viel|seitig 5, Schulbuch [Prüfauflage]

128 VIEL | SEITIG 5 Motiv: Motive sind strukturelle Einheiten wie Konflikte oder andere Situationen. Sie wiederholen sich in der Literatur immer wieder und werden mithilfe eines Stoffs literarisch verarbeitet. Bei Motiven handelt es sich um kleinere Einheiten, aus denen sich der Stoff zusammensetzt. Das Motiv „künstlicher Mensch“ kommt zum Beispiel in Goethes Faust II (1831) vor und findet sich immer wieder in Literatur und Film, beispielsweise in Mary Shelleys Frankenstein (1818), Der Sandmann von E.T.A. Hoffmann (1816), im Film Terminator (1984) oder Tim Burtons Film Edward mit den Scherenhänden (1990). Figuren In Texten kommen meist unterschiedliche Figuren vor. Einige sind sehr berühmt geworden, wie zum Beispiel Till Eulenspiegel, Max und Moritz, Pippi Langstrumpf oder Harry Potter. Man nennt sie literarische Figuren. Besonders die Hauptfigur (Protagonist/Protagonistin), im Vergleich zu den Nebenfiguren, wird vom Autor bzw. von der Autorin eines Textes mit möglichst vielen Eigenschaften ausgestattet, damit sich das Lesepublikum mit ihr identifizieren kann. Die Figuren sind normalerweise Erfindungen des Autors oder der Autorin, basieren aber möglicherweise auf realen Personen. Der Autor oder die Autorin bestimmt, wie sich die Figuren verhalten, wie viel der Leser oder die Leserin über sie erfährt und wie ihr Schicksal verläuft. Lies den Ausschnitt der Kurzgeschichte Eine Sucht von Monika Pelz. Ferdi Waldmüller, genannt Waldo (der Name ist aus Gründen der Anonymität geändert), war dafür berüchtigt, dass er Insekten aß, wenn man ihm Geld dafür gab. Man durfte dann zusehen, wie Waldo eine Fliege oder einen Käfer in den Mund steckte, zerbiss, zerkaute und hinunterschluckte. Bei kleinen Insekten kostete es weniger, bei großen Brummern verlangte Waldo mehr für die Vorführung. Und immer fand sich einer, der zahlte. Um gratis in den Genuss dieses haarsträubenden Schauspiels zu kommen, machten wir für ihn Schlepperdienste und priesen ihn an: Du, ich kenne einen, der frisst den dicksten Käfer, wenn man ihm dafür fünfzig Schilling zahlt. Waldo überwand sich dazu nur, weil er ständig Geld brauchte. Von seinen Eltern bekam er nämlich keinen Schilling. Dass die Geldnot ihn zwang, etwas derart Ekliges zu tun, machte ihn beinahe zum Helden und Märtyrer. Keiner von uns anderen hätte das Zeug dazu gehabt. Kam Waldo dann mit irgendeiner neuen Erwerbung daher, einer Baseballmütze oder einer teuren Doppel-CD, so fingen wir unwillkürlich an nachzurechnen, wie viele Insekten er dafür wohl hatte hinunterwürgen müssen. Ich vermute, die Kids heutzutage machen sich keinen Begriff davon, wie abartig uns Waldos Nummer vorkam. Heute gibt es ja Fliegen in den Lollis und Spinnen in der Limonade. Alles, was ich dazu sage, ist: Diese Fliegen und Spinnen sind mausetot, während Waldos Krabbeltiere noch lebten. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Bis eines Tages die unerhörte Meldung kam und sich wie ein Lauffeuer verbreitete, dass Waldo von seinen Alten ausreichend Taschengeld kriegte und dass alles, was er darüber erzählte, erstunken und erlogen war. […] Und dann tauchte auf einmal ein Junge auf, der exakt so aussah wie Brad Pitt, nur hübscher, und naturgemäss waren auf einmal alle anderen Luft für Sissy Kratky. Es war Liebe auf den ersten Blick. Und das sei, als ob der Blitz einschlüge. Sissy und der fremde Junge – ich hielt ihn übrigens aus irgendeinem Grund für den Sohn Edward mit den Scherenhänden A 31 1 5 10 15 20 25 30 35 40 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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