78 Die Wiener Volkskomödie Die umherziehenden Komödiantentruppen bemühten sich allmählich um eine ständige Stätte ihres Wirkens, um ein festes Haus. So wurde in Wien in der Nähe des Kärntnertors ein Komödienhaus für das Volk gebaut, das 1712 der aus der Steiermark stammende Josef Anton Stranitzky (1676 – 1726) als Prinzipal übernahm. Er wurde der Begründer einer eigenständigen Wiener Volkskomödie, in die er die Figur des Hanswurst einführte. Der geniale Komiker hatte sich für seinen Hanswurst eine Tracht in Anlehnung an die eines Salzburger Bauern (Lungauer Sauschneiders) zurechtgelegt: eine lange, weite, seitlich verschnürte gelbe Hose, eine offene ziegelrote Jacke, darunter einen blauen Brustlatz mit einem grünen Herzen, grüne Hosenträger und einen breiten Leibgurt. Um den Hals hatte er eine breite gefältelte Narrenkrause, auf dem Kopf einen spitzen grünen Hut. Wenn er ihn abnahm, sah man die Haare zu einem Schopf nach oben gebunden. Das Gesicht war ungeschminkt, aber von einem kohlschwarzen Backenbart umgeben. Stranitzky bearbeitete groß angelegte Barocktragödien, so genannte Haupt- und Staatsaktionen, aber auch Operntexte. Sein Hanswurst in Dienerrolle war die Kontrastfigur zum Helden und verband so das idealistische Theater und die Komödie miteinander. Die Spottlust der Leute konnte sich austoben, Hanswurst war ihr Idol. Texte gab es meist nicht; man agierte nach einem rohen Entwurf aus dem Stegreif, wobei sich der Schauspieler vielfach selbst spielte. Von seiner Persönlichkeit, seiner Spontaneität und seiner schauspielerischen Begabung hing der Erfolg des Stückes ab. Als Stranitzky 1726 starb, übernahm Gottfried Prehauser (1699 – 1769) sein Erbe und die Figur des Hanswurst, die immer mehr zum Träger der Handlung wurde. Neben dem Burgtheater und der Oper, die dem kaiserlichen Hof und dem Adel vorbehalten waren, blühte ein unverwüstliches Volkstheater, getragen vom theaterbegeisterten Wiener Bürger- und Kleinbürgertum. 1781 wurde das Theater in der Leopoldstadt gegründet, 1788 das Theater in der Josefstadt und 1799 das prunkvolle Theater an der Wien. In der Leopoldstadt setzte Johann Laroche (1745 – 1806) die Tradition des Volksnarren in der Gestalt des Kasperls fort. Kasperl erschien nicht mehr in einer gleich bleibenden Tracht, sondern trat als Angehöriger verschiedener, schlecht angesehener Berufsgruppen auf: als Scherenschleifer, Lumpenhändler, Vogelkrämer, lustiger Wirt und Limonihändler, natürlich auch immer wieder als Diener eines vornehmen Herrn. Man spielte zum Beispiel den Don-Juan-Stoff, Räuber-, Soldaten- und Intrigenstücke, formte aber alles zur Parodie um. Kasperl tritt auch als Knappe neben dem ritterlichen Helden in romantisch-komischen Volksmärchen und dramatisierten Ritterromanen auf. Er ist prahlerisch und keck oder trotzig und nörgelt unentwegt. Manchmal benimmt er sich recht respektlos gegenüber seinem Herrn, gegenüber Zauberern und Feen, mischt sich ein, und dann ist er wieder nichts als schlotternde Angst, wenn er mit dem Helden in den Gespensterwald muss, mit Bären und Ungeheuern zu kämpfen hat. Und alles lacht, wenn sich sein Degen in einen Fliegenwedel verwandelt. Er ist aber auch derjenige, dem immer Unheil widerfährt: Von Ungeheuern wird er durch die Luft entführt, von Zauberern versteinert oder verwandelt. Ein anderer Wiener Volkskomödiant, Anton Hasenhut (1766 – 1841), schuf die Figur des Thaddädl, eines unbeholfenen, dummen Burschen, der alles mit rührender Ungeschicklichkeit angeht. Eine weitere stehende Figur der Alt-Wiener Volkskomödie ist der Staberl, ein verwachsener Parapluiemacher1 aus dem Wiener Kleinbürgertum des Vormärz (1815 bis 1848), der mit List stets einen kleinen Vorteil für sich herausschlagen möchte und wegen seiner Nachlässigkeiten von wohlangesehenen Bürgerinnen und Bürgern verachtet wird. Er ist schon kein Volksnarr und Lustigmacher mehr, sondern bereits eine Charakterfigur. In Deutschland hatte sich der Aufklärer Johann Christoph Gottsched (1700 – 1766) bemüht, das Theater nach französischem Vorbild zu reformieren. (Mehr zu Gottscheds Theaterreform vgl. S. 83.) Er hatte gemeinsam mit Caroline Neuber, der Leiterin einer Theatertruppe, den Hanswurst aus moralischen Gründen von der Bühne verbannt. Doch im Wiener Volkstheater trieb der Volksnarr bis ins 19. Jahrhundert seine Späße zum Gaudium des Publikums. Der Kasperl als lustige Figur hat sich bis heute im Kinderpuppentheater erhalten. Hanswurst Kasperl Staberl 1 Parapluie: Regenschirm Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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