Killinger Literaturkunde, Schulbuch

ALLGEMEINE MERKMALE VON TEXTEN 443 OFFENE UND GESCHLOSSENE FORM DES DRAMAS Geschlossene Form des Dramas Bei Theaterstücken spricht man von geschlossener Form, wenn sie die Kriterien der drei Einheiten, wie sie Aristoteles formuliert hat (vgl. S. 49), einhalten und damit ein in sich logisches Ganzes mit strengem Aufbau darstellen. Die Anzahl der handelnden Personen ist gering. Die Ständeklausel wird eingehalten. Vgl. Goethes Torquato Tasso. Offene Form des Dramas Als offene Dramen werden Stücke bezeichnet, die durch einen episodenhaften Aufbau gekennzeichnet sind, deren Handlungsteile nicht direkt logisch miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. Offene Dramen weisen Zeitsprünge, Ortswechsel und mehrere verschiedene Handlungsstränge auf. Die Handlung wird meist von einer Fülle von Personen präsentiert, die aus unterschiedlichsten sozialen Schichten stammen können. Vgl. Johann Wolfgang von Goethe Götz von Berlichingen, Georg Büchner Woyzeck. ERZÄHLPERSPEKTIVE Die Erzählerin oder der Erzähler kann verschiedene Standorte beziehen, von denen aus sie bzw. er das Geschehen darstellt (Erzählperspektive oder point of view): Ähnlich wie die Filmkamera kann sie bzw. er weiter entfernt stehen und einen größeren Überblick bieten (Totale). Sie oder er kann aber auch nahe an ihre oder seine Figuren, an die Dinge herangehen und Vorgänge aus der Nähe schildern (Detail). Ihre bzw. seine Position kann außerhalb der Figuren sein, es kann aber auch die Innensicht gewählt werden. Selbst die oder der auktoriale (allwissende) Erzählerin oder Erzähler wählt mitunter die Innensicht und teilt mit, was die Figur denkt, fühlt, will. ERZÄHLVERHALTEN Auktoriales Erzählverhalten: Eine außenstehende Erzählfigur führt die Leserinnen und Leser durch das Geschehen, erläutert, kommentiert und beurteilt es (z. B. Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, vgl. S. 148). Sie ist allwissend und kann sich bei Bedarf in die Personen hineinversetzen. Je nach Anlage greift die auktoriale Erzählfigur in die Erzählung ein und kann auch ihr Verhalten kommentieren. Neutrales Erzählverhalten: Das Geschehen wird „objektiv“ dargestellt; die Erzählfigur vermittelt es kommentarlos aus der Distanz, von einer neutralen Position (z. B. Fontane, Effi Briest, vgl. S. 208). Personales Erzählverhalten: Das Geschehen wird aus der Sicht einer Person der fiktiven Handlung dargestellt. Wir begegnen einer Romanfigur, die denkt, fühlt, wahrnimmt, urteilt, aber nicht wie eine Erzählfigur zur Leserschaft spricht. Dieses Erzählverhalten findet sich in vielen Romanen der Gegenwartsliteratur. Dabei wird auf den Anspruch der Allwissenheit verzichtet. Die Leserinnen und Leser werden auch nicht direkt angesprochen. Damit werden eine größere Nähe zu den Charakteren und auch eine höhere Glaubwürdigkeit erreicht. Eine besondere Form des personalen Erzählens ist die Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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