BAROCK | 17. JAHRHUNDERT 65 Da fieng man erst an, die Steine1 von den Pistolen, und hingegen an statt deren der Bauren Daumen aufzuschrauben, und die arme Schelmen so zu foltern, als wann man hätte Hexen brennen wollen, massen2 sie auch einen von den gefangenen Bauren bereits in Backofen steckten und mit Feuer hinter ihm her waren, unangesehen er noch nichts bekant hatte. Einem andern machten sie ein Sail um den Kopf und raitelten3 es mit einem Bengel4 zusammen, daß ihm das Blut zu Mund, Nas und Ohren herauß sprang. In Summa, es hatte jeder seine eigne Invention5, die Bauren zu peinigen, und also jeder Baur seine sonderbare Marter. Allein mein Knän war meinem damahligen Bedüncken nach der glücklichste, weil er mit lachendem Mund bekannte, was andere mit Schmertzen und mit jämmerlicher Weheklage sagen musten, und solche Ehre widerfuhr ihm ohn Zweiffel darum, weil er der Haußvater war, dann sie satzten ihn zu einem Feur, banden ihn, daß er weder Hände noch Füsse regen konte, und rieben seine Fußsohlen mit angefeuchtetem Saltz, welches ihm unsere alte Geiß wieder ablecken und dadurch also kützeln muste, daß er vor Lachen hätte zerbersten mögen. Das kam so artlich und mir so anmuthig vor (weil ich meinen Knan niemals ein solches langwiriges Gelächter verführen gehöret und gesehen) daß ich Gesellschafft halber, oder weil ichs nicht besser verstund, von Hertzen mit lachen muste. In solchem Gelächter bekante er seine Schuldigkeit und öffnete den verborgenen Schatz, welcher von Gold, Perlen und Kleinodien viel reicher war, als man hinter den Bauren hätte suchen mögen. Von den gefangenen Weibern, Mägden und Töchtern weiß ich sonderlich nichts zu sagen, weil mich die Krieger nicht zusehen liessen, wie sie mit ihnen umgiengen. Das weiß ich noch wol, daß man theils hin und wieder in den Winckeln erbärmlich schreyen hörte, schätze wol, es sey meiner Meuder und unserm Ursele nit besser gegangen als den andern. Mitten in diesem Elend wante ich Braten, und war umb nichts bekümmert, weil ich noch nit recht verstunde, wie dieses alles gemeinet wäre, ich halff auch Nachmittag die Pferde träncken, durch welches Mittel ich zu unsrer Magd im Stall kam, welche wunderwercklich zerstrobelt aussahe, ich kante sie nicht, sie aber sprach zu mir mit kräncklicher Stimme: O Bub, lauff weg, sonst werden dich die Reuter mit nehmen, guck, daß du davon kommst, du sihest wol, wie es so übel. Mehrers konte sie nicht sagen. 5. Analysieren Sie den Textauszug: • Geben Sie wieder, wie der Krieg dargestellt wird. • Erschließen Sie mögliche Intentionen des Autors. 6. Untersuchen Sie die über 300 Jahre alte Sprachform des Simplicissimus: • Markieren Sie Wörter, Wortformen und Fügungen, die für Sie neu bzw. ungewohnt sind, und recherchieren Sie ihre Bedeutung. • Erläutern Sie die Wirkung eines solchen Stils auf das heutige Lesepublikum. Grimmelshausen hat in seinem Simplicissimus den Lebens- und Leidensweg eines einfachen Menschen in einer Welt dargestellt, die aus den Fugen geraten ist. Seine Romanfigur wird zu einem Typ der Zeit, der überleben will und sich treiben lässt, wohin ihn der Wind weht. Er passt sich den verschiedensten Lebenslagen an, wird vom einfältigen Bauernburschen zum Hofnarren, zum Abenteurer und Vaganten, zum Lebemann und Glücksritter6 und schließlich, nach einer schweren Krankheit, zum Einsiedler und Weisen. 50 55 60 65 70 Lebensweg eines Einfältigen zum Weisen 1 Steine: Feuersteine 2 massen: in Anbetracht dass 3 raitelten: drehten 4 Bengel: Prügel, Stock 5 Invention: Erfindung, Idee 6 Glücksritter: Abenteurer, der sich auf sein Glück verlässt Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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