Killinger Literaturkunde, Schulbuch

HOCHMITTELALTER | 1170 – 1230 23 10. Erläutern Sie, welchen Aufschluss diese Stelle über das Verhalten gibt, das von einem christlichen Ritter am Karfreitag erwartet wurde. Die folgenden Gespräche zwischen Parzival und Trevrizent, der in dem jungen Ritter den Sohn seiner verstorbenen Schwester erkennt, werden zu einer tiefen menschlichen Begegnung. Parzival bekennt dem Oheim1 die Schuld, die er Gott und anderen Menschen gegenüber auf sich geladen hat, und der Einsicht in die „sünde“ folgt die „riuwe“. 14 Tage verweilt Parzival in der armseligen Einsiedelei, dann scheidet er geläutert und gewandelt von seinem frommen Oheim. Trevrizent beendet den priesterlichen Dienst, den er Parzival geleistet hat, mit seinen Abschiedsworten: „gip mir dîn sünde her, vor gote ich bin dîn wandels wer“ (Gib mir deine Sünde, vor Gott bürge ich für dich.) (Bürge). Parzival ist nun über das auf weltliche Ehre ausgerichtete Artusrittertum hinausgewachsen und dadurch fähig geworden, das höchste ritterliche Amt zu übernehmen: das des Gralskönigs. Der Gral, ein kostbarer Stein, hat wundertätige Kraft: Wer ihn allwöchentlich anblickt, der ist vor dem Altern geschützt. Überdies spendet der Gral denen, die ihn hüten, Speise und Trank. Seine Kraft ist himmlischen Ursprungs. An jedem Karfreitag schwebt eine weiße Taube vom Himmel hernieder und legt eine kleine weiße Oblate2 auf den Stein. Durch Inschriften, die auf dem Stein sichtbar werden und dann wieder vergehen, tut Gott kund, wen er zum Gralsdienst beruft. Im Gralsrittertum ist also der Zwiespalt zwischen diesseits- und jenseitsbezogener Lebensgestaltung aufgehoben. Die Gralshüter leben ritterlich, sie kämpfen und sie bewähren sich in Abenteuern – nur die spielerische „minne-âventiure“ ist ihnen untersagt –, aber der Beweggrund ihres ritterlichen Tuns ist nicht „hochvart“, nicht hochmütige Überhebung, sondern „diemüete“, die Bereitschaft, Gott zu dienen, sich seinem Willen zu unterwerfen. 11. Suchen Sie zeitgenössische Texte bzw. Filme, die sich auf den Gralsstoff beziehen. Buchmalerei, Zürich um 1310 – 1340. Wolfram von Eschenbach (um 1160/1180 – um/nach 1220). Parzival wird Gralskönig 1 Oheim: Bruder der Mutter, Onkel 2 Oblate: dünne Scheibe aus Mehl und Wasser, vgl. Hostie 3 Troubadour: fahrender Dichter bzw. Sänger in der Provence, Frankreich, im 12. und 13. Jahrhundert Ideal des christlichen Ritters Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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