76 Armut: Wohnen und Essen M1 Familie in einer einfachen Küche (Foto 1930) M4 Wäsche waschen war Schwerarbeit. (Foto um 1890) Wohnungsnot Die Industrialisierung brachte nicht nur Fortschritte, sondern auch große Probleme. Die neuen Fabriken zogen viele Menschen an – Männer, Frauen und Kinder. Kleinstädte wuchsen innerhalb weniger Jahrzehnte zu Großstädten heran. Doch es fehlten überall Wohnungen. Fast alle Fabrikarbeiterfamilien hausten in armseligen Unterkünften. Bettgeher Um 1900 lebten manche Familien bereits in einer eigenen Werkswohnung. Das galt als großer Fortschritt. Wegen der Wohnungsknappheit waren die Mieten in den Städten sehr hoch. Sie betrugen bis zu drei Viertel des Lohnes. Deshalb vermieteten viele Arbeiterfamilien innerhalb ihres kleinen Wohnraums auch noch Betten an Untermieter, an so genannte Bettgeher. Wer ein Bett für sich allein nicht zahlen konnte, teilte es mit einem anderen, manchmal auch fremden Menschen. Wenn der eine von der 12-stündigen Nachtschicht nach Hause kam, war das Bett noch warm vom anderen, der bereits auf dem Weg zur 12-stündigen Tagschicht war. M2 Aus dem Leben einer Arbeiterin um 1900 Q Wir mieteten ein Zimmer, das wir für uns allein hatten. Mein jüngerer Bruder kam zu uns und brachte einen Kollegen mit, mit dem er sein Bett teilte. So waren wir vier Personen in einem kleinen Raum, der nicht einmal ein Fenster hatte, sondern das Licht nur durch die Fensterscheiben in der Tür erhielt. Als ein Dienstmädchen stellenlos wurde, kam sie auch zu uns, sie schlief bei meiner Mutter im Bett. Ich musste zu ihren Füßen liegen und meine eigenen Füße auf einen angeschobenen Stuhl lehnen. (nach: A. Popp, Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin, 1983) M5 Arbeitermietshäuser Q Arbeitermietshäuser hatten meist sehr kleine Wohneinheiten, die durch lange Gänge erschlossen wurden. Vom Gang aus gelangte man direkt in die Küche, dahinter lag meist ein Wohnraum. Wasser und WCs waren in jedem Geschoß am Gang, in vielen Häusern zu Beginn nur im Parterre. (nach: Das Gründerzeit Zinshaus in Wien, Immomarie, 2023) M3 Der Armenarzt Victor Adler* schrieb über die Wohnverhältnisse der Ziegelarbeiter am Rande Wiens um das Jahr 1880. Q Die Vorarbeiter würden aber ihre Sklaven nicht ganz in der Hand haben, wenn diese auswärts schlafen gingen. Darum müssen alle Arbeiter im Werke schlafen. Für die Ziegelschlager gibt es elende „Arbeiterhäuser“. In jedem einzelnen Raum, so genannten „Zimmern“ dieser Hütten, schlafen je drei, vier bis zehn Familien, Männer, Weiber, Kinder, alle durcheinander, untereinander, übereinander. Für diese Schlafhöhlen scheint die Gesellschaft sich noch „Wohnungsmiete“ zahlen zu lassen. Da liegen dann in einem einzigen Raum 40, 50 bis 70 Personen. Holzpritschen, elendes altes Stroh, darauf liegen sie Körper an Körper geschlichtet. Alte Fetzen bilden die Unterlage, ihre schmutzigen Kleider dienen zum Zudecken. Manche ziehen ihr einziges Hemd aus, um es zu schonen, und liegen nackt da. Dass Wanzen und Läuse die steten Begleiter sind, ist natürlich. Vom Waschen, vom Reinigen der Kleider kann ja keine Rede sein. (nach: V. Adler, Die Lage der Ziegelarbeiter, Sozialdemokratisches Wochenblatt, 1.12.1888) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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