Zeitbilder 5/6, Arbeitsheft

22 3 Die frühe Neuzeit – Europa im Wandel Herrschaftsinszenierung | Absolutismus Der französische König Ludwig XIV. (1643/1661–1715) war Vorbild vieler absolutistisch Herrschenden in Europa. Er inszenierte sich und seine Herrschaft, indem er beispielsweise Porträts von sich in Auftrag gab, auf denen er seine Auffassung von Herrschaft zeigte. Ludwigs Selbstverständnis zeigte sich aber auch in aufwändigen Festen, in Architektur und Ritualen (wie z.B. im öffentlichen Aufstehen, dem „Lever“). Durch das Schloss Versailles wollte er seine Herrschaftsauffassung im wahrsten Sinne des Wortes für die Menschen (= seine Untertanen, seinen Hofstaat) erlebbar machen. Er machte aus dem kleinen Jagdschloss seines Vaters einen der größten Paläste Europas mit einem riesigen Park. Hofzeremoniell und Etikette (= gesellschaftliche Regeln des Benehmens) demonstrierten seine Macht anschaulich. Ein Detail aus dem 1794 zerstörten „Königsgitter“ in Versailles, das 2007/08 rekonstruiert wurde. „ Foto, Ausschnitt, Marc Deville, Juni 2008 © Marc Deville/akg-images/picturedesk.com Lebensgroßes Galaporträt Ludwigs XIV. von Hyacinthe Rigaud, 1701. Die Etikette: Das Lever des Königs Gewöhnlich um 8 Uhr, jedenfalls zu der Zeit, die er selbst bestimmt hat, wird der König morgens geweckt, und zwar von dem ersten Kammerdiener, der zu Füßen des königlichen Bettes schläft. Die Türen werden den Kammerpagen geöffnet. Einer von ihnen hat inzwischen bereits den Großkämmerer und den ersten Kammerherrn benachrichtigt, ein zweiter die Hofküche wegen des Frühstücks, ein dritter stellt sich an der Tür auf und lässt nur die Herren eintreten, die das Vorrecht des Eintritts haben. Dieses Vorrecht war ganz genau abgestuft. Es gab sechs verschiedene Gruppen von Menschen, die nacheinander eintreten durften. Man sprach dabei von den verschiedenen „Entrées“. Zuerst kam die „Entrée familière“. An ihr hatten vor allem Teil die legitimen Söhne und Enkel des Königs (…), Prinzen und Prinzessinnen (…), der erste Arzt, der erste Chirurg, der erste Kammerdiener und Kammerpage. Dann kam die „grand entrée“, bestehend aus (…) dem Adel vorbehaltenen käuflichen Hofämtern und den Herren von Adel, denen der König diese Ehre zuerkannt hatte. Es folgte die „première entrée“ für die Vorleser des Königs, den Intendanten der Vergnügungen und Festlichkeiten und andere. Darauf folgte als vierte die „entrée de la chambre“, die alle übrigen „officiers de la chambre“ umfaßte, außerdem (…) die Minister und Staatssekretäre (…), die Offiziere der Leibgarde, (…). Die Zulassung zu der fünften Entrée hing bis zu einem gewissen Grade von dem guten Willen des ersten Kammerherrn ab und natürlich von der Gunst des Königs. Zu dieser Entrée gehörten Herren und Damen von Adel, die in solcher Gunst standen, dass der Kammerherr sie eintreten ließ; sie hatten so den Vorzug, sich dem König vor allen anderen zu nähern. Schließlich gab es noch eine sechste Art des Eintritts, und das war die gesuchteste von allen. Am vornehmsten war es dabei, wenn man nicht durch die nicht durch die Haupttür des Schlafzimmers ein, sondern durch eine Hintertür eintrat; dieses Entrée stand den Söhnen des Königs, auch den illegitimen, samt ihren Familien und Schwiegersöhnen offen. Zu dieser Gruppe zu gehören, war Ausdruck einer hohen Gunst und sie konnten im Zimmer bleiben, bis der König zur Messe ging und selbst, wenn er krank war. Man sieht, es war alles recht genau geregelt. Die ersten beiden Gruppen wurden zugelassen, wenn der König noch im Bett war. Dabei trug der König eine kleine Perücke; er zeigte sich niemals ohne Perücke, auch dann nicht, wenn er im Bett lag. Wenn er aufgestanden war und der Großkämmerer mit dem ersten Kammerherren ihm die Robe hingelegt hatten, rief man die folgende Gruppe, die „première entrée“. Wenn der König die Schuhe übergezogen hatte, (…) öffnete man die Türen der nächsten Entrée. Der König nahm seine Robe. Der „maitre de la garderobe“ zog das Nachthemd beim rechten Ärmel, der erste Diener der Garderobe beim linken; das Taghemd wurde von dem Großkämmerer oder von einem der Söhne des Königs, der gerade anwesend war, herbeigebracht. Der erste Kammerdiener hielt den rechten Ärmel, der erste Diener der Garderobe den linken. (Elias, Norbert: Die höfische Gesellschaft. 2. Aufl. Darmstadt: Luchterhand 1975. S. 125–129) Uhr und Figurenschmuck am Schloss Versailles: „ © Gerig, Uwe/Action Press/picturedesk.com M1 M2 Zeitbilder 6 S. 32 (50) Zeitbilder 5/6 S. 136 (148) M3 M4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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