Einen weiteren Effekt hatte Einstein vorhergesagt: Die Existenz von Gravitationswellen. Es dauerte 100 Jahre, bis sie direkt nachgewiesen wurden. Was kann man sich unter Gravitationswellen vorstellen? Stellen wir uns ein Doppelsternsystem vor, d. h. zwei in geringem Abstand einander umkreisende Sterne. Richtung und Stärke ihrer gemeinsamen Gravitationskraft auf entfernte Objekte ergeben sich nach dem Newton’schen Gravitationsgesetz durch vektorielle Addition der Gravitationskräfte der beiden Sterne. Wegen der Bewegung der Sterne ändert sich die Gravitationskraft in jedem Punkt des Raumes ständig. Laut Newton müsste sich diese Änderung ohne Verzögerung auf beliebig weit entfernte Körper auswirken. Denken wir nun nicht in Newton’schen Kraftvorstellungen, sondern in der Einstein’schen Vorstellung des verzerrten Raums. Die Raumverzerrung durch das Doppelsternsystem ist nahe an den Sternen maximal und klingt mit der Entfernung ab. Wegen der Bewegung der Sterne ändert sie sich zeitlich. Wie ein ins Wasser geworfener Stein eine sich ausbreitende Welle erzeugt, breitet sich die Raumverzerrung als Welle mit Lichtgeschwindigkeit aus. Der Raum wird quer zur Ausbreitungsrichtung abwechselnd gedehnt und gestaucht. Dadurch ändern sich Abstände – allerdings so gering, dass bezweifelt wurde, ob man dies jemals messen könnte: Ein Meterstab würde sich um etwa ein Millionstel eines Atomkerndurchmessers ändern. LIGO – ein Observatorium für Gravitationswellen Das Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatorium LIGO ist ein Musterbeispiel eines langfristigen wissenschaftlichen Megaprojekts. 25 Jahre Planung und Entwicklung waren notwendig, um ein Gerät zu bauen, das die erwarteten kleinen Effekte verlässlich messen kann. Federführend sind Wissenschafterinnen und Wissenschafter in den USA, unterstützt durch Forscherteams weltweit. Mehr als 1500 Forscher und Forscherinnen arbeiten mit. LIGO besteht aus zwei identischen Labors, eines im Nordwesten der USA und ein zweites 3 000 km entfernt im Südosten (9.3). Als Detektor für Gravitationswellen dient in jedem Labor ein Laserinterferometer mit zwei je 4 km langen Armen. Wenn eine Gravitationswelle auf den Detektor trifft, werden die Arme unterschiedlich gedehnt bzw. gestaucht. Im Interferometer (9.4) wird ein Lichtstrahl mit einem halbdurchlässigen Spiegel in zwei Teilstrahlen zerlegt, die getrennte Wege durchlaufen und nach Reflexion an Spiegeln wieder zusammengeführt werden. Dabei kommt es je nach dem Unterschied der Lichtwege zur vollständigen oder teilweisen Auslöschung des Lichtstrahls (siehe Interferenz/Überlagerung von Wellen). Aus der Stärke des Signals im Detektor lassen sich Längenänderungen der Lichtwege um Bruchteile der Lichtwellenlänge bestimmen. Die Laserstrahlen laufen in Vakuumröhren. Aufwändig ist die Isolation der Spiegel gegen Bodenerschütterungen. Mit einem Trick wird der Lichtweg in jedem Teilstrahl verlängert: Durch vielfache Reflexion zwischen dem Spiegel am Ende und einem zusätzlichen Spiegel nahe am Strahlteiler (in 9.4 nicht eingezeichnet) durchläuft das Licht einen Weg von 2200 km von der Lichtquelle bis zum Detektor. 14.9.2015: Gravitationswellen erstmals direkt beobachtet! Nach längerer Umbaupause gab es am 14. September 2015 die große Überraschung: In beiden Labors wurden übereinstimmende Signale registriert, die sich deutlich von den unvermeidlichen zufälligen Schwankungen der Signale jedes Detektors unterschieden. Eindrucksvoll zeigt dies 10.1, in der die Signale übereinander gelegt und verglichen werden. 9.1 Die Verzerrung des Raums in Sonnennähe führt zur Lichtablenkung. Von der Erde aus gesehen verschieben sich die Positionen von Sternen. scheinbare Position Stern scheinbare Position Stern Erde Sonne 9.2 Computersimulation: Ein rotierendes Doppelsternsystem lässt die Raum-Zeit schwingen und erzeugt Gravitationswellen, die sich im Raum mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Dabei wird Energie abgestrahlt. 9.3 Luftbild des LIGO-Labors in Louisiana, USA. Die Arme des Interferometers befinden sich in 4 km langen Vakuumröhren, die im rechten Winkel vom Laborgebäude (Laser, Detektor) ausgehen. 9.4 Prinzip des Interferometers: Laserlicht wird an einem halbdurchlässigen Spiegel (Strahlteiler) in zwei Teilstrahlen zerlegt, die an Spiegeln reflektiert werden. Zurück am Strahlteiler werden sie wieder zu einem einzigen Lichtstrahl vereinigt. Änderungen der Lichtwege um Bruchteile der Lichtwellenlänge verändern das Signal im Detektor. Dadurch kann die Wegänderung gemessen werden. Spiegel Spiegel halbdurchlässiger Spiegel Detektor Lichtquelle mit kohärentem Licht 9 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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