Zeitbilder 5/6, Arbeitsheft

24 3 Die frühe Neuzeit – Europa im Wandel Herrschafts- und Staatskonzepte | Längsschnitt Antike – Absolutismus Seit der Antike haben sich Menschen darüber Gedanken gemacht, wie ein idealer Staat beschaffen sein könnte. Vielfach wurden diese Staatskonzepte als Beschreibung eines weit entfernten Staates verfasst: „Utopie“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet im Grunde nichts anderes als „(an) keinem Ort“. Diese Vorstellung eines idealen Landes im Nirgendwo hat die Fantasie vieler Menschen beflügelt, J.M. Barrie mit seinem „Neverland“, in dem Peter Pan lebt, genauso wie Michael Jackson mit seiner Ranch „Neverland“. Auch das Werk, das der englische Staatsmann und Humanist Thomas Morus im frühen 16. Jh. verfasst hat, heißt so. Er stellt sich sein ideales Staatswesen auf einer fernen Insel vor. Platon denkt sich im 5./4. Jh.v.Chr. einen vollkommen gerechten Staat, in dem Philosophen herrschen. Dagegen tritt Tommaso Campanella um 1600 für eine absolute Herrschaft des Papstes und des Klerus (= Geistlichkeit) ein. Platon (428/427–348/347 v.Chr.) teilt in seiner „Politeia“ die Bevölkerung des Staates in drei Gruppen ein: Das Volk, das die wirtschaftliche Basis des Staates garantiert und über Privateigentum verfügt, im Gegensatz zu den Hütern und den regierenden Philosophen: Über die Gruppe der Hüter (Wächter) sagt er: Du also, als Gesetzgeber wirst ihnen, wie du die Männer ausgewählt hast, so auch die Frauen auswählen und sie so gleichgeschaffen wie möglich übergeben, da sie aber nun Wohnungen und Mahlzeiten gemeinsam haben und keiner irgend etwas Derartiges abgesondert besitzt, so werden sie natürlich beisammen sein. Es müssen ja nach dem Zugegebenen die besten Männer den besten Frauen möglichst oft beiwohnen, und die schlechtesten Männer den schlechtesten Frauen möglichst selten, und die Kinder der einen muss man aufziehen, die der andern aber nicht, wenn die Herde möglichst vorzüglich sein soll, und alles dies muss geschehen, ohne dass es jemand außer den Regierenden selbst bemerkt, wenn andererseits die Herde der Wächter möglichst frei von innerem Zwist sein soll. Die Zahl der Vermählungen aber werden wir die Regierenden bestimmen lassen, damit sie möglichst die gleiche Zahl von Männern erhalten, indem sie auf Kriege und Krankheiten und alles Derartige Rücksicht nehmen, so dass uns der Staat womöglich weder zu groß noch zu klein werde. (Platon, Politeia 5, 458 f., übers. v. Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher, online auf: http://www.opera-platonis.de/Politeia5.html [21.7.2014]) Auf der Insel Utopia des Thomas Morus (1478–1535) regelt man die Frage der Bevölkerungszahl so: Weil also der Staat aus Familien besteht, bilden größtenteils Verwandtschaftsverhältnisse diese Familien. Denn sobald die Frauen herangewachsen und mit Männern verheiratet worden sind, gehen sie in deren Wohnungen. Aber die Söhne und dann die Enkel bleiben in der Familie und gehorchen dem Ältesten der Väter, außer er wäre aufgrund seines Alters nicht mehr zurechnungsfähig. In diesem Fall ersetzt ihn dann der Zweitälteste. Damit aber nicht eine Stadt entweder zu wenig bevölkert ist oder über die Maßen anwächst, achtet man darauf, dass keine Familie, von denen eine jede Stadt 6000 umfasst, weniger als 10 oder mehr als 16 Erwachsene hat. Denn die Zahl der Kinder kann keiner vorschreiben. Hier geht man ohne Probleme so vor, dass die, die in zu großen Familien heranwachsen, in Familien mit weniger Mitgliedern überschrieben werden. Aber sollte irgendwann eine ganze Stadtbevölkerung zu stark anwachsen, dann gleichen sie damit die zu geringe Bevölkerungszahl ihrer anderen Städte aus. Sollte irgendwann zufällig die Bevölkerungszahl der gesamten Insel (Utopia) zu stark ansteigen, dann schicken sie aus einer beliebigen Stadt, nachdem sie Bürger bestimmt haben, diese auf den benachbarten Kontinent, irgendwohin, wo die Ureinwohner zu viel Land haben und dieses nicht bebauen können, nachdem sie diese gefragt haben, ob sie mit ihnen zusammenleben wollen. (Morus, Thomas: Utopia. 2. Buch: Der Verkehr der Utopier miteinander. Erstausgabe 1516; Originaltext online auf: http://www.thelatinlibrary.com/­ more.html (23.7.2014); Übers.d.A.) Die Bevölkerung von Utopia legte keinen Wert auf Privateigentum: Jedes Haus hat einen Vordereingang auf die Straße und einen hinteren in den Garten. Die Türen sind zweiflügelig und mit einem leichten Druck der Hand zu öffnen und schließen sich dann von selbst wieder, sie lassen jeden beliebigen herein: so gibt es nirgendwo etwas Privates. Denn sie tauschen die Häuser selbst alle 10 Jahre, es wird gelost. (Morus, Thomas: Utopia: 2. Buch: Die Städte, namentlich Amaurotum. Erstausgabe 1516; Originaltext online auf: http://www.thelatinlibrary.com/­ more.html [23.7.2014]; Übers. d. A.) In Tommaso Campanellas (1568–1639) „Sonnenstaat“ sind das gesamte Leben der Bevölkerung, Ehe, Nachkommenschaft und Eigentum ebenfalls sehr genau geregelt, wie es der Oberpriester Sol und seine drei Berater bestimmen: Das aber weiß ich und habe es gesehen, dass bei den Solariern die Frauen den Dienstleistungen und dem Ehelager nach gemeinsam ist. Aber nicht nach Art der wilden Thiere, dass sie sich jedes ihnen begegnenden Weibes bemächtigen, sondern, wie es heißt nach dem Gesetze der Zuchtwahl. Ich glaube aber, dass sie sich da irren, obwohl sie sich durch die Autorität des Sokrates, Plato und des heiligen Clemens decken, die, wie du gesagt hast, jedenfalls falsch ausgelegt worden ist. Sie behaupten, der heilige Augustin habe den Kommunismus gebilligt, aber nicht den der Frauen. Und unsere Kirche habe bloß, um ein noch größeres Übel zu vermeiden, die Gütergemeinschaft eingeführt, nicht aber, um ein noch größeres Gut einzuführen. Sie könnten ja mit der Zeit diesen Gebrauch ablegen, weil zwar in den unterworfenen Städten die übrigen Dinge, aber nicht die Frauen gemeinsam sind, mit Ausnahmen ihrer Dienstleistungen und Kunstfertigkeiten. (…) (Campanella, Tommaso: Der Sonnenstaat. Übers. v. Ignaz Emanuel Wessely, München 1900, S. 4–75. Entstanden 1602, zweite Fassung 1611. Online auf der Internetseite der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH: http://www.­ zeno.org [21.07.2014]) M1 M2 M3 M4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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