Killinger Literaturkunde, Schulbuch

AUFKLÄRUNG | 1700 – 1770 87 Ein Mensch kann zwar für seine Person, und auch alsdann nur auf einige Zeit, in dem, was ihm zu wissen obliegt, die Aufklärung aufschieben; aber auf sie Verzicht tun, es sei für seine Person, mehr aber noch für die Nachkommenschaft, heißt die heiligen Rechte der Menschheit verletzen und mit Füßen treten. [...] Wenn nun gefragt wird: „Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter?“, so ist die Antwort: „Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.“ Dass die Menschen, wie die Sachen jetzt stehen, im Ganzen genommen schon imstande wären oder darein auch nur versetzt werden könnten, in Religionsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines anderen sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel. Allein, dass jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin frei zu bearbeiten, und die Hindernisse der allgemeinen Aufklärung oder des Ausganges aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit allmählich weniger werden, davon haben wir doch deutliche Anzeichen. In diesem Betracht ist dieses Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung. 5. Geben Sie den Inhalt von Kants Einleitungssatz (Zeile 1) in Ihren eigenen Worten wieder. 6. Beschreiben Sie, warum laut Kant ein Großteil der Bevölkerung unmündig (nicht handlungsfähig) bleibt. 7. Erklären Sie, warum niemand darauf verzichten darf, ein aufgeklärter Mensch zu werden. 8. Setzen Sie sich mit aufklärerischen Tendenzen in der heutigen Zeit auseinander: • Diskutieren Sie im Klassenverband, welche Personen, Gruppen oder Institutionen damals und heute noch Einzelnen oder ganzen Gruppen von Menschen das Denken abnehmen möchten und welche Gefahren dies mit sich bringen kann. 9. Gestalten Sie eine Collage von Schlüsselwörtern zum Thema „Aufklärung“. Sie können dazu auch Apps aus dem Internet verwenden (z. B. Free Word Generator). Lichtenbergs Aphorismen Der Aphorismus war in der Aufklärung eine beliebte literarische Ausdrucksform. Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799), Physiker, Naturforscher, Mathematiker und Autor, gilt als Begründer des Aphorismus in der deutschen Literatur. Aphorismus Aphorismen drücken eine subjektive Meinung, eine Einsicht, eine aus dem Widerspruch gewonnene Erkenntnis aus und sollen zum kritischen Nachdenken anregen. Kennzeichnend sind die Kürze und der geistreiche Schliff. Sie bedienen sich häufig rhetorischer Mittel wie der Antithese, der Metapher, des logischen Widerspruchs u. a. Sammlungen von Aphorismen gibt es seit der Antike (Kaiser Marc Aurel (121 – 180 n. Chr.)). Georg Christoph Lichtenberg: Aphorismen (1770–1799) Wie glücklich würde mancher leben, wenn er sich um anderer Leute Sachen so wenig bekümmerte als um seine eigenen. Ich habe durch mein ganzes Leben befunden, dass sich der Charakter eines Menschen aus nichts so sicher erkennen lässt, als aus einem Scherz, den er übel nimmt. 45 50 2 4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy MjU2NDQ5MQ==