Zeitbilder 2, Schulbuch

44 Kriegseinsatz Weil viele Männer an der Front waren, übernahm die Hitlerjugend auch Polizeiaufgaben, trug Post aus und half beim Roten Kreuz. Gegen Ende des Kriegs waren Hitlerjungen auch im Kampfeinsatz. Viele kamen ums Leben, da sie mangelhaft ausgebildet und ausgerüstet waren. Ab Herbst 1944 mussten beim „Volkssturm“ bereits 16-jährige Burschen an die Front. Sie erhielten ein Gewehr und ein paar Schuss Munition, aber keine Schießausbildung. M14 Hitlerjungen im Lager beim Mittagessen (Foto 1934) M13 Werner Mork (geb. 1921) über seine Zeit bei der HJ (Interview 2004) O Es gab Abwechslungen wie Touren mit dem Fahrrad und auch Märsche mit dem Affen (= eine Art Rucksack) auf dem Rücken, gefüllt mit Ziegelsteinen, die das erforderliche Gewicht von 15 Pfund haben mussten. Geländespiele, Geländebeschreibungen, Kartenlesen und Orientierungsmärsche bei Tage und auch in den Abendstunden waren für uns Knaben sehr willkommene „Abenteuer“. Ganz toll kamen wir uns vor, wenn wir bei größeren Veranstaltungen und Kundgebungen auf einer Bühne standen. Da waren wir doch wer! Da fühlten wir uns ganz groß und waren sehr stolz, wenn uns dann der Beifall für die „tolle“ Leistung entgegenschlug. (nach: LeMO Zeitzeuge: Werner Mork) M12 Luftwaffenhelfer Hans Henke (16) (Foto 1945) M15 Karl Heinz Janßen (geb. 1930) über seine Erfahrungen in der HJ O Zwölfjährige Hordenführer brüllten zehnjährige Pimpfe zusammen und jagten sie kreuz und quer über Schulhöfe, Wiesen und Äcker. Die kleinsten Aufsässigkeiten, die harmlosesten Mängel an der Uniform, die geringste Verspätung wurden sogleich mit Strafexerzieren geahndet – ohnmächtige Unterführer ließen ihre Wut an uns aus. Aber die Schikane hatte Methode: Uns wurde von Kindesbeinen an Härte und blinder Gehorsam eingedrillt. Warum haben wir unsere Tränen verschluckt, unsere Schmerzen verbissen? Warum nie den Eltern und Lehrern geklagt, was uns da Schlimmes widerfuhr? (nach: A. Klönne, Jugend im Dritten Reich, 2008) M16 Gisela Richter (geb. 1924) über ihre Zeit als BDM Mädchen (Interview 2008) O Ich gehörte damals zu den Verführten, die sich völlig unkritisch und angepasst glücklich schätzten, in dieser wunderbaren Zeit geboren zu sein, und habe den „Dienst“ im BDM gern aufgenommen. Das Wichtigste für mich war die Uniform, denn ohne sie war man ein Niemand. Außerdem wurde uns beigebracht, dass zuerst immer die Führerin Recht hat und dann erst die Eltern. Das fand ich zuerst ganz toll. Später hat es mich abgestoßen. (nach: LeMO Zeitzeugin: Gisela Richter) M17 Florentine Brendecke (geb. 1929), Landdienst der HJ (Interview 2003) O Ich bekam entsetzliches Heimweh. Obwohl die Lagerführerin gesagt hatte: „Ein deutsches Mädchen, das dem Führer dient, bekommt kein Heimweh!“ Lieber wollte ich dreimal am Tag Milch holen, nie mehr meine Schwestern verprügeln und nie wieder versuchen, ihnen die Himbeerbonbons abzuluchsen, und immer lieb zu meiner Mutter sein. Ich bereute tief alle begangenen Sünden meines 14-jährigen Lebens. Mitten im Landdienstjahr durfte mich für zwei Tage meine Mutter besuchen. Sie wiederzusehen war noch viel schöner als Weihnachten oder Geburtstag zu haben oder beides auf einmal. Ich kuschelte mich an sie. Ich fühlte mich wohl wie schon lange nicht mehr. Aber sie musste wieder zurück. Ich brachte meine Mutter an den Bahnhof und winkte dem Zug nach. Verloren stand ich da, weinte und schniefte. Als ich in meiner Schürzentasche nach dem Taschentuch griff, berührte ich etwas Hartes. Es war ein Himbeerbonbon. Wann hatte meine Mutter mir dieses seltene Geschenk in meine Tasche gesteckt? (nach: LeMO Zeitzeugin: Florentine Brendecke) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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