62 6 Österreich von der Römerzeit bis zum Ende der Monarchie Volkskultur(en) | Längsschnitt 19. Jahrhundert–Gegenwart Volkskultur ist viel mehr als nur Volkstanz und Schuhplatteln: sie ist vielmehr die Kultur einer bestimmten Region, die sich aus der Tradition entwickelt hat (also vom Raum und den Zeitverhältnissen beeinflusst wurde) und in die auch neue gegenwärtige Elemente aufgenommen werden können. Dazu gehören die Trachten ebenso wie Singen, Musizieren und überlieferte Handwerks- und Handarbeitstechniken. Ob die Volkskultur vereinfachte Inhalte der Hochkultur beinhaltet (z.B. Elemente höfischer Tänze in Volkstänzen), oder ob sich die Hochkultur aus der Volkskultur entwickelt hat (z.B. Volksliedmelodien in Opern oder Sinfonien), wird immer wieder diskutiert. Volkskultur ist jedenfalls sehr vielseitig und abwechslungsreich und für die Bevölkerung einer Region/eines Landes identitätsstiftend (= sie schafft ein „Wir-Gefühl“). Erzherzog Johann (1782–1859) und seine spätere Frau Anna Plochl am Grundlsee. Aquarell von Matthäus Loder um 1824/25. © akg-images/Imagno/Matthëus Loder Gemälde: Maria Theresia und ihre Familie Der Volkskundler Victor Geramb beginnt das steirische Trachtenbuch mit einer Darstellung urzeitlicher Bekleidungsformen: Die Darstellung beginnt mit der Untersuchung der ersten Hauptart von Bekleidungsformen, mit der Aufzeigung des urtrachtlichen Gutes in der Steiermark. Bei uns zulande sind es wohl seit Jahrtausenden Hirten und Bauern gewesen, die sich aus ihren naturgegebenen Stoffen, wie Holz, Rinde, Grashalme, Pflanzenfasern, Felle, Häute und Wolle ihre primitiven Gewandformen, wie Holzschuhe, Grasmäntel, Wickelgewänder, Überwürfe, Umhänge, Kopf- und Körperhüllen usw. bereiteten. (Mautner, Konrad u. Geramb, Victor: Steirisches Trachtenbuch, Bd. 1: Von der Urzeit bis zur französischen Revolution. Graz 1932, S. 14) Im Tanzbuch „Steirisch umidraht“ wird eine Tanzfigur des „Leobner Steirischen“, das „Fensterl“, beschrieben. Das ist eine der 12 Figuren dieses anspruchsvollen Figurentanzes, der um 1900 in Leoben gerne getanzt wurde. Grundstellung: Der Tänzer streckt seine rechte Hand und fasst über dem gestreckten linken Arm der Tänzerin ihre rechte Hand. Der linke Ellbogen des Tänzers und der rechte Ellbogen der Tänzerin werden abgewinkelt nach unten gerichtet. Die gefassten Hände werden zusammengehalten und hochgehoben. Die Tänzerin macht darunter eineinviertel Linksdrehungen und der Tänzer eine Vierteldrehung nach rechts. Die linken Oberarme werden waagerecht aneinander gelehnt, die gefassten rechten Hände gesenkt und auf die linken Oberarme gelegt (rechte Ellbogen senken). Die hochgestellten linken Oberarme mit abgebogenem Handgelenk bilden das „Fensterl links“. (Enzinger, Johann u.a.: Steirisch umidraht: Steirische Grundtänze und Figurentänze, Landestrachtenverband Steiermark. Leoben 2010, S. 99) „Juppen“ nennt man die historische Bregenzerwälder Frauentracht, deren charakteristische Form und Machart auf das 17. und 18. Jh. sowie auf ein spanisches Vorbild zurückgeht. Das müßte ein armes, recht unglückliches Menschenkind sein, das am lieben heiligen Osterfeste gar nichts Funkelnagelneues anzuziehen und gleichsam einzuweihen hätte. Es sehen daher nicht nur ernste Bauern, denen ein trüber Tag die erste und reinste Frühlingsfreude verderben würde, schon früh am Morgen besorgt zum Himmel auf, sondern auch junge, sonst sorglos lebende Mädchen, die denn doch ihren Festschmuck nicht gerne verderben möchten, beobachten ängstlich jedes Wölkchen droben am Himmel, und finden es heute fast so unangenehm, wie einen Schmutzfleck im neuen Festtagskleide. Schon in der wie gewichst glänzenden, engfaltigen Juppe prangend, holen sie endlich auch die allerweißesten Strümpfe aus dem Kasten und öffnen die von Rosmarin duftende Schachtel, in der, von unzähligen Papierstreifen umwickelt, der neue goldgestickte Brustfleck mit dem von Glasperlen gefaßten Namenszuge liegt. Endlich schimmert alles an seinem Orte, der glanzlederne Gürtel mit den drei silbernen Schnallen umfängt die schöne Gestalt und sucht ihre vollen Formen unter der etwas starren Juppe zu verbergen. Nun wärs doch wirklich jammerschade, wenn es regnen würde. Aber wer nichts wagt, gewinnt nichts. Ostern ist‘s nur einmal im Jahr, und übrigens kann man ja auch einen Regenschirm mitnehmen, der dann im schlimmsten Falle alles ein wenig schützt und doch – nicht alles verbirgt. Noch ein Blick in den verstohlen gekauften kleinen Spiegel hinter den Kleidern im Kasten oder in das gegen die Wand geöffnete Kammerfenster, das weniger Verwöhnten als Spiegel schon manchmal dienen mußte. (Felder, Franz Michael: Reich und Arm. Eine Geschichte aus dem Bregenzerwalde. Leipzig 1868, S. 57 f.) M1 M2 Zeitbilder 6 S. 49 Zeitbilder 5/6 S. 263 (264) M3 M4 M5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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