DEUTSCHSPRACHIGE LITERATUR NACH 1945 313 Samuel Beckett, Warten auf Godot. (Michael Maertens und Ernst Stoetzner als Wladimir und Estragon), Burgtheater Wien. Seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert setzte sich der Gedanke immer weiter durch, dass die bisher gültigen Wertvorstellungen ihren Sinn verloren hätten. Besonders die Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges vermittelten das Gefühl der existentiellen Angst, der Absurdität des Daseins. Dieses Lebensgefühl wird im absurden Theater in einer neuen Form vermittelt. Der Ire Samuel Beckett (1906 – 1989) veröffentlichte 1953 das Theaterstück Warten auf Godot. Die beiden Vagabunden Wladimir und Estragon, halb Philosophen, halb Clowns, warten auf Godot, den sie nicht kennen, von dem sie nichts wissen, nicht einmal, ob es ihn gibt. Das Erscheinen Godots ist das mit Ungeduld erwartete Ereignis, durch das die beiden wie durch ein Wunder aus ihrer fatalen Situation errettet werden sollen. Da er aber nie erscheint, ist Godot offenbar nur ein Name für eine der Wunschphantasie entsprungene Erlöserfigur. Beckett redet nicht in wohlgesetzten Dialogen über die Sinnlosigkeit des Lebens, sondern er stellt sie auf der Bühne sprachlich und szenisch dar. Das Auszusagende und die Form der Aussage stimmen völlig überein. Dialog und Spiel der Personen sind sinnlos, haben keine Beziehung mehr. Eine Handlung im Sinne des früheren Dramas gibt es nicht. Dafür vermittelt das Stück Angstvorstellungen, Traumbilder, groteske Situationen, grundsätzliches Nichtverstehen. Im Stück langweilen sich Wladimir und Estragon, gehen einander auf die Nerven und können sich doch nicht trennen. Die Bühne ist so gut wie leer: Landstraße. Ein Baum. Abend. Samuel Beckett: Warten auf Godot (1953) ESTRAGON: Lauschiges Plätzchen. Er dreht sich um, geht bis zur Rampe, blickt ins Publikum. Heitere Aussichten! Er wendet sich Wladimir zu. Komm, wir gehen! WLADIMIR: Wir können nicht. ESTRAGON: Warum nicht? WLADIMIR: Wir warten auf Godot. ESTRAGON: Ach ja. Pause. Bist du sicher, dass es hier ist? WLADIMIR: Was? ESTRAGON: Wo wir warten sollen. WLADIMIR: Er sagte, vor dem Baum. Sie betrachten den Baum. Siehst du sonst noch Bäume? ESTRAGON: Was ist das für einer? WLADIMIR: Ich weiß nicht ... Eine Weide. ESTRAGON: Wo sind die Blätter? WLADIMIR: Sie wird abgestorben sein. ESTRAGON: Ausgetrauert. Existentielle Angst Thematisieren in Sprache 5 10 15 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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