Killinger Literaturkunde, Schulbuch

BAROCK | 17. JAHRHUNDERT 63 Ende meine Sackpfeiffe kaum aufgeblasen, da erdappte mich einer aus ihnen beym Flügel und schleuderte mich so ungestüm auf ein läer Bauernpferd, so sie neben andern mehr erbeutet hatten, daß ich auf der andern Seite wieder herab auf meine liebe Sackpfeiffe fallen muste, welche so erbärmlich anfing zu schreyen und einen so kläglichen laut von sich zu geben, als wann sie alle Welt zur Barmhertzigkeit hätte bewegen wollen, aber es halff nichts, wiewol sie den letzten Athem nicht sparete, mein Unfäll zubeklagen; ich muste einmal wieder zu Pferd, Gott geb was meine Sackpfeiffe sang oder sagte. Und was mich zum meisten verdroß, war dieses, daß die Reuter vorgaben, ich hätte der Sackpfeiffe im Fallen weh gethan, darum sie dann so ketzerlich geschrien hätte. Also gieng meine Mehr1 mit mir dahin, in einem stetigen Trab bis in meines Knäns Hof. Wunderseltzame Dauben und kauderwelsche Grillen stiegen mir damals ins Hirn, dann ich bildete mir ein, weil ich auf einem solchen Thier sässe, dergleichen ich niemals gesehen hatte, so würde ich auch in einen eisernen Kerl vermethomorphosirt2 werden, indem ich diejenigen, die mich fortführten, auch gantz eisern sahe. Weil aber solche Verwandlung nicht folgte, kamen mir andere Grillen in meinen albern Kopff, ich gedachte, diese fremde Dinger wären nur zu dem Ende da, mir die Schafe helffen heimzutreiben, sintemal3 keiner von ihnen keines hinweg fraß, sondern alle so einhellig und zwar des geraden Wegs in meines Knäns Hof eileten; derowegen sahe ich mich fleissig nach meinem Knän um, ob er und mein Meüder4 uns nicht bald entgegen gehen und uns willkommen seyn heissen wolten; aber vergebens, er und meine Meüder samt unserm Ursele, welches meines Knäens einzige und liebste Tochter war, hatten die Hinterthür getroffen, das Reißaus gespielt und wolten dieser heillosen Gäste nicht erwarten. 3. Untersuchen Sie die inhaltliche Gestaltung des Textausschnittes: • Stellen Sie dar, welchem offensichtlichen Irrtum der Bub verfällt. • Charakterisieren Sie die Hauptfigur. • Vergleichen Sie die Figur mit heutigen Vorstellungen von Heldinnen und Helden. 4. Setzen Sie sich mit der sprachlichen Gestaltung dieses Abschnitts auseinander: • Erläutern Sie, welche Wendungen und Ausdrücke von gelehrtem Wissen zeugen. • Stellen Sie Hypothesen darüber auf, wie das Missverhältnis zwischen der Person des Erzählers und der von ihm verwendeten Sprache zu erklären ist. Im 4. Kapitel des 1. Buches schildert Simplicius den Überfall auf den Hof seines Vaters. Simplicius führt die Soldaten zum Hof seines Vaters Wiewol ich nicht bin gesinnet gewesen, den friedliebenden Leser mit dieser leichtfertigen reuter Pursch5 in meines Knäns Hauß und Hof zuführen, weil es schlim genug darinn hergehen wird: So erfordert jedoch die Folge meiner Histori, daß ich der lieben posterität6 hinterlasse, was vor abscheuliche und gantz unerhörte Grausamkeiten in diesem unserm Teutschen Krieg hin und wieder verübet worden, zumalen mit meinem eigenen Exempel zu 10 15 20 25 30 5 1 Mehr: Mähre = Pferd, Stute 2 metamorphosieren: verwandeln (von Metamorphose) 3 sintemal: seit, da 4 Meüder: mundartliche Form für Mutter 5 Pursch: Schar von Reitern 6 posterität: Nachwelt Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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