Arbeitsheft für die 5. und 6. Klasse Zeitbilder
Zeitbilder 5/6, Arbeitsheft + E-Book Schulbuchnummer: 220.356 Zeitbilder 5/6, Arbeitsheft, E-Book Solo Schulbuchnummer: 220.357 Mit Bescheid des Bundesministeriums für Bildung vom 17.04.2024, GZ 2023-0.756.054, gemäß § 14 Absatz 2 und 5 des Schulunterrichtsgesetzes, BGBl. Nr. 472/86, und gemäß den derzeit geltenden Lehrplänen als für den Unterrichtsgebrauch an allgemein bildenden höheren Schulen – Oberstufe für die 5. und 6. Klasse im Unterrichtsgegenstand Geschichte und Politische Bildung (Lehrplan 2018) geeignet erklärt. Dieses Werk wurde auf der Grundlage eines zielorientierten Lehrplans verfasst. Konkretisierung, Gewichtung und Umsetzung der Inhalte erfolgen durch die Lehrerinnen und Lehrer. Liebe Schülerin, lieber Schüler, Sie bekommen dieses Schulbuch von der Republik Österreich für Ihre Ausbildung. Bücher helfen nicht nur beim Lernen, sondern sind auch Freunde fürs Leben. Kopierverbot Wir weisen darauf hin, dass das Kopieren zum Schulgebrauch aus diesem Buch verboten ist – § 42 Abs. 6 Urheberrechtsgesetz: „Die Befugnis zur Vervielfältigung zum eigenen Schulgebrauch gilt nicht für Werke, die ihrer Beschaffenheit und Bezeichnung nach zum Schul- oder Unterrichtsgebrauch bestimmt sind.“ Umschlagbilder: U1.1: akg-images; U1.2: akg-images / Album / Oronoz; U1.3: Araldo De Luca, Rom Karten: öbv, Wien: S.32.1; S. 36.1; S. 36.2 1. Auflage (Druck 0001) © Österreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & Co. KG, Wien 2025 www.oebv.at Alle Rechte vorbehalten. Jede Art der Vervielfältigung, auch auszugsweise, gesetzlich verboten. Herstellung: Alexandra Brych, BSc, Wien Layout: MMag. Thomas Käfer, Wien Umschlaggestaltung: Jens-Peter Becker, normaldesign GbR, Schwäbisch Gmünd Satz: Per Medien & Marketing GmbH, Braunschweig Druck: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H., Horn ISBN 978-3-209-13429-5 (Zeitbilder OS-A AH 5/6 + E-Book) ISBN 978-3-209-13443-1 (Zeitbilder OS-A AH 5/6 E-Book Solo) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
www.oebv.at Barbara Kronberger-Schmid Zeitbilder Arbeitsheft für die 5. und 6. Klasse Geschichte und Politische Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
2 Inhaltsverzeichnis Seite Operatorenübersicht 3 Historische und politische Kompetenzen 4 Die Antike Welt – Griechenland und Rom Rekonstruktion von Geschichte am Beispiel Pompeji | Römische Antike 6 Rekonstruktion: Alltag in Pompeji | Römische Antike 10 Dekonstruktion: Untergang des römischen Reiches | Spätantike 14 Das Mittelalter – eine 1000-jährige Epoche Krönungszeremonien zur Legitimierung der Herrschaft | Mittelalter 16 Handlungsspielräume von Frauen | Mittelalter 18 Die frühe Neuzeit – Europa im Wandel Herrschaftsinszenierung | Absolutismus 22 Herrschafts- u. Staatskonzepte | Längsschnitt Antike – Absolutismus 24 Kunst im Dienst der Macht | Längsschnitt Antike –19. Jh. 28 Expansion – vom Kolonialismus zum Imperialismus Wahrnehmungen der Welt | Längsschnitt Antike – Gegenwart 32 Kolonialismus und Imperialismus | Neuzeit 36 „Remembering Slavery“: Befreiung aus der Sklaverei | 19. Jh. 38 Von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg Nationalstaaten werden gegründet | 19. Jh. 40 Nationale Geschichtsbilder | 19. Jh. – Gegenwart 42 Der industrialisierte Staat | 19. Jh. 46 Kämpfe um Emanzipation: Frauen | 19. Jh. 50 Kämpfe um Besserstellung: Arbeiterinnen | 19. Jh. 52 Kunst und Zensur | Längsschnitt Antike – 19. Jh. 54 Österreich im Wandel – Demokratie, Gesellschaft und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert Politisches System und Wählen mit 16 | Österreich – Gegenwart 56 Schuldemokratie heute | Österreich – Gegenwart 58 Volkskultur(en) | Längsschnitt 19. Jh. – Gegenwart 62 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
3 Operatorenübersicht Die Zeitbilder-Bände unterstützen dich und deine Klassenkolleginnen und Klassenkollegen darin, Wissen und Kompetenzen im Fach Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung zu erwerben. Das Arbeitsheft fördert dein selbstständiges Arbeiten durch eine Vielzahl an leicht verständlichen Aufgabenstellungen. Diese Aufgaben werden meist mit so genannten Operatoren formuliert. Das sind Verben, die zu bestimmten Handlungen auffordern, wie beispielsweise beschreiben, analysieren oder interpretieren. Diese Verben lassen sich bestimmten Anforderungsbereichen zuordnen. Beschreiben gehört in den Anforderungsbereich I, hier steht die Wiedergabe von Sachverhalten im Mittelpunkt. Analysieren lässt sich dem Anforderungsbereich II zuordnen. Du sollst Inhalte selbstständig erklären, bearbeiten und dein Wissen und deine Fertigkeiten auch auf unbekannte Zusammenhänge anwenden können. Interpretieren gehört in den Anforderungsbereich III; du sollst in der Lage sein, zu selbstständigen Begründungen, Interpretationen und Bewertungen zu gelangen. Bei den Arbeitsaufträgen in diesem Heft wird jeweils angegeben, welchen Kompetenzbereich bzw. welche Kompetenzbereiche du beim Lösen der Aufgabe(n) trainierst. Das Zeitbilder-Team hat sich bezüglich der Bedeutung der Operatoren am Fachleitfaden des Bundesministeriums für die mündliche Reifeprüfung orientiert (vgl.: Bundesministerium für Bildung und Frauen (Hg.): Die kompetenzorientierte Reifeprüfung. Geschichte und Sozialkunde, Politische Bildung. Richtlinien und Beispiele für Themenpool und Prüfungsaufgaben. Wien 10/2011, S. 15–20)1: Operatoren des Anforderungsbereiches I Operator Bedeutung des Operators Beispiel aus Zeitbilder AH 5/6 herausarbeiten Zusammenhänge aus dem zur Verfügung gestellten Material erkennen und wiedergeben z.B. Arbeite die Gründe heraus, die für den Untergang Roms angeführt werden. beschreiben wichtige Sachverhalte aus (Vor)Wissen oder aus dem zur Verfügung gestellten Material systematisch und logisch wiedergeben z.B. Beschreibe das Weltbild, das den geografischen Aussagen dieses Textes zugrunde liegt. zusammenfassen Sachverhalte auf das Wesentliche reduzieren und geordnet darlegen z.B. Fasse den Inhalt der amerikanischen Nationalhymne (M4) zusammen. Auch: (be)nennen, ermitteln, feststellen, skizzieren, schildern, aufzeigen, auflisten, lokalisieren, definieren, wiedergeben Operatoren des Anforderungsbereiches II Operator Bedeutung des Operators Beispiel aus Zeitbilder AH 5/6 analysieren Sachverhalte oder Materialien systematisch untersuchen und auswerten z.B. Analysiere den Brief des Plinius (M1) unter folgenden Gesichtspunkten. erklären Sachverhalte und Materialien durch eigenes Wissen in einen Zusammenhang