Anomalie des Wassers Ein besonders merkwürdiges Verhalten zeigt Wasser, wenn man es erwärmt. Wie 98.1 zeigt, nimmt das Volumen einer Wassermenge beim Erwärmen im Bereich von 0°C bis 4 °C ab und nimmt erst bei weiterer Erwärmung zu. Diese eigenartige Erscheinung bezeichnet man als „Anomalie des Wassers“. Um dieses Verhalten zu verstehen, betrachten wir die Form des Wassermoleküls. Wasser hat die chemische Formel H2O, es besteht aus zwei Atomen Wasserstoff und einem Atom Sauerstoff. Das Molekül ist zwar elektrisch neutral, aber durch seine gewinkelte Form ist die Ladung nicht gleichmäßig verteilt: Das Sauerstoffatom zieht die Elektronen der Wasserstoffatome ein wenig an sich, sodass das Molekül eine negative und eine positive Seite besitzt, es ist ein elektrischer Dipol (98.2). Elektrische Dipole ziehen einander an. Dies gilt auch für Wassermoleküle, was einige besondere Eigenschaften von Wasser erklärt: – Der Energiebedarf für Schmelzen und Verdampfen ist vergleichsweise groß. – Wasser ist zwischen 0 °C und 100 °C flüssig (Vorbedingung für Leben auf der Erde). Dass das eine Besonderheit ist, sieht man im Vergleich mit anderen Molekülen ähnlicher Masse. Beispielsweise ist Ammoniak NH3 zwischen −78 °C und −33 °C flüssig. Wassermoleküle binden einander bei geringer thermischer Bewegung mittels Wasserstoffbrücken: Das O-Atom zieht mit seiner negativen Seite ein H-Atom eines anderen Moleküls an (in 98.3 durch gestrichelte Linien angedeutet). Diese Bindung zwischen Molekülen ist schwächer als die Bindung innerhalb der Moleküle, sie bewirkt den Zusammenhalt von Eis und flüssigem Wasser. Dabei führt die gewinkelte Form der Moleküle zur charakteristischen Kristallform von Eis, die sich in der regelmäßigen Gestalt der Schneeflocken zeigt. Zwischen den einzelnen Molekülen bleibt dabei viel Zwischenraum, so dass die Dichte von Eis um ca. 10 % geringer ist als die Dichte von flüssigem Wasser. Beim Gefrieren dehnt sich das entstehende Eis aus. Eis schwimmt daher im Wasser, wobei etwa 10 % des Volumens über die Wasseroberfläche ragen. Beim Schmelzen geht die Orientierung der Wassermoleküle nicht sofort verloren. Wassermoleküle dringen in die Hohlräume der Eisstruktur ein. Dadurch nimmt das Volumen ab und erreicht bei 4 °C seinen kleinsten Wert. Bei weiterer Erwärmung steigt der Raumbedarf der Wassermoleküle infolge der zunehmenden thermischen Bewegung wieder an, so dass das Wasservolumen wieder größer wird. Die Anomalie des Wassers ist für die Lebewesen im Wasser von großer Bedeutung. Sie verhindert, dass Seen im Winter bis zum Grund zufrieren (98.4). Untersuche, überlege, forsche: Seen im Lauf der Jahreszeiten 98.1 W4 a) Erkläre, wie sich die Wassertemperatur eines Sees an der Oberfläche bzw. in der Tiefe im Lauf der Jahreszeiten ändert. Berücksichtige dabei, dass Wasser ein schlechter Wärmeleiter ist. S1 b) Diskutiere die äußeren Einflüsse, die wichtig sein könnten. Wodurch durchmischt sich ein See und welche Folgen könnte eine mangelhafte Durchmischung haben? 1.4 Wärmetransport Was passiert, wenn zwei Körper mit unterschiedlicher Temperatur miteinander in Kontakt gebracht werden? Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass sich dabei die Temperaturen ausgleichen. Dabei geht Energie vom wärmeren auf den kälteren Körper über. In der Physik wird Energie, die aufgrund von Temperaturdifferenzen übertragen wird, als Wärme bezeichnet. Die Energie, die aufgrund von Temperaturdifferenzen von einem wärmeren auf einen kälteren Körper übergeht, nennt man Wärme Q. Wie alle Energien wird Wärme in der Einheit Joule gemessen. Es gibt drei verschiedene Arten von Wärmetransport: a) Wärmeleitung, b) Wärmeströmung, c) Wärmestrahlung 98.1 Die Anomalie des Wassers: Zwischen 0 °C und 4 °C nimmt das Volumen des Wassers bei Erwärmung ab. 1 2 3 5 6 7 8 9 11121314 16171819 1,001 1,000 Temperatur T in °C Volumen V 98.2 Das gewinkelt aufgebaute Wassermolekül ist ein elektrischer Dipol. 105° 98.3 Die regelmäßige Anordnung von Sauerstoffatomen (rot) und Wasserstoffatomen (blau) der Wassermoleküle im festen Zustand (Eis) erklärt die Anomalie von Wasser. Die Moleküle brauchen bei dieser Anordnung mehr Platz als in flüssigem Wasser. 98.4 Die Temperaturschichtung in einem See im Winter und im Sommer. Der See gefriert im Winter an der Oberfläche. Die Temperatur am Grunde des Sees beträgt 4 °C. Im Sommer ist es an der Oberfläche wärmer als in der Tiefe. Winter 4 °C 3 °C 2 °C 1 °C 0 °C Eis Sommer 20 °C Anomalie normal 98 Thermodynamik 1 Atome lieben Wärme Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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