Killinger Literaturkunde, Schulbuch

452 FORMEN GEBUNDENER SPRACHE „Gebunden“ ist die Sprache, wenn der Text in Versen dargeboten wird. Verse sind nicht auf das lyrische Gedicht beschränkt, auch die Ballade und das Epos sind in Versen geschrieben; der Schwank, die Fabel, das Drama können in Versen abgefasst sein. Das Gegensatzwort ist Prosa. Vers und Rhythmus Vers nennt man eine Zeile in gebundener Sprache, wobei betonte und unbetonte Silben annähernd regelmäßig verteilt sind. Die deutsche Verslehre beruht auf dem von Martin Opitz formulierten Akzentgesetz (vgl. S. 60) und hebt sich von der antiken Metrik, die auf Längen und Kürzen beruht, wesentlich ab. Eine betonte Silbe wird Hebung, eine unbetonte Silbe wird Senkung genannt. Eine Hebung und eine oder zwei Senkungen bilden einen Verstakt. Hebung und Senkung können unterschiedlich angeordnet sein: Beispiel 1. Senkung – Hebung ( ´) = Jambus (Mz. Jamben) Gestalt 2. Hebung – Senkung ( ´ ) = Trochäus (Mz. Trochäen) Schatten 3. Senkung – Senkung – Hebung ( ´) = Anapäst (Mz. Anapäste) übersetzt 4. Hebung – Senkung – Senkung (´ ) = Daktylus (Mz. Daktylen) Sonnenschein Endet ein Vers mit einer unbetonten Silbe, spricht man von einem klingenden Vers (auch: weiblicher Vers), bei betontem Ende von einem stumpfen Vers (auch: männlicher Vers). Beispiele Sechshebiger jambischer Vers (Alexandriner): ´ / ´ / ´ / ´ / ´ / ´ / klingender Vers Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden. (Gryphius) Fünfhebiger jambischer Vers (reimlos = Blankvers): ´ / ´ / ´ / ´ / ´ / klingender Vers Das Land der Griechen mit der Seele suchend. Mit königlichen Gütern segne dich Die Göttin! Sie gewähre Sieg und Ruhm. (Goethe) stumpfer Vers Vierhebiger jambischer Vers: ´ / ´ / ´ / ´ stumpfer Vers Der tiefe Brunnen weiß es wohl. (Hofmannsthal) Vier- und dreihebiger trochäischer Vers: ´ / ´ / ´ / ´ Füllest wieder Busch und Tal ´ / ´ / ´ Still mit Nebelglanz. (Goethe) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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