94 Weggehen, ankommen, bleiben: Arbeitsmigration M1 Gastarbeiterfamilien fahren in den Ferien in die Heimat. (Foto ca. 1970) M3 Sizilianische Gastarbeiter Q In der Tat gingen die Politiker davon aus, dass die Arbeiter bald wieder zurück in ihre Länder gehen würden. Es waren ja Gast-Arbeiter. Wozu dann sowas wie staatliche Integrationsprogramme, von denen heute die Rede ist? Der Begriff Integration war damals eh nicht so geläufig wie heute. Aber de facto gab es trotzdem Begegnung und Freundschaft zwischen Gastarbeitern und Deutschen: an der Basis, unter Nachbarn, auf der Arbeit, in der Schule, im Alltag, ohne Beteiligung der großen Politik. Und manchmal denke ich, dass wir uns gar nicht so fremd waren. All die Sizilianer stammten aus Landarbeiterfamilien, gelandet waren sie unter Leuten, die in Fabriken arbeiteten und neben dem Haus Gemüse anbauten. (nach: G. Pitronaci, Wie italienische Gastarbeiter nach Deutschland kamen, 2016) „Gastarbeiter“ So wurden Menschen genannt, die seit Mitte der 1950-er Jahre von österreichischen und deutschen Unternehmen aus Italien, der Türkei, aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus Spanien geholt wurden. In Mitteleuropa gab es aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs einen großen Mangel an Arbeitskräften. Die Unternehmen und die Zuwanderungsländer gingen davon aus, dass die Menschen nach einer bestimmten Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Diese so genannten Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen arbeiteten vor allem in Fabriken, auf Baustellen und im Tourismus. Viele von ihnen blieben: Aus der Arbeitsmigration wurde eine dauerhafte Zuwanderung. M2 „GASTARBAJTERI“ Q Ich habe eine Initiative zur Errichtung des Gastarbeiter*innen-Denkmals „GASTARBAJTERI“ ins Leben gerufen. Wir, die österreichische Gesellschaft, wollen an die Leistungen jener Frauen und Männer erinnern, die als Arbeitskräfte gekommen sind, die Stadt und auch das Land mit aufgebaut haben und ein wichtiger mitgestaltender Teil unseres Landes geworden sind: an der Errichtung unserer Autobahnen, der Wiener U-Bahnen, der UNOCity und vieler anderer Bauten, die zur Modernisierung Österreichs und Wiens beitrugen. Zur Pflege von Menschen leisteten vor allem aus dem damaligen Jugoslawien und aus der Türkei stammende Gastarbeiter*innen, aber auch Menschen aus vielen anderen Nationen, einen wesentlichen Beitrag. (nach: savo-ristic.com, 2023) M4 „Gastarbeiter“: A. Emrić berichtet 2016 von ihren Eltern, die sich 1968 vom damaligen Jugoslawien auf den Weg nach Österreich machten. Q „Sie stammen beide aus kleinbäuerlichen, kinderreichen bosnischen Familien. In der Migration sahen sie ihre einzige Chance, den Lebensunterhalt der Familie zu sichern.“ Die Mutter ging voran und fand sofort Arbeit in einer kleinen Fabrik im siebten Wiener Bezirk – für sich und den Ehemann. Monatelang dauerte es, bis das Ehepaar Emric eine Wohnung fand, um das wenige Monate alte Baby aus Bosnien nachzuholen. Ohne Deutschkenntnisse waren sie auf die Hilfe einer Dolmetscherin angewiesen. Erst vier Monate nach der Ankunft konnte Familie Emric in eine Hausbesorgerwohnung ziehen. A. Emrics erste Erinnerung an Wien: Sie spielte im Innenhof mit den anderen Kindern und lernte Deutsch, während die Mutter vergeblich auf eine Kaffee-Einladung ihrer Nachbarinnen wartete. „Meine Mutter war damals sehr einsam, glaube ich. Sie fühlt sich heute noch gekränkt, weil sie nie auf einen Plausch eingeladen wurde, immer nur zum Putzen. Dabei war und ist sie eine sehr kontaktfreudige Person und wollte unbedingt ein Teil der Hausgemeinschaft sein.“ (nach: O. Stajic, Ich bin Teil dieser Geschichte, 2016) ´ ´ ´ Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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