Zeitbilder 5/6, Arbeitsheft

54 5 Von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg Kunst und Zensur | Längsschnitt Antike – 19. Jahrhundert Zensur (lat. „censura“ = Beurteilung, Prüfung, Kritik) bedeutet einen Eingriff in künstlerische (Literatur, bildende Kunst, Filmschaffen) oder in journalistische oder politische Tätigkeit. Sie wird meistens mit der Behauptung gerechtfertigt, man müsse z.B. das Publikum, die Leserschaft oder die Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren schützen. Gegner und Gegnerinnen von Zensur meinen, es gehe dabei weniger um Schutz der anderen als vielmehr um die Erhaltung der eigenen Machtposition. Zensur gibt es bereits seit der Antike. Grundsätzlich kann man bei zensierenden Maßnahmen Vorzensur (also ein Eingreifen vor der Veröffentlichung) und Nachzensur (nach der Veröffentlichung) unterscheiden. Zensur gibt es auch noch in der Gegenwart, allerdings steht sie heute in Widerspruch zu den demokratischen Grundrechten, wie Meinungs- und Informationsfreiheit. John Milton spricht sich 1644 in seiner „Rede an das britische Parlament“ gegen die Vorzensur durch den „Licensing Act“ aus. Dabei führt er zahlreiche historische Beispiele an: Für die Freiheit ungehinderten Druckes Ich bestreite es nicht, aber dies ist eine der vordringlichsten Aufgaben in Kirche und Staat, ein wachsames Auge darauf zu haben, wie Bücher sich verhalten, ebenso wie Menschen und sie daher ebenso abzustrafen, einzusperren und gegen sie juristisch ebenso streng vorzugegehen, wie gegen Verbrecher. Denn Bücher sind keine völlig leblosen Gegenstände, sondern sie enthalten Lebensenergie und sind daher genauso aktiv wie der, der sie verfasst hat. Ja, sie bewahren sogar wie in einem Gefäß die reinste Wirksamkeit und die tiefsten Gedanken dessen, der sie hervorgebracht hat. In Athen, wo Bücher und Vernunft immer mehr galten als im übrigen Griechenland, finde ich nur zwei Arten von Literatur, von denen die Beamten für notwendig hielten, sich mit ihnen zu beschäftigen: Gotteslästerliche, atheistische oder verleumderische. Daher befahlen die Richter des Areopag die Bücher des Protagoras zu verbrennen und ihn selbst aus Athen zu verbannen, da er eine Diskussion entfacht hatte, indem er eingestand, dass er nicht wisse, ob es wirklich Götter gebe oder nicht. Und um Verleumdungen entgegenzuwirken, beschloss man, über niemand sollte man sich namentlich lustig machen dürfen, wie man es in der Alten Komödie machte. Anderen Sekten und Meinungen, auch wenn sie zu Ausschweifungen neigten, schenkte man keinerlei Beachtung. Man muss sich wundern, wie die andere führende Polis in Griechenland, Sparta, ohne schöne Künste und Literatur war, wenn man in Betracht zieht, dass ihr Gesetzgeber, Lykurg, so viel Wert auf das Lernen eleganter Dinge legte und so der erste war, der die verstreuten Werke Homers aus Ionien [= Kleinasien; Anm. d. A.] herausholte und den Dichter Thales von Kreta schickte, um die raue Sprache und Umgangsweise der Spartaner mit seinen schönen Gedichten und Oden zu verfeinern, und versuchte, Gesetz und zivilisiertes Verhalten bei ihnen einzuführen. (Milton, John: Areopagitica: a speech to the parliament of England, for the liberty of unlicensed printing; with prefatory remarks, copious notes, and excursive illustrations by T. Holt White. (Erstmalige Publikation: London 1644) London 1819, S. 17–25; Übers.d.A.) Michelangelo Buonarroti (1475–1564): „Die Kreuzigung des heiligen Petrus“. Fresko in der Cappella Paolina, Vatikan, 1546/50. Michelangelo stellte Petrus ursprünglich nackt dar. Der Vatikan ließ daraufhin die „heikle Stelle“ mit einem Schamtuch übermalen. Bei einer Restauration Anfang des 21. Jh. beließ man das Tüchlein an Ort und Stelle. „ © Erich Lessing/akg-images/picturedesk.com Nestroy beschäftigt sich in seiner Revolutionsposse „Freiheit in Krähwinkel“ (1848) mit dem Problem der Zensur: Unter Staatskanzler Metternich versuchte man in Österreich mit polizeistaatlichen Methoden (Denunzianten, Zensur) oppositionelle Bestrebungen zu bekämpfen. Diese Entwicklung führte zur Revolution des Jahres 1848 und zum Rücktritt Metternichs. Im folgenden Auftrittslied und -monolog kritisiert Ultra die herrschenden Zustände: Lied 1. Unumschränkt hab’n s’ regiert, Kein Mensch hat sich g’rührt, Denn hätt’s einer g’wagt Und a freies Wort g’sagt, Den hätt’ d’ Festung belohnt, Das war man schon g’wohnt. Ausspioniert hab’n s’ alls glei, Für das war d’ Polizei. Der G’scheite is verstummt; Kurz, ’s war alles verdummt; Diese Zeit war bequem Für das Zopfensystem. (…) M1 M2 M3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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