einordnen und begründen z.B. Erkläre, welcher Teil der Welt auf dieser Karte im Zentrum steht. vergleichen Sachverhalte oder Materialien gegenüberstellen, um so Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten z.B. Vergleiche die Ptolemäus-Karte (M3) mit jener des Erathostenes (M1) und arbeite die wesentlichsten Unterschiede heraus. Auch: erläutern, auswerten, einordnen/zuordnen, untersuchen, begründen, charakterisieren Operatoren des Anforderungsbereiches III Operator Bedeutung des Operators Beispiel aus Zeitbilder AH 5/6 beurteilen den Stellenwert von Aussagen, Behauptungen und Urteilen bestimmen, um so zu einem begründeten Urteil zu gelangen z.B. Beurteile aus deiner persönlichen Sicht Kretschmanns Aussage von 1968 (M2). erörtern durch Pro- und Contra-Argumente eine Problemstellung begründet beurteilen z.B. Erörtere die Aussagen des Historikers Alexander Demandt zum Untergang Roms in M4. interpretieren aus Material Sinnzusammenhänge methodisch herausarbeiten und begründet Stellung nehmen z.B. Interpretiere das Fresko M5 unter folgenden Gesichtspunkten. Auch: rekonstruieren/erzählen/darstellen, bewerten, dekonstruieren, darstellen, Stellung nehmen, diskutieren, überprüfen, gestalten, verfassen 1 Online auf: https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/schulpraxis/zentralmatura/srdp_ahs.html (18.4.2025). Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
4 Historische und politische Kompetenzen Der Begriff „Kompetenz“ kommt aus dem Lateinischen (competentia = Zusammentreffen) und bedeutet „Fähigkeit“, „Fertigkeit“ oder „Können“. Was wirst du im Lauf der Oberstufe im Geschichteunterricht lernen? Du wirst verstehen, dass „Vergangenheit“ und „Geschichte“ nicht gleichzusetzen sind. „Vergangenheit“ ist das, was früher passiert und daher später nicht mehr direkt zugänglich ist. „Geschichte“ hingegen ist der Versuch von Historikerinnen und Historikern – von Zeugnissen aus der Vergangenheit ausgehend – ein (möglichst) realistisches Bild früherer Ereignisse zu bekommen. Diese Zeugnisse nennt man „Quellen“. Primärquellen haben einen direkten Zusammenhang mit den Ereignissen (z.B. ein Bauwerk, eine archäologische Ausgrabung, der Bericht eines unmittelbar Beteiligten, eine Urkunde), Sekundärquellen sind Zeugnisse über ein Ereignis (z.B. Gemälde, Geschichtsbücher). Das selbstständige Arbeiten mit Primärquellen kann sehr schwierig sein. Historikerinnen und Historiker wählen Quellen aus, untersuchen ein Thema, eine Fragestellung und formulieren ihre Ergebnisse in historischen Darstellungen. Wenn du diese Texte liest (Geschichts-, Schulbücher), sollte dir immer bewusst sein, dass du auch die Sichtweise der Autorin oder des Autors „mitgeliefert“ bekommst, selbst wenn sie oder er sich bemüht, alles „objektiv“ (also neutral) darzustellen. Schon durch die Auswahl bestimmter Quellen sortiert man – bewusst oder unbewusst – aus. Besonders spannender ist es, sich – soweit wie möglich – selbst ein Bild von der Vergangenheit zu machen und kritisch mit der vorhandenen Geschichtsschreibung umzugehen. Dazu sind neben geschichtlichem und politischem Wissen auch historische und politische Kompetenzen notwendig. Das vorliegende Arbeitsheft hilft dir, diese Kompetenzen noch intensiver als im Schulbuch zu trainieren und zu erweitern. Historische Kompetenzen Historische Sachkompetenz Wovon du ausgehst Du lernst… Was du erreichst Begriffe, Fachbegriffe, geschichtliches Fachvokabular, Vorstellungen und Vorwissen … dein Begriffswissen und deine „Konzepte“, also deine Vorstellungen und dein Wissen, zu bestimmten historischen Begriffen wie z.B. „Herrschaft“, Mittelalter“, „Globalisierung“ usw. zu vernetzen, zu erweitern, vielleicht auch zu verändern und stetig weiterzuentwickeln. Du kennst und verstehst historische Fachbegriffe und Konzepte und kannst sie anwenden. Du kennst außerdem wesentliche erkenntnistheoretische Prinzipien der Geschichts- und Sozialwissenschaft und bist in der Lage, sie anzuwenden. Historische Fragekompetenz Wovon du ausgehst Du lernst… Was du erreichst Vorwissen, Vermutungen, Geschichtsdarstellungen, Geschichtsquellen … deine Vermutungen, Geschichtsdarstellungen und Geschichtsquellen zu analysieren und Fragen an sie zu stellen: Was ist dargestellt? Warum ist das so dargestellt? Du lernst auch, Geschichtsdarstellungen und Geschichtsquellen zugrunde liegende Fragen zu identifizieren und ihren Einfluss zu erkennen. Du erfährst, dass Historikerinnen und Historiker Fragen an die Vergangenheit stellen, diese zu beantworten versuchen und darauf aufbauend Geschichte darstellen. Du lernst, selbst Fragen an die Vergangenheit zu formulieren und die Fragenstellungen zu erkennen, die historischen Darstellungen zu Grunde liegen. Historische Methodenkompetenz Wovon du ausgehst Du lernst… Was du erreichst Historische (schriftliche, bildliche, mündliche, materielle …) Quellen, geschichtskulturelle Produkte (z.B. Filme, Comics, Computerspiele) Darstellungen historischer Ereignisse … Quellen genau zu beschreiben, zu untersuchen und zu interpretieren (Quellenkritik) sowie zu bewerten. Du übst auch, ausgehend von deiner Quellenkritik „Erzählungen“ über die Vergangenheit zu formulieren. … Geschichtsdarstellung von Historikerinnen und Historikern (und auch von anderen Urhebern und Urheberinnen) zu analysieren und zu beurteilen. Du bist in der Lage, die Bedeutung und die Glaubwürdigkeit von Quellen zu untersuchen und einzuschätzen. Du erkennst z.B. die den Quellen zugrunde liegenden Absichten. Du lernst auch, aus der Quellenkritik Rückschlüsse auf die Vergangenheit zu ziehen, also die Vergangenheit zu „rekonstruieren“. Du eignest dir fachspezifische Recherchefähigkeiten an, z.B. Fachliteratur zu sichten, Internetarchive zu nutzen usw. Du kannst Geschichtsdarstellungen kritisch hinterfragen und ihre Qualität und die Glaubwürdigkeit untersuchen und beurteilen, d.h. du kannst sie „dekonstruieren“. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
