eine gewisse Weitsicht in der Vorbereitung der Kinder auf das Leben nach der Schule. Jedoch sollte der Diskussion meiner Meinung nach8 keine allzu große Relevanz zugeschrieben werden, da sie immer vom Empfinden jeder einzelnen beteiligten Person und der Kommunikationssituation abhängt, ob es sich nun um „Fluch oder Segen“ handelt. Wichtig ist nur, darüber zu sprechen, wenn man sich in einer Kommunikationssituation unwohl fühlt.9 (493 Wörter) 1 ➡ Nennung des Themas in der Überschrift 2 ➡ Leseinteresse wecken 3 ➡ Referenz zum Ausgangstext 4 ➡ Pro- Argument 5 ➡ Contra- Argument 6 ➡ Pro- Argument 7 ➡ Contra- Argument 8 ➡ Fazit, das auf eigener Meinung basiert 9 ➡ hier: Lösungsvorschlag Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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