Sexl Physik 5 RG, Schulbuch

Am Ende des 19. Jahrhunderts hat man diese Argumente auf das Universum angewendet und man kam zu einer schockierenden Einsicht: Im Lauf der Zeit sollten sich die Temperaturunterschiede ausgleichen, in einem gleichmäßig warmen Universum würden alle Veränderungsprozesse zum Stillstand kommen. Man sprach vom Wärmetod des Universums – auch wenn dieser erst in ferner Zukunft eintreten sollte. Aus heutiger Sicht ist es allerdings ungewiss, ob das Universum ein isoliertes System ist oder Teil eines größeren Systems – trotz aller Fortschritte der Physik enthält die Kosmologie noch viele Rätsel. Die statistische Betrachtung der Entropie Der erste Hauptsatz (Energieerhaltung) legt keine Richtung fest, in der natürliche Prozesse ablaufen. Warum sollte es daher unmöglich sein, dass beispielsweise die Teilchen eines Gases in das Gefäß zurückkehren, aus dem sie ausgeströmt sind? Andererseits ist das Ausströmen von Gas in ein größeres Gefäß (135.1) ein typischer irreversibler Vorgang, dessen Umkehrung den zweiten Hauptsatz verletzen würde. Dieser Widerspruch löste am Ende des 19. Jahrhunderts unter Physikern und Philosophen heiße Diskussionen aus. Wie kann er aufgelöst werden? Die wichtigste Erkenntnis verdanken wir dem bedeutenden österreichischen Physiker Ludwig Boltzmann (1844– 1906, 122.1). Gedankenexperiment 135.1 Stellen wir uns einen Behälter vor, der durch eine Wand in zwei Hälften geteilt ist. In der linken Hälfte befinden sich n Teilchen eines idealen Gases. Zweifellos ist n eine riesige Zahl, für ein Mol Gas ist n = NA = 6·1023. Entfernt man die Wand, so verteilen sich die Gasteilchen gleichmäßig auf das gesamte Volumen, sie sind in ständiger Bewegung (135.1). Der Vorgang ist irreversibel. Niemand hat je beobachtet, dass sich das Gas von selbst wieder in eine Behälterhälfte zurückzieht. Aber ist dies prinzipiell unmöglich? Eine einfache Überlegung hilft dies zu klären. Wir stellen uns einen leeren Behälter vor, den wir nacheinander mit Teilchen füllen. Die (menschliche) beobachtende Person wird von einer Videokamera unterstützt, die 1 000 Bilder pro Sekunde aufnimmt. Aus einer Bilderserie wird die Wahrscheinlichkeit ermittelt, alle Teilchen in der linken Hälfte vorzufinden. Wir beginnen mit einem Teilchen, also n = 1. Es ist mit jeweils gleicher Wahrscheinlichkeit P1 = 0,5 links wie rechts anzutreffen (135.2, 135.3). Geben wir ein zweites Teilchen hinzu. Auch dieses wird sich mit der Wahrscheinlichkeit P2 = 0,5 links befinden. Es gibt für zwei Teilchen jedoch vier Möglichkeiten, sich im Gefäß zu verteilen. Daher ist die Wahrscheinlichkeit, beide Teilchen gleichzeitig links zu finden, P = P1·P2 = 0,25 (135.4). Im Mittel finden wir diese Situation bei jedem vierten Bild einer Bilderserie. Jedes weitere Teilchen halbiert die Wahrscheinlichkeit, alle Teilchen links zu finden. Bei n Teilchen würden wir durchschnittlich 2n Bilder brauchen, bis wir alle Teilchen einmal links vorfinden (135.5). Bei 10 Teilchen wären dies im Mittel 210 = 1024 Bilder, die Bilderserie wäre etwa eine Sekunde lang. Aber bereits bei 100 Teilchen wären durchschnittlich 2100 = (1024)10 = ca. 1030 Bilder nötig – wie viele Jahre bräuchte man dafür? Für n = NA = 6·1023 ist 2n eine unvorstellbar große Zahl! Es ist also extrem unwahrscheinlich, dass ausgeströmtes Gas sich durch Zufall jemals wieder sammelt. Die von selbst eintretende Umkehr irreversibler Vorgänge ist nicht prinzipiell unmöglich, aber statistisch gesehen extrem unwahrscheinlich. Unter Arbeitsaufwand kann jedoch ein irreversibler Prozess umgekehrt werden, Wärme also von einem kalten auf einen warmen Körper übergehen. Dies geschieht beispielsweise in jedem Kühlschrank. Dort wird einem kalten Körper Wärme entzogen und an die Umwelt abgegeben, wodurch sich diese noch mehr erwärmt. Den dazu nötigen Arbeitsaufwand kann man allerdings an der Stromrechnung ablesen! 135.1 Gas befindet sich in der linken Hälfte eines Behälters. Die Zwischenwand wird entfernt. Das Gas expandiert ins Vakuum. Sollte die Molekularbewegung, die das Gas ausströmen lässt, nicht auch eine Umkehr dieses Vorganges bewirken können? Z. B. wenn alle Teilchen an der rechten Wand reflektiert werden? Vakuum 135.2 Befindet sich nur ein Teilchen im Behälter, dann wird es bei vielen Beobachtungen etwa in der Hälfte aller Fälle links … 135.3 … in der Hälfte aller Fälle rechts zu finden sein. 135.5 Bei n Molekülen sind 2n Beobachtungen erforderlich, bis man erwarten darf, alle Moleküle links zu finden. 135.4 Geben wir ein zweites Molekül hinzu, so halbiert sich die Zahl der günstigen Fälle, da auch das neue Molekül links oder rechts sein kann. Nur noch jeder vierte Fall ist im Mittel günstig, beide Moleküle links anzutreffen. 135 Thermodynamik 4 Energie und Entropie Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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