5 Historische Orientierungskompetenz Wovon du ausgehst Du lernst… Was du erreichst Gegenwärtige (gesellschaftliche, politische, kulturelle, wirtschaftliche) Situationen, Entwicklungen, Verhältnisse … … zu verstehen, dass viele gegenwärtige Situationen, Entwicklungen, Verhältnisse usw. Ergebnisse länger- oder langfristiger Entwicklungen sind. … dein Geschichtswissen als Orientierungshilfe für die Gegenwart und die Zukunft zu nützen. Du erkennst, dass viele heutige Konflikte eine lange Vorgeschichte haben, die bei Lösungsversuchen berücksichtigt werden muss. Du lernst, historisches Handeln nicht allein nach heutigen Maßstäben zu beurteilen, sondern die damaligen Rahmenumstände zu berücksichtigen. Politische Kompetenzen Politische Sachkompetenz Wovon du ausgehst Du lernst… Was du erreichst Begriffe, Fachbegriffe, politisches Fachvokabular, Vorstellungen und Vorwissen … dein Begriffswissen und deine „Konzepte“, also deine Vorstellungen und dein Wissen, zu bestimmten politischen Begriffen wie z.B. „Macht“, Demokratie“, „Gleichheit“ usw. zu vernetzen, zu erweitern, vielleicht auch zu verändern und stetig weiterzuentwickeln. Du kennst und verstehst politische Fachbegriffe und Konzepte und kannst sie anwenden. Du kannst auch die Perspektivität und die Konstruktivität verschiedener Manifestationen des Politischen (politische Texte, Bilder, Gegenstände, Handlungen und Ereignisse) erkennen. Politische Urteilskompetenz Wovon du ausgehst Du lernst… Was du erreichst Manifestationen des Politischen (politische Texte, Bilder, Gegenstände, Handlungen und Ereignisse) … diese „Manifestationen“ kritisch zu überprüfen und zu beurteilen und zu politischen Fragen selbst ein begründetes Urteil zu fällen. Du hast eine eigene politische Meinung, die du dir selbst erarbeitet (und nicht kritiklos übernommen) hast und die du hinterfragen und weiterentwickeln kannst. Politische Handlungskompetenz Wovon du ausgehst Du lernst… Was du erreichst Eigene politische Position, eigene Einschätzung äußerer Situationen, Handlungsbedarf … deine eigene politische Position in Worte zu fassen. … deiner politischen Überzeugung entsprechend zu handeln. Du kannst deine politische Meinung, deine Werturteile und deine Interessen angemessen vertreten. Du weißt auch, welche demokratischen Mittel du zur Durchsetzung politischer Anliegen und Forderungen einsetzen kannst. Du kannst dich auch für die Interessen anderer einsetzen. Politikbezogene Methodenkompetenz Wovon du ausgehst Du lernst… Was du erreichst Eigene politische Anliegen Politische Medienberichterstattung Produkte der Medienwelt … politische Berichte und Kommentare zu analysieren, kritisch zu hinterfragen, zu bewerten und mögliche zu Grunde liegende Motive zu erkennen. … selbst politikbezogene Medien zu gestalten. Du kannst unterschiedliche politische Berichterstattungen zuordnen und durchschaust politische Beeinflussung. Du weißt, wie du deine Überzeugungen medial umsetzen kannst. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
6 1 Die Antike Welt – Griechenland und Rom Rekonstruktion von Geschichte am Beispiel Pompeji | Römische Antike Am 24. August 79 n.Chr. brach der Vesuv aus. Er zerstörte Pompeji, eine antike Stadt am Golf von Neapel, und begrub sie mit einer über 20 m dicken Schicht aus Asche und Bimssteinen. Dabei soll es bis zu 5000 Todesopfer gegeben haben. Unser Wissen über Pompeji haben wir aus der „Geschichte“. Wie kommt diese zustande? Der Geschichtsunterricht bzw. die Geschichtswissenschaft beschäftigt sich v.a. mit den Überlieferungen aus der Vergangenheit. Das sind mündliche, schriftliche, gegenständliche und bildliche Quellen. Menschen stellen Fragen an diese Quellen und versuchen so das Vergangene zu erkennen, es wieder herzustellen – es zu rekonstruieren. „Geschichte“ wird also von Personen gemacht. Im Falle Pompejis kennen wir den Augenzeugenbericht eines 18-jährigen römischen Mannes (Plinius, der Jüngere), der dieses Ereignis viele Jahre später als Schriftsteller festhielt. Es sind auch weitere schriftliche Quellen über diesen Vorfall überliefert. Seit dem 18. Jahrhundert beschäftigen sich Archäologinnen und Archäologen mit der zerstörten Stadt Pompeji. Sie versuchen mit Hilfe von Funden Aussehen und Geschichte der Stadt zu rekonstruieren. Manchmal können neue Funde oder Entdeckungen auch zu einer neuen Rekonstruktion, also Darstellung der Geschichte führen. So hat man beispielsweise in Pompeji Nüsse und Granatäpfel gefunden und stellt jetzt die Überlegung an, dass der Vesuvausbruch nicht im Sommer (wie Plinius schreibt), sondern im Herbst stattgefunden habe. Plinius (61/62–113/115 n.Chr.) berichtet vom Vesuvausbruch des Jahres 79 n.Chr., bei dem sein Onkel, Flottenkommandant von Misenum, starb: Mein Onkel war Flottenkommandant in Misenum. Am 24. August berichtete ihm meine Mutter, dass eine Wolke von ungewöhnlicher Größe und Art auftauche. Für die, die aus der Ferne hinschauten, war nicht klar, aus welchem Berg sie aufstieg. Später hat man erkannt, dass es der Vesuv gewesen war. Am ehesten ähnelte die Form der Wolke einer Pinie. Denn wie durch einen sehr langen Stamm in die Höhe gehoben, verbreitete sie sich dann wie in Zweigen. Ich glaube, ein neuer Ausbruch hatte sie in die Höhe gebracht, und sie wurde dann, weil dieser nachließ, sich selbst überlassen oder durch ihr Gewicht heruntergedrückt. Daher löste sie sich nach allen Seiten hin auf. Manchmal war sie weiß, manchmal schmutzig und fleckig, je nachdem, ob sie Erde oder Asche emporgetragen hatte. Der Onkel beschließt mit einem Schiff in die Bucht von Neapel nach Herculaneum einzufahren, um möglichst viele Menschen zu retten und notiert, was er sieht: Schon fiel Asche auf die Schiffe, je näher sie herankamen, desto heißer und dichter, schon fielen auch Bimssteine und halbverbrannte und vom Feuer zerbrochene Steine, schon wurde das Meer plötzlich an manchen Stellen seicht, und die Küste war durch den Einsturz des Berges unzugänglich. Trotzdem fährt der Onkel zu seinem Freund nach Stabiae: Pomponianus war in Stabiae auf der anderen Seite der Bucht. Dort war die Gefahr, obwohl sie noch nicht ganz nahe war, dennoch offensichtlich. Inzwischen leuchteten vom Berg Vesuv an mehreren Stellen sehr hohe Flammen und Brände, deren heller Glanz durch die Finsternis der Nacht verstärkt wurde. Mein Onkel wollte die anderen beruhigen und sagte, dass verlassene Herdfeuer und durch die Angst der Bauern alleingelassene Häuser in ihrer Einsamkeit brannten. Dann ruht er sich in einem Zimmer aus: Aber der Hof, von dem aus man das Zimmer betrat, war von Asche und Bimssteinen schon so hoch angefüllt, dass es unmöglich geworden wäre hinauszugehen, wenn man noch länger im Zimmer bliebe. Nachdem man ihn geweckt hatte, kam der Onkel heraus. Gemeinsam beraten sie, ob man unter Dach bleiben oder sich draußen aufhalten solle. Denn durch die häufigen und starken Beben schwankte das Haus und schien, gleichsam aus seinem Fundament herausgehoben, hin und her zu schwanken. Unter freiem Himmel fürchtete man dagegen den Fall der wenn auch leichten und porösen Bimssteine. Dennoch entschied man