Der kultivierte Wolf Der Wolf war mit sich selbst zufrieden und kehrte zum Hof zurück. „Denen werde ich es zeigen“, dachte er. Er schlug sein Buch auf und las laut: „Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt ein großer Wolf.“ „Du musst noch viel üben“, sagte die Ente, ohne von ihrem Buch aufzuschauen. Auch das Schwein, die Ente und die Kuh lasen weiter, ohne beeindruckt zu sein. Der Wolf sprang über den Zaun zurück und rannte in die Bücherei. Er arbeitete lange und konzentriert, las eine Menge alter Bücher, übte und übte, bis er fließend lesen konnte. „Jetzt bin ich bestimmt gut genug“, dachte er. Der Wolf ging zum Bauernhof zurück. „Die werden staunen“, dachte er. Der Wolf schlug „Die drei kleinen Schweinchen“ auf und las laut. „EswareneinmaldreikleineschweinchenEinestagesriefihremuttersieundsagte …“. „Hör mit diesem Krach auf“, unterbrach ihn die Ente. „Du hast dich gebessert“, meinte das Schwein, „aber du musst noch an deinem Stil arbeiten.“ Der Wolf zog den Schwanz ein und schlich davon. Aber er gab nicht auf. Er nahm das Geld, das er gespart hatte, ging in die Buchhandlung und kaufte sich ein großes, schönes Märchenbuch. Sein allererstes eigenes Buch! Darin las er Tag und Nacht. Jeden Buchstaben und jede Zeile. Er würde so gut lesen lernen, dass die Tiere vom Hof ihn einfach bewundern mussten! Wieder ging er zum Bauernhof zurück. Er legte sich ins Gras, machte es sich gemütlich, zog sein neues Buch hervor und begann daraus vorzulesen. Er las laut, sicher und mit Begeisterung. Das Schwein, die Kuh und die Ente lauschten und sagten kein einziges Wort. Jedes Mal, wenn der Wolf eine Geschichte zu Ende gelesen hatte, baten sie ihn, noch eine vorzulesen. Und so las der Wolf Märchen um Märchen. Einmal war er der Geist aus der Lampe, dann Rotkäppchen und dann wieder ein verwegener Pirat. „Das macht wirklich Spaß“, sagte die Ente. „Er liest großartig“, sagte das Schwein. „Hast du Lust, zu unserem Picknick mitzukommen?“, fragte die Kuh. Und so veranstalteten sie alle zusammen ein Picknick: das Schwein, die Kuh, die Ente und der Wolf. Sie lagen im hohen Gras und erzählten sich den ganzen Nachmittag Geschichten. „Wir könnten doch Geschichtenerzähler werden …“, meinte die Kuh. „ … und um die ganze Welt fahren“, fügte die Ente hinzu. „Morgen früh geht es los“, sagte das Schwein. Der Wolf streckte sich zufrieden und glücklich im Gras. Es war schön, so wunderbare Freunde zu haben. Becky Bloom und Robert Houlden 5 10 15 20 25 30 LP Zunehmend ökonomisch lesen; Texte durch adäquate Hilfestellungen verstehend und reflexiv lesen. ZFK Inhalt und Form 44 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=