AUFKLÄRUNG | 1700 – 1770 85 gewöhnt hat, so wird es uns sauer, solche Bücher, die mit Überlegung gelesen sein wollen, zu verstehen. [...] Ich bin jetzt nicht im Begriff, die abgedroschene Streitigkeit zu erneuern, welche über der abgeschmackten Frage entstanden ist, ob das weibliche Geschlecht auch zum Studieren geschickt sei. Wir sind ebenso Menschen als die Mannspersonen, und das wird niemand im Ernst leugnen, er wäre denn ein Narr. Wir haben eben die Kräfte, die die Mannspersonen besitzen, eben die Fähigkeiten, in der Gelehrsamkeit etwas zu tun. [...] Diejenigen Vorurteile, mit denen unser Verstand in der Jugend angefüllt worden ist, bleiben lebenslang unausgerottet. Die Schmeicheleien und Unwahrheiten, die man uns, sobald wir zu erwachsen anfangen, von unseren Vortrefflichkeiten sagt, verderben unseren ohnehin schon verdorbenen Willen noch mehr, sodass es fast unmöglich ist, jemals zu einer rechtschaffenen Selbsterkenntnis zu gelangen. Warum waffnet man uns denn nicht mit einer guten Vernunft- und Sittenlehre dagegen? [...] Unsere Gesellschaften und Zusammenkünfte, welche verständigen Mannspersonen so oft zum Gelächter, ja gar zum Ärgernisse werden, kommen ihnen aus keiner anderen Ursache lächerlich oder ekelhaft vor, als weil wir uns die Zeit mit nichtswürdigen oder auch gar sündigen Dingen vertreiben. Ich habe gemerkt, dass die Gespräche der Frauenzimmer in den Gesellschaften meistenteils von abwesenden Personen handeln, die mit allen ihren Verrichtungen so abscheulich und lieblos durchgezogen werden, dass ein ehrliches Gemüt, welches solche Lästerungen anhören muss, den ärgsten Widerwillen empfindet. [...] Wer jedoch den unschätzbaren Wert der Zeit erkennt, der wird für sich selber urteilen, ob man sie so unverantwortlich verschwenden und missbrauchen darf. [...] Unsere Unwissenheit ist allein schuld, dass wir uns nicht besser zu unterhalten wissen und dass wir die Zeit so liederlich und sündhaft vertun, die wir doch mit artigen, geistreichen und erbaulichen Unterredungen zubringen könnten. 3. Geben Sie wieder, was Gottsched am Bildungssystem seiner Zeit angreift, was er den Frauen im Namen einer Frau vorwirft, welche Vorschläge zur Verbesserung der Bildung von Frauen er macht. 4. Beurteilen Sie Gottscheds Vorgehen, in der Rolle einer Redakteurin zu schreiben. Gottsched hatte als Reformer begonnen: Er erneuerte die Dichtkunst, reinigte das Theater und säuberte die Sprache. Doch die Zeit ging über seine engen Reglementierungen hinweg, ohne dass er sich weiterentwickeln konnte. Gleich von mehreren Seiten wurde der deutsche „Literaturpapst“ heftig angegriffen. Es entstand ein regelrechter Literaturkrieg, besonders mit den beiden Züricher Gelehrten Johann Jakob Bodmer (1698 – 1783) und Johann Jakob Breitinger (1701 – 1776). Sie waren der Meinung, dass man das Genie nicht mit Regeln einschränken dürfe. Grundelement der Poesie sei die freie Phantasie und die Darstellung des Wunderbaren. Kants Auffassung von der Aufklärung Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724 – 1804), dessen Philosophie zum Deutschen Idealismus gerechnet wird, der aber auch ein wichtiger Vertreter der Aufklärung in Deutschland war, hat in dem Aufsatz für die Berlinische Monatsschrift unter dem Titel Beantwortung einer Frage: Was ist Aufklärung? 1785 gewissermaßen als Rückschau zu erklären versucht, was Aufklärung bedeutet. Dabei hat er sich um Verständlichkeit seiner Gedanken bemüht. Es war sein Anliegen, möglichst viele Leserinnen und Leser und auch König Friedrich II. von Preußen (1712 – 1786) für sich und seine 20 25 30 35 40 Gottscheds Literaturkrieg mit den Schweizern Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
RkJQdWJsaXNoZXIy MjU2NDQ5MQ==