sich dafür. Sie binden auf die Köpfe gelegte Kissen mit Leinentüchern fest, das war ein Schutz gegen die herabfallenden Bimssteine. Schon war anderswo Tag, dort herrschte Nacht, schwärzer und dichter als alle Nächte. (nach: C. Plinius Caecilius Secundus: Briefe, Buch VI, 16: Brief an C. Tacitus, 4–16; Originaltext online auf: http://www.thelatinlibrary.com/pliny.ep6. html (24.9.2014); Übers.d.A.) Der Historiker Cassius Dio (163–229 n.Chr.) schildert den Ausbruch so: Viele große weit über die Menschenstatur hinausgehende Menschengestalten, ungefähr wie die Giganten dargestellt werden, erschienen bald auf dem Berge, bald in der Gegend und in den Städten und wanderten Tag und Nacht auf der Erde umher oder schwebten in der Luft. Und die Erde wurde plötzlich erschüttert, so dass die ganze Fläche umher in wallender Bewegung zu sein und die Spitzen der Berge zu hüpfen schienen. Damit waren schreckliche Töne, teils unterirdische, dem Donner gleich, teils über der Erde, einem Gebrüll ähnlich, verbunden; das Meer brauste, der Himmel donnerte, und auf einmal fing es so fürchterlich zu krachen an, als ob die ganze Masse der Berge zusammenstürzte. Ungeheure Steine stiegen anfangs bis an den Rand des Schlundes empor und dann schreckliche M1 M2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
7 Die Antike Welt – Griechenland und Rom 1 Flammen und ganze Wolken von Rauch, so dass der ganze Himmel verdunkelt und die Sonne wie bei einer Sonnenfinsternis ganz unsichtbar war. Zu finsterer Nacht wurde also der helle Tag. Die einen glaubten, die Giganten stünden wieder auf, denn außer dass luftige Gestalten von ihnen oft durch den Rauch hindurch schienen, ließ sich auch eine Art von Trompetenklang hören, die anderen meinten, die Welt stürze in ihr altes Chaos oder in ein allgemeines Feuer zusammen. Alles floh aus den Häusern auf die Straße, aus den Straßen in die Häuser alle in dem Wahn, überall sicherer zu sein als da, wo sie waren. Unterdessen war vom Winde eine unermessliche Menge an Asche aufgetrieben worden, die Land und See und Luft bedeckte. Der durch diese Asche angerichtete Schaden war bald mehr, bald weniger beträchtlich: Menschen und Dörfer und Vieh litten gewaltig und zwei ganze Städte, Herculaneum und Pompeji, wurden verschüttet, während das Volk im Theater einem Schauspiel zusah. So unendlich war die Menge dieser Asche, dass sie strichweise bis nach Afrika, Syrien und Ägypten fortgetrieben wurde, auch über Rom sich verbreitete, den ganzen Horizont der Stadt einnahm und die Sonne verdunkelte. Auch hier war die Angst der Menschen mehrere Tage lang nicht gering, weil man die Ereignisse in Kampanien noch nicht wusste und keine auch nur mutmaßliche Ursache aufzufinden imstande war. Auch hier glaubte man, alles stürze in Trümmern zusammen, die Sonne falle vom Himmel in die Erde hinein und die Erde hebe sich himmelan. (nach: Cassius Dio, Römische Geschichte. Aus dem Griechischen übers. von Johann A. Wagner, Bd. 4. Frankfurt am Main 1787, 66, 22–23) Gipsabdrücke getöteter Menschen Giuseppe Fiorelli, ein italienischer Archäologe, leitete im 19. Jh. die Ausgrabungen in Pompeji. Er modernisierte die Grabungstechniken. Schicht für Schicht grub er von oben Verschüttetes aus, so konnte er Häuser und einen Stadtplan rekonstruieren. Er stieß auch auf die Hohlräume, die die Leichen in der erhärteten Asche hinterlassen hatten. Er ließ sie mit Gips anfüllen – so entstanden Skulpturen der damaligen Bewohnerinnen und Bewohner Pompejis. © akg-images/Tristan Lafranchis Rekonstruktion von Häusern Fiorellis Methode (s. M3) wurde im Laufe der Zeit verfeinert. So grub man nun auch Häuser schichtweise von oben aus und goss kleinere Hohlräume mit Gips aus. Die Mauern blieben so stabil und auch hölzerne Dachkonstruktionen wurden entdeckt. M3 M4 Zeitbilder 5 S. 55 Zeitbilder 5/6 S. 47 1. Analysiere den Brief des Plinius (M1) unter folgenden Gesichtspunkten: (Historische Methodenkompetenz) a) Fasse zusammen, welche Phasen des Ausbruchs Plinius beschreibt. b) Arbeite heraus, wie Plinius die Gefahr einschätzt und worin die Menschen die Hauptgefahrenquellen sehen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
8 1 c) Erläutere, was sich aus seinen Erzählungen über die Bauweise römischer Häuser ablesen lässt. 2. Beschrifte die Skizze mit Hilfe eines historischen Atlas oder einer Karte aus dem Internet (Neapel via Google Maps suchen). Trage den Weg, den der ältere Plinius zurückgelegt hat, ein (M1). Ermittle, ob sich daraus Rückschlüsse auf seine Einschätzung der Lage ziehen lassen. (Historische Methodenkompetenz) 1: 2: 3: 4: 5: 3. Analysiere die Schilderung des Cassius Dio (M2). Liste die Aussagen auf, die man heute eindeutig als „unwissenschaftlich“ ansehen würde. (Historische Methodenkompetenz) 2 3 1 4 5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
9 Die Antike Welt – Griechenland und Rom 1 4. Vergleiche die Schilderungen von Plinius und Cassius Dio (M1 und M2). Beachte dabei auch den zeitlichen Abstand zwischen den Aufzeichnungen und dem beschriebenen Ereignis (insbesondere bei Cassius Dio). Welche Gemeinsamkeiten in der Rekonstruktion des Ereignisses weisen sie auf? (Historische Methodenkompetenz) 5. Betrachte das Foto M3. Stelle fest, zu welcher der beiden schriftlichen Quellen es besser passen würde. Begründe deine Entscheidung. (Historische Methodenkompetenz) Erläutere, ob sich aus der Lage der Verstorbenen Rückschlüsse auf die Art ihres Todes ziehen lassen. 6. Sieh dir das Foto M4 genau an. Diskutiere mit deiner Sitznachbarin oder deinem Sitznachbarn, vor welchen wissenschaftlichen und finanziellen Problemen die Archäologinnen und Archäologen, abgesehen von ihrer Ausgrabungstätigkeit, noch stehen könnten. (Historische Orientierungskompetenz) 7. Gestalte mit Hilfe der abgebildeten Materialien und deinen bisherigen Überlegungen in den Arbeitsaufgaben dazu ein Plakat zu Pompeji. (Historische Methodenkompetenz) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
