113 2 SCHRIFTLICHE KOMPETENZ 1 MÜNDLICHE KOMPETENZ 3 TEXTKOMPETENZ 4 LITERARISCHE BILDUNG 6 SPRACHLABOR 5 MEDIALE BILDUNG VIEL | SEITIG 5 Lesen – eintauchen in andere Welten Lies die beiden Textausschnitte aus Cryptos von Ursula Poznanski. Beantworte anschließend die folgenden Fragen (Mehrfachantworten möglich). Textausschnitt 1 Ich war schon einige Male zu Kurzbesuch hier – meistens wegen der Bälle – und stecke in meinem zuletzt gewählten Tagesoutfit: hellgrünes Kleid mit kurzen Puffärmeln und hoher Taille, Hut in der gleichen Farbe, mit Schleife unter dem Kinn, weiße Seidenschühchen. Der Stil heißt Regency, und Matisse hat bei der Arbeit an dieser Welt einige Zeit überlegt, ob er sie nicht auch so nennen soll. Hat sich dann aber für Austen entschieden, nach Jane Austen, deren Bücher er liebt. Auf seine Empfehlung habe ich zwei davon gelesen und war erstaunt darüber, dass es Parallelen zu heute gibt: Fast niemand in diesen Romanen arbeitet regelmäßig, außer Bauern und Dienstboten. Die gehobene Gesellschaft vertreibt sich die Zeit und lebt von dem, was die Landgüter abwerfen. Wir, dreihundertfünfzig Jahre später, haben nur noch wenige Jobs, die menschliche Arbeit erfordern. Alles, was Rechen- oder Organisationsleistung braucht, erledigen digitale Systeme viel besser. Handwerkliche Arbeit wird von energiesparenden Maschinen übernommen – die einzigen Jobs, die bisher nicht ersetzt werden konnten, liegen in der Kontrolle von Mensch und Maschine, im Kreativen und in der Betreuung derer, die den Großteil ihrer Zeit in der realen Welt verbringen. Da gäbe es noch Luft nach oben – manchmal wünsche ich mir Köche, die abschmecken könnten, was sie zusammenpanschen. Hier in Austen gibt es Köchinnen, Köche und keine Lebensmittelverbote. Ich trete hinter dem Gebüsch hervor, das meine Landung verborgen hat, und folge dem Duft von geräuchertem Schinken, der direkt zu der Picknickgesellschaft führt. Mich einfach dazuzusetzen ist hier unmöglich, ich darf mich noch nicht mal selbst vorstellen, wenn ich die Etikette nicht verletzen will. Also gehe ich nur freundlich nickend vorbei. Lauter junge Damen mit Hüten und Sonnenschirmen. Die Herren mit cremefarbenen Zylindern. „Jana! Jana Elford!“ Natürlich heiße ich nicht Elford, aber Matisse schickt jeden Neuankömmling durch einen Namensgenerator. Gut, dass ich wenigstens meinen Vornamen behalten habe, sonst hätte ich mich jetzt überhaupt nicht betroffen gefühlt. Poznanski, Ursula (2020). Cryptos. Loewe Verlag. S. 107–108. Textausschnitt 2 Als ich hinaustrete, ist da nichts weiter als ein langer, schwach beleuchteter Gang, von dem rechts und links Türen abgehen. Glück gehabt. Schritt für Schritt bewege ich mich vorwärts. An einer der Türen bleibe ich kurz stehen, öffne sie und spähe in den dahinterliegenden Raum. Drei Kapseln, dicht an dicht, zwei davon geschlossen. Am Ende des Gangs drei bewältigbare Stufen und dann eine Metalltür. Ich drücke mit meinem ganzen Gewicht dagegen, in der Erwartung, gleich unter freiem Himmel zu stehen. Auf der grünen Wiese, die ich bei meiner Ankunft gesehen habe, in Sichtweite des weißen Gebäudes mit dem Taubensymbol auf dem Dach. Aber natürlich ist das ein Irrtum, der lange Aufenthalt in den Welten hat offenbar auch mein Denkvermögen in Mitleidenschaft gezogen. Die Realität, in die ich hinaustrete, hat mit Cryptos nicht das Geringste zu tun. Rissiger Asphalt, rechts und links davon trockene Erde, aus der nur manchmal ein dürres Grasbüschel ragt. Hitze schlägt mir entgegen. Ich bin allein, weit und breit ist niemand zu sehen. […] Das Gebäude, das direkt zu meiner Rechten liegt, war früher bestimmt ein Wohnhaus, jetzt ist es A 14 1 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 1 5 10 15 20 25 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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