Killinger Literaturkunde, Schulbuch

DEUTSCHSPRACHIGE LITERATUR NACH 1945 315 WLADIMIR: Ist gut für die Nieren. Schweigen. Estragon betrachtet aufmerksam den Baum. Was sollen wir jetzt tun? ESTRAGON: Warten. WLADIMIR: Ja, aber beim Warten. ESTRAGON: Sollen wir uns aufhängen? WLADIMIR: Dann geht nochmal einer ab. ESTRAGON aufgereizt: Dann geht einer ab? WLADIMIR: Und wenn man an die Folgen denkt. Da, wo es hinfällt, wachsen Alraunen. Darum schreien sie so, wenn man sie ausreißt. Wusstest du es nicht? ESTRAGON: Komm, wir hängen uns sofort auf. WLADIMIR: An einem Ast? Sie nähern sich dem Baum und betrachten ihn. Ich hätte kein Vertrauen. ESTRAGON: Wir können’s doch mal versuchen. WLADIMIR: Versuch’s. ESTRAGON: Nach dir. WLADIMIR: Nein, du zuerst. ESTRAGON: Warum? WLADIMIR: Du bist leichter als ich. ESTRAGON: Gerade darum. WLADIMIR: Das versteh ich nicht. ESTRAGON: Nun überleg mal ein bisschen, du. WLADIMIR denkt nach. Endlich: Ich versteh es nicht! ESTRAGON: Ich werd es dir erklären. Er überlegt. Der Ast ... der Ast ... Wütend: Versuch doch, es zu verstehen. WLADIMIR: Ich verlasse mich ganz auf dich. ESTRAGON angestrengt: Gogo leicht – Ast nicht brechen – Gogo tot. Didi schwer – Ast brechen – Didi allein. Pause. Dagegen ... Er sucht den richtigen Ausdruck. WLADIMIR: Daran hatte ich nicht gedacht. ESTRAGON hat das Wort gefunden: Wenn er dich aushält, riskiere ich nichts. 37. Interpretieren Sie diesen Textabschnitt nach inhaltlichen und sprachlichen Gesichtspunkten: • Stellen Sie die kommunikativen und menschlichen Beziehungen der beiden Protagonisten dar. • Diskutieren Sie, welche Erkenntnisse daraus gezogen werden können. • Beurteilen Sie, wie Beckett die Erkenntnisfahigkeit des Menschen einschatzt. EXPERIMENTELLES SPRACHSPIELTHEATER Sprache und ihre Ausdrucksmöglichkeiten, aber auch ihre Einschränkungen werden zum Thema des experimentellen Sprachspieltheaters. Zum „Sprachspiel“ gehört nicht nur die Sprache, sondern auch die Tätigkeit oder das Verhalten, das während des Sprechens abläuft. Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951) sagt in seiner Theorie vom Sprachspiel (aus: Philosophische Untersuchungen, veröffentlicht 1953): 70 75 80 85 90 95 Sprachmuster und Handlungsmuster Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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