Zeitbilder 5, Schulbuch

Die Bedeutung von „Reisen“ einst und heute Die meisten Menschen verbinden mit dem Begriff „Reisen“ angenehme Vorstellungen: Urlaub, Erholung, Abenteuer, Neues kennenlernen, Spaß haben… Wir sind es gewohnt, schnell und bequem von einem Ort zum nächsten zu gelangen. Sofern es sich nicht um eine Dienstreise handelt, erfolgt eine Reise heute meist freiwillig. Die Mobilität der Menschen im Mittelalter war sehr viel geringer als heute: Die meisten kamen nie aus ihrem Dorf hinaus. Trotzdem waren damals viele Menschen unterwegs. Reisen im Mittelalter war auch nicht das Privileg einer bestimmten Schicht. Reiche und Arme, Männer und Frauen, Junge und Alte, Bettlerinnen und Bettler und Kranke, Könige und Päpste, Kleriker und Vagabunden bevölkerten die Straßen. Genauso vielfältig waren auch die Motive der Reisenden: Es gab unter ihnen Pilgerinnen und Pilger und Boten, Kaufleute, Kreuzfahrer und Studierende. Allerdings fehlte bei Reisen im Mittelalter meist die Freiwilligkeit: Man reiste, weil man musste, nicht weil man wollte. Dies hängt damit zusammen, dass Reisende im Mittelalter viel mehr und größeren Gefahren ausgesetzt waren als heute. Reisen verursachten auch damals Kosten und die körperlichen Strapazen waren häufig so groß, dass man dabei Gesundheit und Leben riskierte. Zudem waren mittelalterliche Reisende viel weniger daran gewöhnt als wir, sich in fremden Ländern, anderen Kulturräumen und in fremdsprachigen Umgebungen zurechtzufinden. Das Wort „Reisen“ lässt sich vom althochdeutschen Begriff „risan“ ableiten. Es bedeutet „aufstehen“, „sich erheben“, „aufbrechen zu kriegerischer Unternehmung“. Reisen bedeutete auch die Fortbewegung zu Fuß oder mit einem Beförderungsmittel. Die Reisenden im Mittelalter trugen dazu bei, dass Europa langsam zu einer Einheit zusammenwuchs. Auch entstanden schließlich Gemeinsamkeiten, die Europa von anderen Kulturräumen unterschied. Reisen im Mittelalter Der wirtschaftliche und kulturelle Austausch durch Reisende trug auch zur zunehmenden Vernetzung und Globalisierung bei. Wie man im Mittelalter reiste Wie man sich als Reisender im Mittelalter fortbewegte, hing vor allem davon ab, ob man Geld besaß. Die meisten Reisenden gingen zu Fuß, weil sie sich nichts Besseres leisten konnten. Viele reisten sogar barfuß, aus Buße, aus Armut, wegen der unbequemen Schuhe oder der Hitze. Mit einem Wagen zu reisen galt als unmännlich. Die wenigsten Reisenden hätten sich ein so teures Transportmittel überhaupt leisten können. Außerdem waren die schlecht gefederten Wagen sehr unbequem, die Wege und Straßen bis weit in die Neuzeit in schlechtem Zustand. In Wagen reisten daher nur Menschen, die nicht anders konnten: Kranke, Alte und gefangene Verbrecher. Das begehrteste Reisemittel war das Pferd. Dieses konnten sich aber nur reiche geistliche und weltliche Herren leisten. Manche vermögende Reisende ließen sich auch in einer Sänfte tragen. Wer mit einem Reittier – mit einem Pferd, Esel oder Maultier – reisen konnte, schätzte sich glücklich. Häufig wählten Reisende Wasserwege. Preiswert waren Personen und Waren dann zu befördern, wenn es flussabwärts ging. Ungefährlich waren Reisen auf Flüssen und übers Meer aber nicht, denn viele Schiffe liefen auf Grund und sanken. Auch die Bequemlichkeit und die hygienischen Zustände auf einem Schiff im Mittelalter ließen zu wünschen übrig. Der deutsche Dominikanermönch Felix Faber berichtete von seinen zwei Seereisen 1480 und 1483 ins Heilige Land: Q Jeder Pilger habe, so erfahren wir, neben seinem Bett ein Gefäß aus Glas oder Steingut, in das er uriniere und sich erbreche. Da es an Bord eng zugehe und dunkel sei […] stoße „irgendein Tölpel“, aufgestört von einem dringenden Bedürfnis, schon abends im Vorübergehen fünf oder sechs dieser Gefäße um, was einen unerträglichen Gestank verursache. Nachts sei es schwierig, zu den Latrinen vorzustoßen, weil auf dem Deck der Galeere zahllose Menschen liegen. Auf dem Weg zum Bug, wo zu beiden Seiten des Schiffsschnabels Abtritte eingerichtet seien, laufe man mit jedem Schritt Gefahr, auf einen Mitpilger zu treten oder auf einen Schlafenden zu fallen; die Aufgeschreckten fluchen, der Störenfried schimpft zurück […]. Wer mutig und schwindelfrei sei, hangele sich an der Außenwand des Schiffes von Tau zu Tau, was er, Faber, trotz der damit verbundenen Gefahren wiederholt getan habe […]. Wirklich schwierig werde es bei schlechtem Wetter; wer dann den Freiluft-Abort aufsuche, laufe Gefahr, von Kopf bis Fuß durchnässt zu werden; deshalb entledigten sich viele ihrer Kleidung und gingen nackt nach vorn […]. Manche entleerten sich gar in ihre Bettflasche; das sei abscheulich und vergifte die Nachbarn […]. Er [Faber, Anm. d. A.] ergänzt seine Erfahrungen um den dringenden Rat, auf See, wo man leicht Verstopfung bekomme, für regelmäßige Verdauung zu sorgen. (Ohler, Pilgerstab und Jakobsmuschel, 2003, S. 131 f.) Fasse die Erfahrungen, die der Mönch auf seinen Seereisen machte, in eigenen Worten zusammen. Betende Pilgerin. (Wandmalerei, 14. Jh., Notre-Dame, Paris) Querschnitt 128 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=