42 VOLKSTÜMLICHE LITERATUR Im Zeitraum von 1470 bis 1600 entstand eine bürgerliche, manchmal auch kleinbürgerliche deutsche Literatur. Die Erfindung des Buchdrucks und die Verbreitung deutschsprachiger Bücher waren auch dafür die Voraussetzungen. Die Formen der Literatur waren sehr vielfältig: Es gab volkstümlichunterhaltende Werke epischer und dramatischer Art (z. B. Schwanksammlungen, Fastnachtspiele, satirische Darstellungen menschlicher Unvernunft und Narrheiten). Bis in die Zeit Maximilians I. (gest. 1519) lebten die alten Formen des höfischen Epos, der Heldendichtung und der Minnedichtung fort. Allerdings wurden häufiger alte Werke umgeformt und nacherzählt als neue geschaffen. Außerdem begegnete man dieser Art der Literatur als Rückschau auf eine versunkene Zeit; denn das in diesen Werken dargestellte Rittertum gab es nicht mehr, es hatte längst seine wirtschaftliche und militärische Bedeutung verloren. Das Bürgertum der Städte, die neue kulturtragende Schicht, schuf sich eigene literarische Ausdrucksformen. Beliebt war der Schwank, der auf realistische Weise die Konflikte im Zusammenleben in der Stadt darstellt. Die Menschen waren auf engstem Raum (innerhalb der Stadtmauern) zusammengepfercht und hatten strenge moralische Verhaltensmuster entwickelt, besonders im Rahmen der Zünfte (Handwerksverbände). Der Schwank war eine Art Ventil für unterdrückte Wünsche und Zügellosigkeiten. Bevorzugte Inhalte waren: Ehekrach mit Prügel für die Frau, Untreue der Frau, eine Operation, die schlechte Eigenschaften (wie Geiz, Eitelkeit, Narrheit) zutage förderte. Häufig erscheinende Typen waren: der betrunken heimkehrende Ehemann, der listige fahrende Schüler, der liebeshungrige Pfaffe (Priester), der betrügerische Kaufmann oder Arzt, die verführerische Dirne (Prostituierte), das kupplerische alte Weib und der dumme Bauer. Das Kleinbürgertum, das aus dem Bauernstand stammt, distanzierte sie sich von dem dummen Karsthans (Schimpfwort für Bauer), der im Schwank auf jede mögliche Weise blamiert und bloßgestellt wird. Schwank Der Schwank ist eine kurze lustige Erzählung in Versen oder in Prosa, tritt aber auch in Dialogform auf und wurde dann szenisch dargeboten. Es entstanden Schwanksammlungen, die gern zum Zeitvertreib auf Reisen gelesen wurden. So erklären sich Titel wie Das Rollwagenbüchlein (Jörg Wickram) und Der Wegkürzer (Martin Montanus). Schwanksammlungen, die sich um eine bestimmte Figur oder Figurengruppe ranken, wurden manchmal zu Volksbüchern, deren bekannteste Till Eulenspiegel und Die Schildbürger sind. Das mit dem Schwank verwandte Fastnachtspiel entwickelte sich aus den städtischen Fastnachtsfeiern. Zunächst wurden bei kostümierten Umzügen von einzelnen Teilnehmern derb-komische Sprüche vorgetragen, später übernahm eine Spielgruppe den Vortrag, auf Rede folgte Gegenrede, es entstand ein Dialog. Hinzu kam das Spielen einer einfachen Handlung, wobei Verwechslungen, Verkleidungen, Prügelszenen, derbe Witze und sexuelle Anspielungen den größten Erfolg beim Publikum hatten. Wegen der Derbheit vieler Werke der Zeit nennt man die Periode auch Grobianismus. Hans Sachs (1494 – 1576) aus Nurnberg, der sich selbst als „schuhmacher und poet“ bezeichnete, verfasste zahlreiche Fastnachtspiele, in denen er sich bemuhte, diese Form literarisch zu heben. Von ihm stammt das Fastnachtspiel mit 6 Personen, haist Der Krämerskorb. Der Knecht soll für seinen Herrn Wein holen, verspätet sich und entschuldigt sich mit einem außergewöhnlichen Erlebnis, das er unterwegs hatte: Literarische Formen Bürgertum als Kulturträger Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
RkJQdWJsaXNoZXIy MjU2NDQ5MQ==