Killinger Literaturkunde, Schulbuch

AUFKLÄRUNG | 1700 – 1770 81 1. Diskutieren Sie den Einfluss des Rationalismus und des Empirismus auf die Aufklärung: • Stellen Sie die Grundzüge der beiden Strömungen einander gegenüber. • Überlegen Sie, inwiefern diese Strömungen den Aufschwung der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert beeinflusst haben könnten. Der an sich alte Gedanke des Naturrechts wurde wieder aufgenommen und neu durchdacht: Jedem Menschen kommen von Natur bestimmte Rechte zu, so das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Eigentum. Alle Menschen sind gleich, jeder ist frei geboren. Der Staat hat die Aufgabe, diese natürlichen Rechte des Einzelnen zu schützen. In der Zeit des fürstlichen Absolutismus und der Leibeigenschaft mussten diese Gedanken ungeheuer revolutionär wirken. Demgemäß wurden zum ersten Mal die Menschenrechte formuliert und 1789 im Rahmen der Französischen Revolution verkündet. Die Erklärung der Menschrechte beruht auf den Theorien verschiedenster Philosophen (u. a. Locke, Rousseau, Kant), aber auch auf dem Vorbild der amerikanischen Verfassung von 1776. Sie wirkt bis in die Gegenwart nach, und zwar in der Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen (1948) und in der Einrichtung demokratischer Staatswesen. Eine neue Lehre vom Staat wird begründet: Der Staat beruht auf einer Art „Gesellschaftsvertrag“. Aus dem Wunsch nach Frieden und Sicherheit sind die Menschen übereingekommen, eine Herrscherin oder einen Herrscher einzusetzen, um die Einhaltung der Naturrechte zu gewährleisten. Da die Herrscherin oder der Herrscher alle Macht vom Volk erhält, kann die Macht auch wieder entzogen werden, wenn sie missbraucht wird. In diesem Gedanken liegen die Wurzeln der Französischen Revolution von 1789. Der französische Gelehrte Charles de Montesquieu (1689 – 1755) hat die neue Staatslehre mit der Forderung nach Gewaltentrennung weiterentwickelt. Bis dahin schien es selbstverständlich, dass der König die Gesetze gab, darauf achtete, dass sie eingehalten wurden, und oberster Richter war. Das führte häufig zu Machtmissbrauch. Die Gewaltentrennung sieht drei voneinander unabhängige Einrichtungen vor: Vertreter des Volkes bilden die gesetzgebende Körperschaft (Legislative: heute bei uns das Parlament), die Regierung sorgt für die Durchführung und Einhaltung der beschlossenen Gesetze (Exekutive) und ein von beiden unabhängiger Richterstand spricht Recht nach den geltenden Gesetzen (Judikatur). Auch auf religiösem Gebiet hat die Aufklärung große Veränderungen mit sich gebracht. Die beiden großen christlichen Kirchen, vor allem die protestantische, waren in den Lehrsätzen des 16. Jahrhunderts erstarrt, weshalb viele gläubige Menschen sich im Pietismus zusammenfanden, einer Bewegung, die eine Erneuerung des frommen Lebens anstrebte und die Kirche reformieren wollte. An die Stelle der kirchlichen Organisation sollte die Gemeinschaft der ernsthaft gläubigen Christinnen und Christen treten. Ein starkes Gefühlsleben und große Empfindsamkeit sind für die „unsichtbare Kirche“ des Pietismus kennzeichnend. Die Aufklärer wollten hingegen an die Stelle der Offenbarungsreligion eine Vernunftreligion setzen: Alle Glaubensinhalte sollten mit dem logischen Denken in Einklang zu bringen sein. Sehr energisch wandten sich manche Aufklärer gegen die Vormundschaft der Kirche und beanspruchten für den Einzelnen die Möglichkeit freier religiöser Betätigung. Da man über die etablierten Kirchen und Konfessionen hinweg auf die religiöse Erlebnisfähigkeit des Menschen zurückgriff, war die Forderung nach Toleranz die zwingende Folge. Unter „Toleranz“ verstand man die öffentliche Duldung aller Religionen und religiösen Gemeinschaften. Der Maßstab für den Wert einer Religion lag für den Aufklärer in ihrer praktischen Wirkung (vgl. die Politik Josephs II. gegenüber der Kirche in Österreich; Toleranzpatent für Protestanten und Orthodoxe 1781, Toleranzpatent für Juden 1782); denn jede Religion habe die Aufgabe, den Menschen zu bessern, ihn zu einem sittlichen Wesen zu machen. Diese Aufgabe kann aber auch die Erziehung erfüllen. Die Aufklärer waren zutiefst überzeugt, dass der Fortschritt der Menschheit auf der Bildung und Erziehung jedes Einzelnen beruhe. Die Einführung der allgemeinen Schulpflicht (1774) durch Maria Theresia geht auf diese Überzeugung zurück. Das bestehende Schulwesen wurde reformiert. Das Auswendiglernen von Lehrsätzen sollte durch Recht auf Leben, Freiheit, Eigentum Staat als Schützer der natürlichen Rechte Unterordnung der Religion unter die Vernunft Glaube an die Erziehbarkeit des Menschen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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