454 Reim Texte in gebundener Sprache bringen nicht nur das Rhythmische, sondern meist auch das Klangliche der Sprache zu besonderer Wirkung: Wörter werden so ausgewählt und angeordnet, dass eine Häufung gleicher Vokale und Konsonanten entsteht. Die Häufigkeit des Gleichklangs von Wörtern ist in den Sprachen sehr unterschiedlich: Das Italienische bietet eine Fülle von Reimen an, im Englischen sind sie wesentlich schwieriger zu finden. Der Reim hat verschiedene Funktion: Er bindet Verse zu Sinn- und Klangeinheiten, er dient der melodischen Gliederung der Strophen, er kann aber auch symbolischen Charakter haben und reiner Schmuck sein. Die Romantikerinnen und Romantiker strebten Gedichte an, deren Zweck nicht so sehr im Inhaltlichen als vielmehr in der Klangwirkung lag. Es gibt verschiedene Formen des Reims. Die älteste Form ist der auf die germanische Dichtung zurückgehende Stabreim (Alliteration), bei dem gleiche Konsonanten und alle Vokale untereinander reimen (vgl. S. 6): mit Mann und Maus, bei Wind und Wetter, Tür und Tor, mit Leib und Leben Der Stabreim findet sich im magisch-religiösen Bereich (Merseburger Zaubersprüche, vgl. S. 4f.) und in Kinderreimen. Im Barock und in der Romantik wurde die Alliteration als Klangfigur häufig eingesetzt. Komm Kühle, komm küsse den Kummer, Süß säuselnd von sinnender Stirn, […]. (Brentano) Als Binnenreim bezeichnet man den Gleichklang des Versendes mit einem Wort im Versinnern: Denn beide bebten sie so sehr, Daß keine Hand die andre fand […] (Hofmannsthal) Mittenreim liegt vor, wenn das letzte Wort eines Verses mit einem Wort im Inneren des vorangehenden oder des folgenden Verses reimt: Leg deine Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren laß die Winde los. (Rilke) Beim Schlagreim folgen die Reimwörter unmittelbar aufeinander: Quellende, schwellende Nacht (Hebbel) Der Endreim stammt aus der lateinischen Dichtung und wurde im Deutschen zum ersten Mal um 870 von dem Mönch Otfried von Weißenburg in seiner Evangelienharmonie verwendet (vgl. S. 7f.). Er besteht aus dem Gleichklang zweier oder mehrerer an Versenden stehender Wörter vom letzten betonten Vokal an: Reimformen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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