BAROCK | 17. JAHRHUNDERT 73 seinem Wesen nach nicht, was er sich und anderen vorspielt. Wenn Leute in seiner Umgebung sind, benimmt er sich sittsam, um seinen Ruf zu bewahren; ist er allein, vergisst er seine Tugendhaftigkeit. Cenodoxus unterliegt seiner ständigen Begleiterin Philautia, der Eigenliebe. Sie stachelt seinen Ehrgeiz an und nährt seine Überheblichkeit, indem sie ihm blind Lob spendet. Jacob Bidermann: Cenodoxus (1602) DOKTOR: Oft mancher kann nit ruhen wol, Dieweil er ist der Sorgen voll. Ein anderer, der kann nit schlafen, Weil ihm sein Unfall gibt zu schaffen. Ich hab kein Rue vor lauter Glick, Das mir zustreicht so oft und dick, Ja, männiglichen halt darfür, All Gnad und Gab sei nur in mir. Daher man stets nach mir tut fragen, Nur mich will man auf Händen tragen. PHILAUTIA: Recht billig1 man dich also ehrt, Die Tugend ist diß alles wert. Du bist halt der fürtrefflich Mann, Der jedermann wol helfen kann. Nauegus, der Schiffsmann, bittet den Doktor um Hilfe in der Not: NAUEGUS: Ihr Gnaden wöll zu Herzen fassen, Wie sie von Gott hab aus der Maßen Empfangen Segen, Glück und Gaben; Sie wöll auch ein Mitleiden haben Mit meinem Unglück und Verderben. Dardurch wird sie von Gott erwerben, Dass er ihr gleichfalls tue Genad Für ihre Sünd und Missetat. DOKTOR: Du letzer Gsell, hintan tue weichen. Wolltest du mich mit dir vergleichen? Wie? Sollst mich halten für so blind? Wolltst du mich zeihen einer Sünd! Mich? Den die ganze weite Welt Für fromb, gerecht und heilig hält? Es weiß ja jedermänniglich, Was für groß Ruem und Lob hab ich In Tugenden und Grechtigkeit, Im Wandl für all ander weit ... Gschwind pack dich fort, du loser Böswicht, Und komm mir nimmer unter’s Gsicht. 5 10 15 20 1 billig: hier: angemessen, berechtigt 25 30 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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