Killinger Literaturkunde, Schulbuch

310 Groteske ist nur ein sinnlicher Ausdruck, ein sinnliches Paradox1, die Gestalt nämlich einer Ungestalt, das Gesicht einer gesichtslosen Welt, und genau so wie unser Denken ohne den Begriff des Paradoxen nicht mehr auszukommen scheint, so auch die Kunst, unsere Welt, die nur noch ist, weil die Atombombe existiert: aus Furcht vor ihr. 35. Setzen Sie sich mit dem historischen Hintergrund auseinander, vor dem Durrenmatt diesen Text schrieb: • Erläutern Sie, welche geschichtlichen und gesellschaftlichen Ereignisse Dürrenmatt erlebt hat. • Kommentieren Sie, wie laut Dürrenmatt die Ereignisse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerechtfertigt wurden. Groteske Eine Groteske entsteht, wenn sich Komisches und Schreckliches verbinden. Das Lachen wird jäh von Entsetzen erstickt, das Lustige kippt ins Tragische um. Die Groteske kann in epischen und dramatischen Formen auftreten. In einer als grotesk erlebten Wirklichkeit wird die Groteske zur angemessenen Darstellungsweise. Groteske Züge finden sich in Werken von Franz Kafka (1883 – 1924), Bertolt Brecht (1898 – 1956), Günter Grass (1927 – 2015), Max Frisch (1911 – 1991) und Friedrich Dürrenmatt. Die Tragikomödie ist die bevorzugte Form des bürgerlichen Problemstücks, in der tragische und komische Elemente vereint sind. Das Komische wird nicht etwa als Einlage geboten; vielmehr kann das Tragische jederzeit ins Komische umschlagen und umgekehrt. Schon die Stücke Molières (1622 – 1673, Der Misanthrop, Der Geizhals, Tartuffe) sind Tragikomödien in diesem Sinn. Auch bei Henrik Ibsen (1828 – 1906), Gerhart Hauptmann (1862 – 1946) und George Bernard Shaw (1856 – 1950) findet man tragikomische Situationen. Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt, die an das epische Theater anschließen, entwickeln die Tragikomödie zu einer perfekten dramatischen Form, die sehr bühnenwirksam ist. Neben Dürrenmatts Besuch der alten Dame (1956 uraufgeführt) und Die Physiker (1962) kann man Frischs Lehrstück Biedermann und die Brandstifter (1958) als Tragikomödie bezeichnen. In seinem ersten Stück, Komödie (1947) genannt, lässt Friedrich Dürrenmatt (1921 – 1990) den Besoffenen sagen: Wir sind eingeschlossen in eine Hölle von Fragen, die keiner beantworten kann, und unsere Strafe ist, „warum“ zu schreien. Die Dramen Dürrenmatts sind Beispiele für diese Hölle von Fragen. Komödien schreiben ist für den Schweizer Dichter ein Spiel mit den Möglichkeiten in der Welt. Die Wirklichkeit liefert den Hintergrund seiner Tragikomödien. Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame (1956) In Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame ist die Kleinstadt Güllen vom Bankrott bedroht, Gemeinde und Bewohner sind tief verschuldet. Die Milliardärin Claire Zachanassian (insgeheim die Verursacherin des finanziellen Ruins) scheint Abhilfe schaffen zu können. Sie musste vor 45 Jahren als Kläre 10 1 Paradox: etwas, was einen Widerspruch in sich selbst enthält Spiel mit den Möglichkeiten in der Welt Käufliche Gerechtigkeit Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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