40 5 Von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg Nationalstaaten werden gegründet | 19. Jahrhundert Das 19. Jahrhundert gilt vor allem für Europa als das Jahrhundert erfolgreicher Gründungen neuer Nationalstaaten, aber ebenso auch mit Gewalt unterdrückter erfolgloser Versuche. Griechenland, Italien, Deutschland, Rumänien und Serbien zählen zu den erfolgreichen, Polen und Irland zu den weniger erfolgreichen Beispielen. Die jeweiligen Wege zur Gründung von Nationalstaaten verliefen unterschiedlich. Von diesen Bewegungen besonders beeinflusst waren die Vielvölkerstaaten wie die Habsburgermonarchie und das Osmanische Reich. Im Falle der Habsburgermonarchie ging es dabei zunächst vor allem: •um ihre Herrschaft in Ober- und Mittelitalien, •um ihre Rolle dabei, wie sich die zahlreichen „deutschen Staaten“ politisch organisieren sollten. Seit 1815 war die Monarchie zusammen mit dem Königreich Preußen das mächtigste Mitglied im „Deutschen Bund“. •um ihr Bestehen als multinationaler Staat. Der deutsche Historiker Christoph Nonn schreibt über Nationalstaatsbildungen im 19. Jahrhundert: Die Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress brachte weder ein geeinigtes Italien noch einen deutschen Einheitsstaat. Radikale italienische Patrioten zettelten bis 1849 eine Reihe von Aufständen an. Doch alle wurden niedergeschlagen. Auch nördlich der Alpen scheiterten während der Revolution von 1848/49 sämtliche Versuche aus rund drei Dutzend Territorien einen deutschen Staat zu formen. Preußen sollte zum Kern des deutschen Nationalstaates werden, während die italienischen Nationalisten auf Piemont-Sardinien als Magnet der italienischen Einigung setzten. Piemont-Sardinien nutzte Spannungen zwischen den europäischen Großmächten aus. (Es) gewann Frankreich als Verbündeten gegen die österreichischen Habsburger, das Haupthindernis für eine Einigung Italiens. Gemeinsam besiegten Franzosen und Piemontesen 1859 die österreichische Armee. Im nächsten Jahr beseitigten Aufstände, Militäraktionen von Nationalisten unter Führung von Guiseppe Garibaldi und Volksabstimmungen für einen Anschluss an Piemont die Herrschaft anderen Fürsten Italiens. Die Habsburger und der französische Kaiser Napoleon III. stimmten schließlich Gründung eines italienischen Nationalstaates zu. Auf die italienische Einigung folgte innerhalb eines Jahrzehnts auch die Gründung eines deutschen Einheitsstaates. federführend war der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck. Er strebte zunächst nur die Vorherrschaft Preußens im 1815 gebildeten Deutschen Bund an. Österreich beanspruchte diese ebenfalls. Ein Krieg des Bundes gegen Dänemark 1864 und ein darauffolgender Streit um die Verwaltung Schleswig-Holsteins lieferten Bismarck den Anlass für eine militärische Entscheidung des Konflikts. Das Habsburgerreich unterlag im „Deutschen Krieg“ von 1866 gegen Preußen. (Nonn, Christoph: Das 19. und 20. Jahrhundert. Orientierung Geschichte, Paderborn 2007, S. 211 f.) Der deutsche Historiker Heinrich August Winkler beurteilt die Bedeutung des militärischen Erfolges von Preußen im Jahr 1866: Der deutsche Krieg von 1866 hatte in der Tat eine Umwälzung der politischen Verhältnisse in Deutschland bewirkt. Die Herstellung der preußischen Hegemonie mit Hilfe militärischer Gewalt markierte das Ende jenes Dualismus zwischen den Häusern Habsburg und Hohenzollern, der seit dem Regierungsantritt Friedrichs des Großen im Jahre 1740 die deutsche Geschichte geprägt hatte. (…) Der Krieg von 1866 brachte die Deutschen der Einheit ein großes Stück näher, indem er die großdeutsche Lösung ausschloss und ein wesentliches Hindernis der kleindeutschen Lösung beseitigte. (…) (Winkler, Heinrich August: Geschichte des Westens. Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 2009, S. 776 f.) Der österreichische Historiker Helmut Rumpler beurteilt die Bedeutung des Krieges von 1866 folgendermaßen: Worum es bei dem Ereignis von 1866 aus österreichisch-deutscher Perspektive ging, hat Ernst Rudolf Huber (…) dargelegt. Es handelte sich um die Entscheidung zwischen dem „revolutionären Recht der souveränen deutschen Nation“ auf den Nationalstaat gegenüber dem „überlebten Recht Österreichs auf Erhaltung des Bundes“. (…) In der Öffentlichkeit Europas war man sich der epochenwendenden Bedeutung des Ereignisses bewusst. Entsetzt reagierte Kardinalstaatssekretär Antonelli in Rom auf die Nachricht von der Niederlage der österreichischen Armee bei Königgrätz mit den berühmten Worten: „Casca il mondo, casca il mondo“ („Die Welt stürzt ein!“). (…) Österreich war in ganz anderer und tieferer Weise von dem Ereignis betroffen. Das neue „Recht der Nation“, wie es nun in Deutschland gesiegt hatte, wirkte auf Österreich als Schock. Man war sich der Folgen über den Augenblick hinaus sofort bewusst. (…) Nach dem Sieg der nationalen Revolution in Deutschland und Italien musste sich über kurz oder lang die nationale Frage in Österreich wieder und mit größerer Schärfe als bisher stellen. (Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie, Wien 1997, S. 398 ff.) Der österreichische Historiker Michael Derndarsky schreibt über die 1860er-Jahre aus der Perspektive der Habsburgermonarchie: Die 1860er Jahre bilden das Jahrzehnt, in dem sich definitiv die Trennung der Habsburgermonarchie von Deutschland und gleichzeitig ihr beginnender Niedergang als Großmacht vollzog. 1859 hatte die Präsidialmacht des Deutschen Bundes (…) im Krieg gegen Piemont-Sardinien und Frankreich eine erste schmerzliche Niederlage erlitten. Dabei sah sich Österreich nicht nur international isoliert, sondern auch innerdeutsch alleingelassen, was nicht zuletzt auf die Politik der zweiten deutschen Vormacht Preußen (…) zurückzuführen war. Mit der Aufgabe der Lombardei konnte sich Wien relativ glimpflich aus der Affäre ziehen, doch das Duell M1 M2 M3 M4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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