10 1 Die Antike Welt – Griechenland und Rom Rekonstruktion: Alltag in Pompeji | Römische Antike Wie hat das Alltagsleben in Pompeji, das 79 n.Chr. durch einen Vulkanausbruch verschüttet worden war, ausgesehen? Diese Frage nach dem Alltag wurde für die historische Forschung in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger. Mit Hilfe von schriftlichen, aber vor allem auch mit gegenständlichen Quellen können sich Historikerinnen und Historiker das damalige Leben in Pompeji vorstellen. In Pompeji hat man Häuser ausgegraben und rekonstruiert, große mit Mosaiken und Wandmalereien geschmückte Atriumshäuser, aber auch kleine Häuschen mit einer Werkstatt im Parterre und Wohnräumen im ersten Stock. Daneben wurden Theater, darunter ein Amphitheater, Tempel und Thermen entdeckt. Die Archäologinnen und Archäologen haben auch Wasserleitungen, Straßen, Markthallen und öffentliche Bauten – wie damals im Imperium Romanum üblich – gefunden. Anhand all dieser Bauwerke lässt sich ein Teil des Alltagslebens der Menschen in Pompeji rekonstruieren. Gipsabdruck eines Mannes, der in seinem Amphoren- Geschäft vom Vesuvausbruch überrascht und getötet wurde. Er hatte sich hingekauert und die Hände vor das Gesicht geschlagen. © B. Verreet/F1Online/picturedesk.com Mosaik und Gipsabdruck: In Pompeji lebten auch zahlreiche Hunde, wobei man beachten muss, dass die Menschen damals Hunde nicht nach Rassen unterschieden, sondern nach den Aufgaben, die sie erfüllten. Auch ihre Lebensumstände lassen sich mit Hilfe der Archäologie rekonstruieren. Fußbodenmosaik im Haus des tragischen Poeten in Pompeji, 1. Jh.n.Chr./© Ciro Fusco/EPA/picturedesk.com Gipsabdruck eines pompejianischen Hundes, der während des Vulkanausbruchs angeleint war/© Walter Rawlings/Robert Harding/ picturedesk.com Bericht des Historikers Tacitus (ca. 58–ca. 120 n.Chr.) über Ausschreitungen bei einem Gladiatorenspiel 59 n.Chr. in Pompeji: Zu derselben Zeit entstand aus nichtigem Anlass bei einem Gladiatorenspiel ein grässliches Blutbad unter den Bewohnern der Kolonialstadt Nuceria und denen von Pompeji. Livineius Regulus, von dem ich berichtet habe, dass er aus dem Senat ausgeschlossen worden war, veranstaltete das Spiel. Freilich gab es Übermut der Stadtbewohner, gegenseitige Vorwürfe gegen die Hereinkommenden, dann nahmen sie Steine und schließlich griffen sie zum Schwert. Das Volk der Pompejianer, bei denen das Schauspiel veranstaltet wurde, war stärker. Daher wurden viele von den Nucerinern mit durch Wunden verstümmeltem Körper in die Stadt Rom gebracht, und die meisten beweinten den Tod von Kindern oder Eltern. Der Kaiser ordnete eine gerichtliche Untersuchung dieser Sache vor dem Senat und der Senat ordnete diese vor den Konsuln an. Nachdem die Angelegenheit wieder vor den Senatoren berichtet worden war, verbot man den Pompejianern für 10 Jahre derartige Zusammenkünfte abzuhalten, und Vereine, die sie im Widerspruch zu diesen Gesetzen eingerichtet hatten, wurden aufgelöst. Livineius und andere, die diesen Streit ausgelöst hatten, sind mit der Verbannung bestraft worden. (P. Cornelius Tacitus: Annales, Buch XIV, 17; Originaltext online auf: http:// www.thelatinlibrary.com/tacitus/tac.ann14.shtml (25.9.2014); Übers.d.A.) M1 M2 M3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
11 Die Antike Welt – Griechenland und Rom 1 1. Beschreibe und analysiere das Foto M1. (Historische Methodenkompetenz, Historische Orientierungskompetenz) a) Beschreibe den Arbeitsplatz dieses Mannes. Erkläre, welche Unterschiede es zu vergleichbaren heutigen Einrichtungen gibt. b) Lies noch einmal den Einleitungstext durch, in dem die kleinen Häuser beschrieben sind. Beschreibe, welche Unterschiede zum Alltagsleben der meisten heutigen Erwachsenen sich daraus und aus dem Bild (M1) ableiten lassen. c) Beschreibe die Form der Amphoren. Recherchiere, warum diese Form für den Transport besonders günstig war. 2. Vergleiche beide Fotos (M2) miteinander. (Historische Methodenkompetenz, Historische Orientierungskompetenz) a) Rekonstruiere, welche Funktion die beiden dargestellten Hunde erfüllt haben dürften. Hund 1: Hund 2: Amphitheater in Pompeji. Fresko im Haus des Actius Anicetus, das den Kampf zwischen Pompejianern und Nucerianern 59 n.Chr. zeigt. © NPL – DeA Picture Library/Bridgeman Images Antike Graffiti aus Pompeji, 1. Jh.n.Chr. Amo te, Facilis: fac mi copiam (CIL IV 10234) Daphnicus cum Primigenia hic (CIL IV 4087) Admiror, paries, te non cecidisse ruinis, qui tot scriptorum ta(ed)ia sustineas. (CIL IV 2487) Hic fuimus cari duo nos sine fine sodales, nomina si quaeris: Caius et Aulus erant. (CIL IV 8262) (Aus: Corpus Inscriptionum Latinarum, Bd. 4. Originaltext online auf: http://cil.bbaw.de/ 17.07.2023) M4 M5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
12 1 b) Erläutere anhand des Gipsabdrucks (M2), in welcher Situation der Hund bei seinem Tod war. Begründe deine Entscheidung. c) Die Menschen der Antike teilten Hunde nicht nach Rassen, sondern nach ihren Funktionen ein. Nenne vier verschiedene Aufgaben, die Hunde in der Antike möglicherweise erfüllen mussten. Überlege, welche zusätzlichen Funktionen manche Hunde in unserer Zeit erfüllen. Antike: Antike: Antike: Antike: Neuzeit: Neuzeit: 3. Untersuche und bewerte die Quelle M3 unter folgenden Gesichtspunkten: (Historische Methodenkompetenz, Historische Orientierungskompetenz) a) Der Historiker Publius Cornelius Tacitus wollte von Ereignissen berichten, ohne zu werten („sine ira et studio“). Analysiere die Textstelle daraufhin: Lässt sich in einer Passage vielleicht doch eine Wertung erkennen? Begründe deine Meinung. b) In der heutigen Berichterstattung wird manchmal von der „Eskalation eines Konfliktes“ gesprochen. Dieser Begriff war Tacitus noch unbekannt. Arbeite heraus, wie er die Tatsache der Eskalation darstellt. c) Stelle fest, welche Strafen nach Tacitus gegen die Anstifter der Kampfhandlungen verhängt wurden. Diskutiere, ob sie angemessen sind. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
13 Die Antike Welt – Griechenland und Rom 1 d) Recherchiere, welche Strafen heute z.B. gegen sogenannte Hooligans oder gegen Fußballclubs mit gewaltbereiten Anhängerinnen und Anhängern verhängt werden. 4. Betrachte das Bild M4. Stelle fest, wie die nicht im Programm der Gladiatorenspiele vorgesehenen Kampfhandlungen dargestellt sind. Schildere, in welcher Weise ein derartiges Ereignis heute dargestellt würde. (Historische Methodenkompetenz, Historische Orientierungskompetenz) 5. Ordne die untenstehenden Übersetzungen den jeweiligen Quellen (M5) zu, indem du die Nummern einträgst. Überlege, welches Verb du in der Daphnicus-Inschrift ergänzen würdest. Diese Inschriften gehören nicht zur lateinischen Literatur. Stelle dar, warum sie trotzdem für Historikerinnen und Historiker so wichtig sind. (Historische Orientierungskompetenz) Übersetzung Quelle Wir waren hier, zwei wirklich gute Freunde, wenn Du nach den Namen fragst: Es waren Caius und Aulus. Daphnicus war mit Primigenia hier. Ich wundere mich, dass du, Wand, noch nicht eingestürzt bist, weil du den Unfug so vieler Inschriften aushalten musst. Ich liebe dich, Facilis: Gib mir eine Chance! 6. Gibt es heutige Entsprechungen zu diesen Inschriften M5? Vervollständige die Tabelle mit heutigen Möglichkeiten sich selbst (legal oder auch nicht) ein handschriftliches Denkmal zu setzen. (Historische Orientierungskompetenz) Urlaub Liebe Selbstdarstellung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
