17. Juden und Jüdinnen in Europa Von Fernhändlern zu Kreditgebern Die Anfänge jüdischen Lebens in West- und Mitteleuropa gehen auf Fernkaufleute zurück. Sie betrieben im Mittelmeerraum Handel zwischen dem (Vorderen) Orient und (West-)Europa. Die Araber unterstützten sie dabei. Vom wirtschaftlich aufstrebenden Frankenreich der Karolinger wurden sie für den Handel gebraucht und deshalb von den Herrschern beschützt. Erste jüdische Kaufmannskolonien und Gemeinden in Mittel- und Westeuropa sind im 10. Jh. nachzuweisen. Sie ließen sich im 11. Jh. aber vorwiegend in Städten nieder, die von Bischöfen beherrscht wurden, wie z. B. in Mainz. Als die Kirche im 12. Jh. die Erlaubnis zur Geldleihe für Christen verbot („Zinsverbot“), wurde das Kreditwesen zunehmend zu einem Geschäftsbereich für Juden: L Im 13. Jh. wurde der Geldhandel mit seinen hohen Gewinnspannen, die es allein ermöglichten, die von den christlichen Obrigkeiten aufgebürdete hohe steuerliche Abschöpfung zu ertragen, zur eigentlichen Grundlage jüdischer Existenz. [...] Ab dem 14. Jh. wurden andere Berufe nur noch zweitrangig zum Kreditgeschäft betrieben. (Toch, Die Juden im Reich, 2003, S. 8) Privilegien und Schutz Die Juden brachten den Fürsten und Stadtherrn durch die Steuern, die sie auf Grund ihrer einträglichen (Fern-) Handelstätigkeit zu entrichten hatten, ansehnliche Gewinne. Sie gewährten ihnen deshalb Privilegien wie Handelsfreiheit, Schutz vor Angriffen, freie Religionsausübung, sowie Rechts- und Besitzsicherheit. Diese Schutzversprechen waren ab dem 12. Jh. ein Vorrecht der Könige bzw. Kaiser („Judenregal“). Allerdings reichte der Schutz durch die Reichsgewalt oft nicht aus, wie die Verfolgungen belegen. Im Verlauf des 13. Jh. ging dieses königliche Schutzrecht zunehmend auf die einzelnen Landesfürsten über. Diese ließen sich für ihre Schutzaufgaben bezahlen. Solcherart hat sich der Schutzauftrag zu einer Einnahmequelle für die Herrschenden entwickelt. Verfolgungen, Vertreibungen und ihre Motive Trotz der Schutzversprechen der Kaiser und Bischöfe ist es immer wieder zu Judenverfolgungen gekommen. Die erste große Verfolgung ereignete sich mit dem Ersten Kreuzzug 1096 in Mainz. Dort bestand bis dahin die größte jüdische Gemeinde des Reiches. Aber auch in Worms und Köln wurden fast alle Jüdinnen und Juden – beinahe 2000 – niedergemetzelt. So fragte 1096 ein jüdischer Chronist aus Mainz: Q Warum verdunkelte sich nicht der Himmel, warum zogen die Sterne ihren Lichtglanz nicht ein, und Sonne und Mond, warum verfinsterten sie sich nicht an ihrem Gewölbe, als an einem Tag 1100 heilige Personen ermordet und hingeschlachtet wurden, so viele Kleine und Säuglinge, die noch nicht gefrevelt und gesündigt, so viele arme und unschuldige Seelen! Willst du hierbei an dich halten, Ewiger? (Zit. nach: Ruster, Das Zeitalter der Christenheit, 1988, S. 88) Solche Judenverfolgungen waren bis ins 12. Jh. die Ausnahme. Nach 1250 gab es allerdings kein Jahrzehnt mehr ohne Gewalt. Waren Verfolgungen zunächst noch örtlich begrenzt, wurden solche nach 1300 mitunter landesweit durchgeführt. Aus England wurden die Jüdinnen und Juden 1290 und aus Frankreich 1306 und 1322 vertrieben. Den bis zum 20. Jh. furchtbarsten Höhepunkt Der deutsche Kaiser Heinrich VII. bestätigt nach der Kaiserkrönung (12. Mai 1310) die Privilegien der römischen Jüdinnen und Juden. Miniatur um 1340 im „Codex Trevirensis“ (Landeshauptarchiv Koblenz). 116 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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