Killinger Literaturkunde, Schulbuch

24 LYRISCHE FORMEN Das Minnelied Ein großer Teil der mittelhochdeutschen Lyrik sind Minnelieder. Sie wurden von einem Minnesänger vor versammelter Hofgesellschaft gesungen. Der Sänger begleitete sich selbst auf einer Geige oder Laute. In vorgeprägten Formen und Wendungen verherrlichte er eine hochgestellte Dame seiner Wahl, die häufig anwesend war. Minnelieder waren also keine geheimen Liebesbotschaften, sondern gesellschaftliche Konvention und ein Bestandteil des geselligen Hoflebens. Der Inhalt besteht aus dem Lob der Vollkommenheit und Schönheit der Dame sowie aus der Klage des Ritters, dass seine Liebe unerwidert bleibt (Hohe Minne). Minnelieder hatten in Südfrankreich ihren Ursprung, wo sie von so genannten Troubadours3 vorgetragen wurden. Liedformen des Minnesangs • Tagelied: Behandelt den Abschied der Liebenden im Morgengrauen nach einer unerlaubten Liebesnacht. • Botenlied: Ein Bote tritt als Vermittler zwischen den Liebenden auf. Er muss nicht selbst am Gespräch teilnehmen, er dient vielfach nur als Ansprechpartner für die Liebenden. • Frauenstrophen: Der Minnedienst wird aus der Sicht der angebeteten Frau dargestellt, die den Konventionen folgen und den Liebenden zurückweisen muss. • Wechsel: Besteht aus abwechselnden Strophen von Mann und Frau. Die Liebenden sprechen aber nicht direkt miteinander, sondern tragen nur ihre Sicht der Dinge vor. Hohe Minne Dietmar von Aist: Slâfest du, friedel ziere? (ca. 1170) „Slâfest du, friedel ziere? „Schläfst du, lieber Freund? man weckt uns leider schiere: Man weckt uns leider bald: ein vogellîn sô wol getân Ein Vöglein so schön, daZ ist der linden an daZ zwî gegân.“ das ist auf der Linde Zweig geflogen.“ „Ich was vil sanfte entslâfen: „Ich war so sanft eingeschlafen: nu rüefestu kint wâfen: Nun rufst du, Kind, ‚wach auf‘: liep âne leit mac niht gesîn. Lieb ohne Leid kann nicht sein. swaZ du gebiutst, daZ leiste ich, friundîn mîn.“ Was du gebietest, das tue ich, meine Freundin.“ Diu frouwe begunde weinen. Die Dame begann zu weinen. „Du rîtst und lâst mich eine. „Du reitest weg und lässt mich allein. wenne wilt du wider her zuo mir? Wann wirst du wieder zu mir kommen? owê du füerst mîn fröide sament dir!“ O weh, du führst meine Freude mit dir!“ 2 4 6 8 10 12 12. Setzen Sie sich mit diesem Minnelied auseinander: • Fassen Sie den Inhalt strophenweise zusammen. • Analysieren Sie das Gedicht formal (Reimschema, Strophen). • Vertonen Sie das Minnelied. Überlegen Sie, welche Musik passend sein könnte. • Kommentieren Sie diesen Text aus heutiger Sicht. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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