8 Eines der rätselhaftesten alten Sprachdenkmäler aus dem 9. Jahrhundert ist das Muspilli, eine Art Predigt von den letzten Dingen1 in Versform. Schon das Wort „muspilli“ ist sprachlich nicht mehr zu klären, es bedeutet im Textzusammenhang Weltuntergang, letztes Gericht, eine heidnische Vorstellung von den Schrecknissen der letzten Tage. Anfang und Schluss des Gedichts fehlen; erhalten sind 103 Verszeilen, die in ein lateinisches Buch geschrieben wurden. Vermutlich wurde eine wesentlich ältere Vorlage verwendet, die ziemlich entstellt wurde. Die Sprachform ist jedoch bairisch. Im ersten Teil des Gedichts kämpfen Engel und Teufel um die Seele eines eben verstorbenen Menschen, ein Motiv, das sich später häufig findet, z. B. in Goethes Faust. Der zweite Teil berichtet vom Weltuntergang: Elias kämpft gegen den Teufel. Das Blut des verwundeten Engels entzündet auf der Erde einen Weltenbrand. Schließlich erscheint Gott und hält Gericht. so daz Eliases pluot in erda kitriufit, Wenn des Elias Blut auf die Erde tropft, so inprinnant die perga, poum ni kistentit so entbrennen die Berge, kein Baum bleibt stehen, enihc in erdu, aha artruknent, keiner auf der Erde, die Wasser vertrocknen, muor varswilhit sih, svilizot lougiu der himil, das Moor saugt sich auf, es schmilzt im Feuer der Himmel, mano vallit, prinnit mittilagart. der Mond fällt, es brennt die Erde. sten ni kistentit. verit denne stuatago in lant. Kein Stein bleibt stehen. Es fährt der Tag des Gerichts in das Land. verit mit diu vuiru viriho wison. Er fährt mit dem Feuer, die Menschen zu strafen. dar ni mac denne mak andremo helfan vora demo muspille. Da kann kein Vetter dem anderen helfen vor dem Weltenbrand (Muspilli). Die Kanonisse2 Hrotsvit (Roswitha) von Gandersheim (um 935 – nach 973) gilt als erste bekannte deutsche Schriftstellerin des Frühmittelalters, obwohl sie ihre Texte in Latein, der Bildungssprache des Mittelalters, schrieb. Ihre Werke umfassen geistliche Schriften, historische Dichtungen und Dramen. Besonders bekannt ist die in lateinischen Versen (Hexametern) verfasste Familiengeschichte Kaiser Otto des Großen Gesta Ottonis (Die Taten Ottos). In ihrer Version der Theophilus-Legende kommt zum ersten Mal im deutschen Sprachraum ein Teufelspakt vor, der später in den diversen Faust-Dichtungen wieder aufgegriffen wird. 3. Vergleichen Sie die heutige Zeit mit der Zeit der Völkerwanderung: • Beschreiben Sie, welche Wanderbewegungen es heute gibt und unter welchen Umständen sie stattfinden. • Erläutern Sie, welche sprachlichen, kulturellen und sozialen Auswirkungen damit einhergehen. 4. Erstellen Sie in Partnerarbeit ein Quiz mit 20 Fragen über das Frühmittelalter als PowerpointPräsentation: • Benutzen Sie dazu das Buch und bei Bedarf das Internet. • Tauschen Sie Ihr Quiz mit einer anderen Paarung aus und spielen Sie es durch. • Diskutieren Sie danach im Plenum Ihre Erfahrungen und recherchieren Sie Unklarheiten, die möglicherweise aufgetaucht sind. 1 von den letzen Dingen: Ereignisse am Ende des Lebens, wie z. B. der Tod 2 Kanonisse: Frau, die zwar in einem Nonnenkloster lebt, aber keine Gelübde abgelegt hat 2 4 6 8 8cq3vw Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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