Salvati: Ihr sagt: Weil bei ruhendem Schiffe der Stein am Fuße des Mastes niederfällt, bei bewegtem hingegen vom Fuße entfernt, so lässt sich umgekehrt schließen, dass, wenn der Stein am Fuße niederfällt, das Schiff stille steht; und ebenso ergibt sich, dass, wenn er entfernt davon niederfällt, das Schiff sich bewegt. Da nun, was beim Schiffe gilt, auch bei der Erde eintreten muss, so folgt aus dem Niederfallen des Steines am Fuße des Turmes mit Notwendigkeit die Unbewegtheit des Erdballs. Ist das nicht Euer Beweis? Simplicio: Ja, und zwar in gedrängter Fassung, was sehr zur Erleichterung des Verständnisses beiträgt. Salvati: Nun sagt mir: Wenn der von der Spitze des Mastes abgelassene Stein auch bei dem rasch bewegten Schiffe genau an derjenigen Stelle des Schiffes niederfiele, wohin er bei dem ruhenden Schiffe auftrifft, welchen Wert würden dann diese Fallversuche für die Entscheidung der Frage haben, ob das Schiff feststeht oder fährt? Simplicio: Absolut keinen. Ebenso wie aus dem Schlagen des Pulses sich nicht erkennen lässt, ob jemand schläft oder wacht, weil der Puls in gleicher Weise bei Schlafenden wie bei Wachenden schlägt. Salvati: Sehr wohl. Habt Ihr jemals den Versuch mit dem Schiffe angestellt? Simplicio: Ich habe es nicht getan, wohl aber, denke ich, haben die Schriftsteller, welche ihn anführen, sich sorgfältig mit ihm beschäftigt. Überdies liegt die Ursache der Verschiedenheit so sehr auf der Hand, dass kein Raum zum Zweifel bleibt. (aus: „Dialog über die beiden Weltsysteme“, Galilei 1630) Die Sonne steigt am Horizont auf und wandert im Laufe des Tages von Osten nach Westen. Wir wissen heute, dass sich nicht die Sonne bewegt, sondern die Erde sich einmal täglich um ihre Achse dreht. Doch kann man das auch beweisen? Dieses Problem hatte Galileo Galilei, als er am Beginn des 17. Jahrhunderts die Behauptung aufstellte, dass nicht die Sonne, sondern die Erde sich bewegt. Überlegt man, dass der Erdumfang 40 000 km beträgt und sich die Erde in einem Tag, also in 86 400 s, um ihre Achse dreht, so beträgt die Geschwindigkeit am Äquator immerhin 463 m/s oder rund 1 670 km/h. Warum merken wir nichts von dieser unglaublichen Geschwindigkeit? Die Argumente der Gegner Galileis waren nicht leicht zu widerlegen. Vor allem den durch so hohe Geschwindigkeiten verursachten Wind müssten wir doch spüren! Galilei erwiderte nicht mit Experimenten – solche hatte er nicht zur Verfügung – sondern wieder mit Gedankenexperimenten. Was geschieht, wenn ein Gegenstand von einem sehr hohen Mast eines fahrenden Schiffes fällt? Fällt er dann nicht am Fuß des Mastes auf? Diese und andere Fragen diskutiert Galilei in seinem 1630 erschienenen Buch „Dialog über die beiden Weltsysteme“. Galileis Überlegungen können wir heute, wo uns wesentlich höhere Geschwindigkeiten zur Verfügung stehen, leicht überprüfen. Kannst du die Bewegung der Erde nachweisen? Untersuche, überlege, forsche: Inertialsysteme 36.1 W3 Du lässt in einem fahrenden Zug einen Gegenstand fallen. Beschreibe den Fallweg des Körpers aus der Sicht eines auf dem Bahnsteig stehenden Beobachters mittels einer Grafik. Nimm an, dass der Zug gleichförmig mit 50 km/h fährt. 36.2 S2 Ein Flugzeug fliegt gleichmäßig mit 900 km/h (250 m/s). Im Flugzeug schenkt eine Flugbegleiterin oder ein Flugbegleiter ein Glas Wasser ein. Was würde geschehen, wenn nicht Galilei, sondern seine Gegner im Recht wären? (Lies dazu den Ausschnitt aus Galileis Dialog über die beiden Weltsysteme.) In einem gleichmäßig, auf gerader Strecke dahinfahrenden Zug gibt es kein Experiment, mit dem wir die Geschwindigkeit des Zuges relativ zu seiner Umgebung feststellen können. Ob der Zug fährt oder in Ruhe ist, eine am Boden rollende Kugel wird immer dieselbe Bahn zurücklegen. Auch die Bewegung der Erde durch den Raum können wir nicht mittels Experiment messen. Wir können nur Relativbewegungen feststellen. Galilei gelang es zwar, die Argumente seiner Gegner zu entkräften, doch er konnte nicht beweisen, dass sich die Erde bewegt. Dies konnte nur über den Nachweis der Rotationsbewegung der Erde – der täglichen Rotation um die eigene Achse und der jährlichen Bewegung um die Sonne – gelingen. Etwa zweihundert Jahre nach Galileis Tod entdeckte der französische Physiker Léon Foucault bei der Beobachtung eines Pendels, dass sich die Pendelebene im Laufe eines Tages dreht. Am Pol dreht sie sich in 24 Stunden um 360 Grad (36.1), am Äquator dreht sich die Schwingungsebene des Pendels überhaupt nicht. Dies erklärt sich daraus, dass sich am geografischen Pol die beobachtende Person und die Erde unter dem Pendel drehen, das Pendel seine Schwingungsebene relativ zum Fixsternhimmel aber beibehält. Die jährliche Bewegung der Erde um die Sonne „spiegelt“ sich im Sternenhimmel. Die Positionen naher Sterne verschieben sich im Jahresverlauf vor dem Hintergrund der ferneren Sterne. Dadurch lassen sich die Entfernungen naher Sterne berechnen: Der Polarstern ist z. B. 400 Lichtjahre entfernt (36.2). Das Relativitätsprinzip Galileis wurde von Einstein in der sogenannten Speziellen Relativitätstheorie erweitert: Auch mit Hilfe des Lichts lassen sich nur Relativbewegungen zwischen Inertialsystemen feststellen (s. Physik 8). 36.1 Foucault’scher Pendelversuch: Das Pendel ist träge und hat stets dieselbe Schwingungsebene. Ein Beobachter am Pol bewegt sich mit der Erde um das Pendel herum. Er würde den Eindruck haben, dass sich das Pendel in 24 h um 360° dreht. Stern Sonne Erde Parallaxe Erdbahnradius 150 mio km p Scheinbare Position 36.2 Ein naher Fixstern ändert im Laufe eines Jahres relativ zum Fixsternhimmel seine Position (Fixsternparallaxe p). 36 Mechanik I 1 Die Newton’schen Gesetze Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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