FRÜHMITTELALTER | 8. – 10. JAHRHUNDERT 5 Es ist uns eine ganze Reihe von Zauber- und Segenssprüchen aus dem bäuerlichen Alltagsleben erhalten: ein Hundesegen, ein Wurmsegen, Sprüche zur Gesundung und zum Schutz von Menschen und Vieh. Die alten „Zauber“sprüche wurden durch christlichen Einfluss zu „Segens“sprüchen, wie es sie noch heute gibt (vgl. den Kinderreim „Heile, heile Segen, sieben Tage Regen ...“ und die Haus- und Autoweihen). Erstes Blatt des Hildebrandsliedes, 9. Jh. Das Hildebrandslied Aus der Welt des Adels stammt das einzige uns erhaltene Heldenlied, das so genannte Hildebrandslied. Es wurde von zwei Mönchen des Klosters Fulda um 810 auf die erste und die letzte Seite eines lateinischen religiösen Buches geschrieben. Warum die beiden Mönche dies taten, weiß man heute nicht. Manche meinen, dies sei eine reine Schreibübung gewesen, andere behaupten, die Mönche wollten den Sachsen, für die sie das Buch abschrieben, einen idealen Helden vorstellen. Das Hildebrandslied, das nur ein Glied einer ganzen Kette von Heldenliedern war, entstand wahrscheinlich Anfang des 8. Jahrhunderts am Hof des Langobardenkönigs im heutigen Oberitalien. Der historische Hintergrund ist die Zeit der Völkerwanderung: Hildebrand hat Frau und Sohn verlassen und ist als Waffenmeister mit Dietrich von Bern (dem historischen Ostgotenkönig Theoderich, 451/456 – 526) gezogen, schließlich vor König Odoaker (um 433 – 493) in die Verbannung an den Hunnenhof geflohen. Nun kehrt er nach 30 Jahren heim. Doch an der Grenze stellt sich ihm ein junger Krieger mit seinem Gefolge entgegen. Hildebrand fragt ihn, „wer sin fater wari“ (wer sein Vater wäre). So erfährt er, dass es Hadubrand, sein einziger Sohn, ist, der ihm gerüstet gegenübersteht. Hadubrand weist die goldenen Armringe, die ihm der Vater schenken möchte, mit harten Worten zurück und schimpft Hildebrand einen listigen alten Hunnen; denn ihm haben Seefahrer berichtet, dass sein Vater im Kampf getötet worden sei; „tot is hiltibrant“, schließt er seine Rede. Nach germanischer Vorstellung darf der Vater die Schmähung nicht einfach hinnehmen; er muss die Herausforderung zum Kampf annehmen, wenn er nicht als Feigling gelten will. Denn die Ehre des Mannes gilt mehr als sein Leben. So kommt es zum Zweikampf der beiden zwischen den Heeren. Hildebrand klagt über sein Schicksal: welaga nu, waltant got (quad hiltibrant), wewurt skihit. „O waltender Gott“, fuhr Hildebrand fort, „das Schicksal will seinen Lauf. ih wallota sumaro enti wintro sehstic ur lante, Ich bin sechzig Sommer und Winter außer Landes gegangen, dar man mih eo scerita in folc sceotantero, da hat man mich immer in die Schar der Bogenschützen gestellt, so man mir at burc enigeru banun ni gifasta: nachdem mich vor keiner Burg der Tod ereilt hat: nu scal mih suasat chind suertu hauwan, Soll es nun geschehn, dass mich mein eigener Sohn mit dem Schwert erschlägt, breton mih sinu billiu, eddo ih imo ti banin werdan. mich mit seiner Waffe zu Boden fällt – oder dass ich ihm den Tod bringe. 2 4 6 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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