14 1 Die Antike Welt – Griechenland und Rom Dekonstruktion: Untergang des römischen Reiches | Spätantike Die Auflösung des römischen Imperiums während der Völkerwanderungszeit war ein historisches Ereignis von ungeheurer Tragweite: sowohl ein Großreich als auch eine Kulturepoche, die Antike, gingen damit zu Ende. Daher verwundert es nicht, dass Historikerinnen und Historiker über die Gründe des Untergangs immer wieder von neuem nachdenken. Meist wird nicht nur eine einzige Ursache für den Untergang verantwortlich gemacht. Viele Historikerinnen und Historiker erachten unterschiedliche Gründe als wichtig und entscheidend. Solche sind zum Beispiel: Aberglauben, Bleivergiftung, Christentum, Verarmung, Wohlstand und Zweifrontenkrieg. Wie die beiden Beispiele „Verarmung“ und „Wohlstand“ zeigen, werden manchmal auch völlig entgegengesetzte Ansichten als bedeutsamste Ursachen angeführt. Die Darstellung der historischen Ereignisse hängt also wesentlich von der Bewertung der Geschichtsquellen durch die einzelnen Forscherinnen und Forscher ab. Sie schreiben denselben Quellen oftmals eine etwas andere Bedeutung zu, ziehen andere Quellen heran oder entdecken sogar neue Quellen. Das führt dazu, dass bisherige Sichtweisen eines Geschehens, wie z.B. der Untergang Roms, neu bewertet werden. Forscherinnen und Forscher decken Schwächen oder Fehler veralteter Geschichtsdarstellungen auf, dekonstruieren also unser bisheriges Verständnis von einem bestimmten Ereignis. Der Historiker Alexander Demandt hat bei den 227 Gründen, welche von den Forscherinnen und Forschern für den Fall Roms bisher angegeben wurden, die Für und Wider kritisch abgewogen. Durch seine Dekonstruktionen schuf er bessere Voraussetzungen für künftige Erklärungsversuche. Demandt über das Christentum als Ursache: Betrachten wir zunächst jene Autoren, die glauben, dass das Christentum einen großen Einfluss auf den Untergang Roms hatte. Viele moderne Historiker halten die christliche Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tod, die Verweigerung von Staatsdienst und Wehrpflicht für sehr schädlich für den Staat. Der Einfluss des Christentums auf den Zerfall Roms wird nur von solchen Autoren betont, die entweder das römische Reich oder aber die Kirche ablehnen. Wer das römische Reich positiv sieht, betrachtet die Rolle des Christentums im Zerfall des Reiches als traurig und als Schuld. Wer auf Seiten der christlichen Menschen steht, findet den Zerfall des Reiches gut und einen Verdienst der Christen. Es scheint, als ob in letzter Zeit den Christen seltener die Schuld am Untergang Roms gegeben würde. Denn immerhin existierte der christliche Osten (Byzanz) noch sehr lange und auch die Germanen waren Christen. (nach: Demandt, Alexander: Zeitenwende. Aufsätze zur Spätantike. Berlin, Boston 2013, S. 139 f. sprachlich stark vereinfacht) Über Verarmung und Wohlstand: Bei der Erklärung für den Zerfall des römischen Reiches geht die Forschung meist von Faktoren aus, die Gesellschaft und Wirtschaft gemeinsam betreffen: von den Gegensätzen zwischen der Verarmung der Massen und dem Wohlstand Weniger, von der Verarmung der Landbevölkerung und dem Luxusleben der Senatoren. Doch die ungleiche Verteilung des Besitzes in Rom kann den Zerfall nicht erklären. Denn einerseits lag der Lebensstandard des einfachen Landbewohners sicher noch über dem des einfachen Menschen außerhalb des Reiches, und anderseits gab es in der germanischen Gesellschaft ähnliche Besitzunterschiede wie bei den Römern. Heute meinen Historiker, die Senatoren hätten mit ihrem Geld die Verteidigung Roms durch germanische Söldner bezahlen können. Aber hätte eine größere Zahl germanischer Söldner nicht genau die Gruppe gestärkt, die das Reich dann gesprengt hat? (nach: Demandt, Alexander: Zeitenwende. Aufsätze zur Spätantike. Berlin, Boston 2013, S. 140 u. 142; S. 352; Der Fall Roms. Die Auflösung des römischen Reiches im Urteil der Nachwelt. 2. erw.u.akt.Aufl., München 2014, S. 633; stark vereinfacht und gekürzt.) Über Naturerscheinungen: Naturerscheinungen sind immer wieder beliebt. So werden neben der Pest noch immer Seuchen für weitere Gesundheitsschäden verantwortlich gemacht: Das Wall Street Journal hatte 1983 behauptet, Bleivergiftung würde zu Impotenz führen. Das wurde eindeutig widerlegt. Ein anderer Forscher behauptete im Jahr 2001 dasselbe von Malaria. Diese Theorie war bereits 1907 in die Welt gesetzt worden. 2006 wurde eine Umweltkrise aufgrund eines Vulkanausbruchs auf Neuseeland für den Untergang Roms verantwortlich gemacht. Andere Forscher meinten in den 1990-er Jahren, ein Kälteeinbruch habe um 400 die germanische Völkerwanderung ausgelöst. Doch die war zu dieser Zeit längst im Gange. Die Ausbreitung der Germanen zog sich über sehr lange Zeit. Dafür reicht keine punktuelle Erklärung aus. Aber naturwissenschaftliche Erklärungen sind natürlich spektakulär. (nach: Demandt, Alexander: Der Fall Roms. Die Auflösung des römischen Reiches im Urteil der Nachwelt. 2. erw.u.akt.Aufl., München 2014, S. 634; stark vereinfacht und gekürzt.) Demandts eigener Erklärungsversuch: „Ohne die germanischen Angriffe ist der Zerfall des römischen Reichs nicht zu erklären.“ Intensive Forschungen beweisen das wechselnde Verhältnis zwischen Germanen und Römern: Die armen, kinderreichen und kriegerischen Germanen und die reichen, kinderarmen und friedliebenden Römer konnten nicht zusammenleben. Rom ging nicht durch die Fehler unfähiger Männer, nicht am Luxus und schlechten Sitten zugrunde. Man kann den Römern auch nicht vorwerfen, dass sie die militärische Sicherheit sträflich vernachlässigten. Eine rechtzeitig verstärkte Einbürgerung der Germanen hätte vielleicht geholfen. Doch die zunächst zuversichtlich begonnene Integration scheiterte. Ob das am Verhalten der Germanen oder dem der Römer lag, ist unklar. (nach: Demandt, Alexander: Zeitenwende. Aufsätze zur Spätantike. Berlin, Boston 2013, S. 147 u. 359; Ders.: Der Fall Roms. Die Auflösung des römischen Reiches im Urteil der Nachwelt. 2. erw. u. akt. Aufl., München 2014, S. 636; Kürz. u. Vereinf. d. A.) M1 M2 M3 M4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
