Zeitbilder 5, Schulbuch

der […] Wenn eine Anzahl von Menschen eingewilligt hat […] einen Staat zu bilden, so werden sie dadurch gleichzeitig eingebürgert und bilden einen einzigen politischen Körper, in dem die Mehrheit das Recht hat zu handeln und die übrigen zu verpflichten. (Locke, Two Treatises on government / Zwei Abhandlungen über die Regierung II, §95) Der aus den Niederlanden stammende Hugo Grotius (1583–1645) gilt als Begründer des modernen „Vernunftrechts”. Er erklärte schon im Jahr 1625 den Zusammenhang von Naturrecht und Vernunft wiederum so: Q Das natürliche Recht ist ein Gebot der Vernunft […]. Das Naturrecht ist unveränderlich, so dass selbst Gott es nicht verändern kann. Denn obgleich die Macht Gottes unermesslich ist, kann man doch manches anführen, worauf sie sich nicht erstreckt […]. So wenig Gott bewirken kann, dass zweimal zwei nicht vier ist, ebenso wenig kann er bewirken, dass das nach seiner inneren Natur Schlechte nicht schlecht sei. (Grotius, Drei Bücher vom Recht über das Recht des Kriegs und des Friedens, I, 1, X) Gib mit eigenen Worten wieder, welchen Zusammenhang Grotius zwischen Natur- und Vernunftrecht sowie göttlichem Recht herstellt. Als Aufklärer lehnte der deutsche Jurist Christian Thomasius (1655– 1728) nicht nur die Hexenprozesse ab. Er war auch ein entschiedener Gegner der Folter und begründete das so: Q 2. § 2. Und nichts ist so grausam und unmenschlich, als einen Menschen, der nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurde, durch die Folter zu martern und zu zerfleischen, besonders, solange der Richter nach der Folterung hinsichtlich des gestandenen Verbrechens nicht sicherer und überzeugter sein kann, als er es vor der Folterung war. Es lügen die, welche die Folter ertragen können, aber auch die, die sie nicht ertragen können. §5. Es spricht auch sehr gegen den Gebrauch der peinlichen Frage, dass dadurch dem eigentlichen Naturrecht Gewalt angetan wird. Da die eigene Verteidigung in Übereinstimmung fast aller Völker dem Naturrecht zugerechnet wird, was ist es da anderes, als eine völlige Ausrottung jenes bis zum Überdruss vorgebrachten Grundsatzes des Naturrechts, niemandem die Selbstverteidigung zu verwehren, wenn Menschen gezwungen werden, sich durch eigenes Verhalten den Untergang zu bereiten. § 11. Ich behaupte, dass die Folter, die irreligiös, ungerecht und zum göttlichen wie zum Naturrecht im Widerspruch ist, längst aus den Gerichten der Christen hätte verbannt werden müssen. (Thomasius, Über die Folter, in: Hoke / Reiter (Hg.), Quellensammlung zur österreichischen und deutschen Rechtsgeschichte, 1993, S. 298) Fasse die Argumente des Juristen gegen die Folter zusammen und bewerte sie. Ende von Folter und Inquisition Dieses neue Vernunftrecht wirkte sich deutlich auf die Strafgesetzgebung in der Zeit des aufgeklärten Absolutismus aus. Im neuen „Allgemeinen Gesetzbuch über Verbrechen und derselben Bestrafung” (1787) Kaiser Josephs Il., dem Sohn Maria Theresias, galt erstmals wieder der Grundsatz: „Keine Strafe ohne Gesetz” (vgl. StGB §1. Abs. 1), und zwar für alle Stände. Die Folter wurde nun endgültig abgeschafft, jedoch nicht die Prügelstrafe. Seither konnte eine Verurteilung auch ohne Geständnis, nur aufgrund von Indizien ausgesprochen werden. Der nächste große Schritt zum heutigen Strafrecht geschah als Folge der Revolution von 1848. Der Inquisitionsprozess wurde abgelöst vom „Anklageprozess”, der in dieser Form bis heute gilt: Anstelle des Richters wird die Anklage durch ein eigenes staatliches „Organ”, die neu geschaffene Staatsanwaltschaft, erhoben. Das Verfahren selbst wurde nun wieder öffentlich und mündlich durchgeführt. Außerdem wurden neben dem Richter auch Laien als Vertreter des Volkes in den neu geschaffenen Geschworenengerichten eingesetzt. Mit dem Staatsgrundgesetz des Jahres 1867 wurde die Trennung der Gerichtsbarkeit von der Verwaltung als Verfassungsgesetz festgelegt. Auch die Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit der Richter ist in der Verfassung festgeschrieben. Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Die Kodifikation (= systematische Zusammenfassung eines Rechtsbereiches in einem Gesetzbuch) des gesamten Privatrechts gelang erst im Jahr 1811 mit der Veröffentlichung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB). Dieses ist, mit vielen Novellen (= Gesetzesänderungen), bis heute in Kraft. So war z.B. das Eherecht nicht immer Teil des ABGB: Es war von 1855 bis 1868, wie schon in den Jahrhunderten davor, wieder dem kanonischen Recht der Kirche unterstellt. Auch nach 1868 wurde die Trauung von einem Geistlichen vollzogen. Aber erstmals gab es nun auch die Möglichkeit einer „Notzivilehe” vor einer staatlichen Behörde. Sie kam dann zustande, wenn der Geistliche die Trauung wegen kanonischer Ehehindernisse verweigerte, es aber nach staatlichem Recht keine Ehehindernisse gab. Allerdings sah auch das ABGB bis 1938 die Unauflöslichkeit der Ehe für katholische Ehepaare vor. Mit dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland kam es zur Übernahme des Deutschen Ehegesetzes „zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet”. Von nationalsozialistischem Gedankengut befreit, blieb dieses Gesetz auch nach 1945 in Kraft und gilt, mit einigen wesentlichen Änderungen, bis heute. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Stelle dar, wie die Rechtsfindung und Rechtsprechung ausgeübt wurde bzw. wer dafür verantwortlich war: a) in der menschlichen Frühzeit b) zur Zeit der Hochkulturen c) bei den Römern d) im Mittelalter e) seit der Aufklärung 2. Fasse die Merkmale eines modernen Rechtsstaates zusammen. Längsschnitt: Alles, was Recht ist! 153 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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