15 Die Antike Welt – Griechenland und Rom 1 1. Ziehe zur Analyse (Dekonstruktion) einiger Ursachen für den Untergang Roms die Darstellungen M1–M3 heran. (Historische Methodenkompetenz) a) Arbeite die Gründe heraus, die für den Untergang Roms angeführt werden. M1 M2 M3 b) Fasse die Argumente zusammen, die jeweils zur Problematisierung (Dekonstruktion) der einzelnen Sichtweisen angeführt werden. Erörtere deren Angemessenheit (Überzeugungskraft). M1 M2 M3 2. Erörtere die Aussagen des Historikers Alexander Demandt zum Untergang Roms in M4. (Historische Methodenkompetenz) a) Ermittle die wesentlichen Sachverhalte, die er zur Erklärung für den Untergang Roms heranzieht. b) Diskutiere seine offen gehaltenen Schlussfolgerungen zum Untergang Roms mit einer Mitschülerin oder einem Mitschüler. Verfasse eine kurze Stellungnahme. 3. Immer wieder wird der Untergang Roms mit Europa in der Flüchtlingskrise verglichen. Vergleiche die Begründung, die Demandt für den Untergang Roms nennt (M4), mit aktuellen politischen Diskussionen zur Migration. Gibt es Parallelen? Ziehe dazu auch Artikel aus Medien heran. Erörtere, inwieweit hier aktuelle Probleme auf historische Abläufe übertragen werden. (Historische Orientierungskompetenz) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
16 2 Das Mittelalter – eine 1000-jährige Epoche Krönungszeremonien zur Legitimierung1 der Herrschaft | Mittelalter 1 für gesetzmäßig bzw. rechtmäßig erklären; gesetzliche, rechtmäßige Anerkennung Die Krönung eines Kaiser/einer Kaiserin oder eines Königs/einer Königin zählte im europäischen Mittelalter zu den hervorragendsten gesellschaftlichen und politischen Ereignissen. In einer genau geplanten feierlichen Handlung (= Zeremonie) wurden ihm oder ihr das Recht und die Macht zur Ausübung des Herrscheramtes übertragen. Dabei spielte eine besondere religiöse Vorstellung eine große Rolle: Der christliche Kaiser sah sich durch göttliches Recht legitimiert, über die Welt zu herrschen. Der erste, der vom Papst zum Kaiser gekrönt wurde, war der fränkische König Karl (d. Große) im Jahr 800. Das war auch der Versuch, das Römische Reich zu erneuern. Karl sah sich als Herrscher über das „gesamte Christenvolk“ und als Verteidiger der Kirche. Das Ritual der Salbung mit Chrisam, dem heiligen Öl, machte den Kaiser zu einem Gesalbten des Herrn. Dies sollte ausdrücken, dass Gott selbst dem Kaiser die Herrschaft verlieh – aufgrund der Salbung und Krönung durch den Papst. Ähnlich verliefen auch die Krönungszeremonien der römisch-deutschen Könige. Nach der Wahl durch die Fürsten nahmen Erzbischöfe des Reiches Salbung und Krönung sowie die Übergabe der weiteren königlichen Würdezeichen (Reichsschwert, Krönungsmantel, Zepter oder Reichsapfel) vor. Auch die Herrscher der anderen europäischen Königreiche sahen sich durch Gott legitimiert. Reichskrone (Schatzkammer, Wien): Sie wurde vermutlich für die Kaiserkrönung Ottos I. im Jahr 962 angefertigt. Die abgebildete Platte zeigt Christus mit der Inschrift: „per me reges regnant“ = „Durch mich regieren die Könige“. © TopPress Austria/Schöndorfer Karl/picturedesk.com Der sächsische Mönch und Chronist Widukind von Korvei (925–ca. 973) berichtet in seiner Sachsengeschichte über die Königskrönung Ottos I. (936): Heinrich (I.), der größte und beste der Könige war tot. Nun erkor sich das ganze Volk der Franken und Sachsen seinen Sohn Otto zum Fürsten. Die Herzöge und vornehmsten Grafen versammelten sich im Säulenhof neben der Kirche Karls des Großen. Sie setzten den neuen Herrscher auf einen hier errichteten Thron, gelobten ihm Treue und machten ihn so nach ihrem Brauch zum König. Er wurde dann in die Kirche geleitet. Dort wurde er vom Erzbischof empfangen. Der rief zum Volk: „Seht, hier führe ich euch den von Gott erwählten und jetzt von allen Fürsten zum König gemachten Otto. Wenn ihr der Wahl zustimmt, so hebt zum Zeichen dafür die Rechte zum Himmel.“ Darauf hob das ganze Volk die Rechte zum Himmel. Dann schritt der Erzbischof mit dem König hinter den Altar, auf dem die königlichen Herrschaftszeichen lagen: das Schwert, der Mantel, das Zepter und die Krone. Der Erzbischof überreichte ihm Schwert und Zepter und bekleidete ihn mit dem Mantel. Dann wurde Otto mit dem heiligen Öl gesalbt und mit der goldenen Krone gekrönt. Nach dem ordnungsgemäßen Vollzug der Weihe wurde er zum Thron geführt. Nach dem Messopfer ging der König zur Pfalz und trat zum Marmortisch, der mit königlichem Prunk gedeckt war, und setzte sich mit den Erzbischöfen und allem Volk; die Herzöge taten Tischdienst. (Widukind von Korvei: Sachsengeschichte; zit. nach: Borst, Arno: Lebensformen im Mittelalter, 3. Aufl. 2003, S. 474 ff.; Vereinf. u. Kürz. d.A.) Albrecht Dürer (1472–1528): Kaiser Karl d. Große. Dürer schuf 1512 oder 1513 mit diesem Tafelbild (209 x 119,5 cm) ein Idealbildnis des Kaisers. Die dargestellten Reichsinsignien (= Würdezeichen: Reichskrone, Krönungsmantel, Reichsapfel, Reichsschwert) werden heute in der Schatzkammer in Wien aufbewahrt. Das Bild befindet sich im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg; eine Kopie, gefertigt um 1600, in der weltlichen Schatzkammer in Wien. Rahmenumschrift: „Dis ist der gstalt und biltnus gleich / Kaiser Karlus der das Remisch reich Den teitschen undertenig macht / Sein Kron und Klaidung hoch geacht / zaigt man zu Nürenberg alle Jar / Mit andern haltum offenbar.“ © Bettmann/Corbis M1 M2 M3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
17 Das Mittelalter – eine 1000-jährige Epoche 2 Der Historiker Johannes Fried über die Herrschaft Kaiser Karls d. Großen: Der neue Kaiser (Karl d. Gr.) mochte in der eben erlangten Würde den Gipfelpunkt seiner Herrschaft erkannt, seine ihm zugefallene Aufgabe als universaler Schutzherr der Christenheit angenommen haben, doch die langanhaltenden Folgen seiner Krönung konnte er schwerlich erahnen. (…) Wirksam blieb die Erneuerung der Kaiserwürde (…) allerdings weit über ein Jahrtausend, bis zum Jahr 1806, und, wenn die Nachfolger als „Kaiser“ mit gerechnet werden – l’Empereur des Francais, der Kaiser von Österreich, el Emperador de Mexico, der Deutsche Kaiser, the Empress of India – bis ins 20. Jahrhundert. (Fried, Johannes: Karl der Große. Gewalt und Glaube. München 2013, S. 495) M4 1. Salbung und Krönung bilden die zwei zentralen Elemente einer Krönungszeremonie. Aber diese umfasst mehr. Ziehe die Quelle M2 heran und vervollständige den Ablauf. Erläutere die symbolische Bedeutung der einzelnen Handlungen. (Historische Methodenkompetenz) 1. 2. 3. 4. Salbung: 5. Krönung: 6. 7. 2. Beschreibe die Abbildungen M1 und M3. Recherchiere die symbolische Bedeutung der einzelnen Reichsinsignien. Erläutere, was der Bibelspruch „Durch mich regieren die Könige“ auf der Krone bedeuten kann. (Historische Methodenkompetenz) Reichskrone (10./11. Jh.): Reichsschwert (14. Jh.): Krönungsmantel (12. Jh.): Reichsapfel (14. Jh.): 3. Recherchiere die Bedeutung der beiden Gegenstände in den Händen Karls des Großen in M3. (Historische Methodenkompetenz) 4. Wähle anhand der Aussagen des Historikers Fried (M4) ein Beispiel für die „Nachfolge“ der Kaiseridee aus dem 20. Jh. Fasse Wesentliches dazu in Stichworten zusammen. Diskutiert die Angemessenheit dieser Idee für die Gegenwart. (Historische Orientierungskompetenz) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
18 2 Das Mittelalter – eine 1000-jährige Epoche Handlungsspielräume von Frauen | Mittelalter Im Mittelalter war die rechtliche Stellung einer Frau von der gesellschaftlichen Position des für sie zuständigen Mannes (z.B. Ehemann, Vater) abhängig. Die Möglichkeiten von Frauen, selbstbestimmt und öffentlich zu handeln, waren demnach sehr eingeschränkt. Trotzdem gab es diese. Vor allem Frauen aus adeligen Kreisen, wie etwa Königswitwen, regierten als Vormünder für ihre unmündigen Söhne, sie vermittelten zwischen Streitparteien, regten Reformen an usw. Aber auch Frauen aus den niederen gesellschaftlichen Rängen hatten Handlungsspielräume. Diese reichten zwar weniger weit, waren aber für das alltägliche Leben sehr wichtig. So war beispielsweise die Ehefrau eines Hörigen zusammen mit ihrem Mann Pächterin. Sie kümmerte sich nach dem Tod des Mannes um den Hof. Frauen in den Städten durften mit Zustimmung der Zunft den Handwerksbetrieb ihres verstorbenen Mannes weiterführen. Wenn eine Frau aus adeligem Hause oder aus dem Bürgertum nicht von einem Mann abhängig sein wollte, konnte sie ins Kloster gehen; Mägden und Dienstfrauen blieben diese Möglichkeiten verwehrt. Mägde durften nicht heiraten. Die insgesamt eingeschränkte Situation der Frau wurde noch dadurch verstärkt, dass fast alles, was an schriftlichen oder bildlichen Quellen über Frauen überliefert ist, von Schreibern der Fürstenhöfe und von Männern aus Bischofskanzleien und Klöstern stammt, also von einem „männlichen“ Blick beeinflusst ist. Daher wird vielfach auch behauptet, das Mittelalter sei „männlich“. Solche Vorstellungen wurden seit dem späten Mittelalter von herausragenden Frauen, wie der Schriftstellerin Christine de Pizan (1365 – ca. 1430), kritisch in Frage gestellt. Der Historiker Ian Mortimer über die rechtliche Stellung von Frauen im Mittelalter: Frauen werden gewöhnlich nicht über ihre Tätigkeit definiert, sondern über ihren Personenstand. Das mittelalterliche Denken kategorisiert1 sie meist als unverheiratete junge Frauen, Ehefrauen, Witwen und Nonnen. Der Status (gesellschaftliche Stellung, Rang) einer Unverheirateten oder Ehefrau richtet sich nach dem des Mannes, der sie unterhält2. Als Mädchen ist dies ihr Vater oder Stiefvater, nach der Hochzeit ist es ihr Ehemann. Sobald sie verheiratet ist, untersteht sie seiner Autorität. Sie muss sich seinen sexuellen Wünschen fügen, sie darf ohne seine Zustimmung kein Geld leihen und nicht über ihr Eigentum verfügen. (…) Witwen werden oft nach dem Status ihres letzten Ehemannes eingestuft. Diese Situation prägt das Leben der Frauen. Von ihrer Geburt bis über den Tod des Ehemannes hinaus leben sie unter der – wenigstens nominellen3 – Kontrolle eines anderen Menschen, meistens eines Mannes. (Mortimer, Ian: Im Mittelalter. Handbuch für Zeitreisende. München, Zürich 2014, S. 80) Der Historiker Karl Brunner über die finanzielle Absicherung von Ehefrauen im Mittelalter: Bis zum 12. Jh. wurde der Ehefrau vom Mann eine „Dos“ (Gabe des Bräutigams) überschrieben, die bis zu einem Drittel seines Vermögens betragen konnte [z. B. Geld, Vieh, aber auch Hörige; Anm. d. A.]. Das brachte ihr ein Mitspracherecht bei wichtigen ökonomischen Entscheidungen und sicherte eine eventuelle Witwenschaft ab. Später wurde in der Regel ein „Wittum“, eine Versorgungsleistung vereinbart, aber die junge Frau hatte eine Mitgift4 mitzubringen. (Brunner, Karl: Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters. München 2012, S. 41) Die Historikerin Claudia Märtl über die „Munt“5: Je nach Zeit, Ort und sozialem Stand lassen sich erhebliche Unterschiede in der rechtlichen Position von Frauen feststellen. (…) Die Vorschriften beruhten auf Vorstellungen von einer natürlichen Schwäche und Schüchternheit der Frau. So waren Frauen von kirchlichen und weltlichen Ämtern fast ganz ausgeschlossen, in ihren rechtlichen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt und allgemein der Weisungs- und Strafgewalt männlicher Angehöriger, der Munt, unterworfen. Bei der am weitesten verbreiteten Form der Eheschließung nach weltlichem Recht übergab der Gewalthaber6 der Braut die Munt an den künftigen Ehemann. (Märtl, Claudia: Die 101 wichtigsten Fragen. Mittelalter. München 2013, S. 13) Die französische Schriftstellerin und Philosophin Christine de Pizan (1365–ca. 1430) schreibt 1405 über ihre Geschlechtsgenossinnen: Allerorts, in allen möglichen Abhandlungen scheinen Philosophen, Dichter, alle Redner (…) wie aus einem Munde zu sprechen und alle zu dem gleichen Ergebnis zu kommen, dass nämlich Frauen in ihrem Verhalten und in ihrer Lebensweise zu allen möglichen Formen des Lasters neigen. (…) Aber trotz allem, was ich [in Diskussionen; Anm. d. A.] mit anderen Frauen (…) aus den unterschiedlichsten sozialen Ständen (…) erfuhr, und obwohl ich äußerst gründlich beobachtete und prüfte, fand ich keinerlei Anhaltspunkte für solche abschätzigen Urteile über meine Geschlechtsgenossinnen und die weiblichen Stände [damit sind die unverheiratete, die verheiratete und die verwitwete Frau gemeint; Anm. d. A.]. (…) Wenn es üblich wäre, die kleinen Mädchen eine Schule besuchen und sie im Anschluss daran genau so wie die Söhne, die Wissenschaften erlernen zu lassen, dann würden sie genau so gut lesen und die Feinheiten aller M1 M2 1 kategorisieren: einteilen, zusammenfassen 2 der für ihren Lebensunterhalt aufkommt. 3 nominell: dem Namen nach 4 Vermögen in Form von Geld und Gut, das einer Frau bei der Heirat von ihrer Familie mitgegeben wird 5 Munt: althochdeutsch: Schutz; daraus: Vormund 6 Mann, der bisher für ihren Lebensunterhalt aufkam M3 M4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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